November 1942
Die deutsche Bevölkerung beobachtete zum Monatsbeginn gebannt die dramatischen und nichts Gutes verheißenden Ereignisse in Nordafrika, wo britische Truppen am 2. November zum Durchbruch durch die deutsch-italienischen Stellungen an der Al-Alamain-Front ansetzten. Während Generalfeldmarschall Erwin Rommel als Oberbefehlshaber der Panzerarmee Afrika einen Tag darauf den Befehl zum Rückzug gab, forderte Hitler ein „Halten um jeden Preis“ und teilte Rommel mit, für ihn und seine Truppen gebe es nur den Weg „zum Siege oder zum Tode“. Der setzte sich jedoch über den „Führerbefehl“ hinweg und ordnete den weiteren Rückzug an. Nachdem die Briten daraufhin bis zum 13. des Monats Tobruk erobert hatten, sah sich der Generalfeldmarschall eine Woche später gezwungen, auch Bengasi zu räumen. Damit war die Cyrenaika in Libyen nach einem ersten Rückzug Rommels im Januar des Jahres zum zweiten Mal – und nunmehr endgültig - für die Achsenmächte verloren.
Zu diesem Zeitpunkt drohte aus dem Westen längst neues Ungemach, denn am 8. November waren unter dem Oberbefehl von General Eisenhower - und für die deutsche Führung überraschend - amerikanische und britische Truppen mit rund 107.000 Mann in Marokko und Algerien gelandet. Um dem entgegenzuwirken, wurden zur Errichtung eines deutsch-italienischen Brückenkopfes in Tunesien am folgenden Tag Wehrmachtseinheiten auf dem Luftweg von Sizilien nach Tunis überführt und zwei Tage später eine Luftbrücke zum Transport von Militärgütern eingerichtet. Am 17. des Monats kam es dann 50 km westlich von Biserta zu ersten Kampfhandlungen zwischen alliierten und deutlich unterlegenen deutschen Truppen.
Als sich die französische Vichy-Regierung nach der Landung der alliierten Truppen in Nordafrika weigerte, an der Seite Deutschlands und Italiens in den Krieg einzutreten, begann am Morgen des 11. November der Einmarsch deutscher Truppen in den bis dahin unbesetzten Teil Frankreichs – eine neuerliche Belastung für die bereits stark geschwächten und ausgedünnten Wehrmachtseinheiten.
Die wahre Katastrophe bahnte sich aber nicht auf dem nordafrikanischen, sondern auf dem russischen Kriegsschauplatz an, wo die deutsche 6. Armee nach schweren Kämpfen bis zum 10. November etwa 90 Prozent des Stadtgebiets von Stalingrad erobert hatte. Neun Tage später begann dann aber eine sowjetische Großoffensive, die bereits nach drei Tage zur Einkesselung der deutschen Truppen mit rund 284.000 Mann führte. Als Generalmajor Friedrich Paulus als Oberbefehlshaber der 6. Armee Hitler am 23. November um Handlungsfreiheit für die Vorbereitung eines Ausbruchs aus dem Kessel bat, wurde ihm das einen Tag später per Funkspruch rigoros untersagt. Stattdessen wurde Paulus eine ausreichende Versorgung aus der Luft zugesagt, obwohl der Kommandeur des VIII. Fliegerkorps bereits am 21. erklärt hatte, dass das für eine komplette Armee aus der Luft für die deutsche Luftwaffe völlig unmöglich sei. Die 6. Armee harrte somit hilf- und chancenlos aus („Drum haltet aus, der Führer haut uns raus!“), während sich die am 19. November eröffnete sowjetische Großoffensive innerhalb von zehn Tagen auf die gesamte Länge der Ostfront ausdehnte.
Bei alle dem fanden auch die alliierten Luftangriffe auf das Reichsgebiet ihre Fortsetzung. Am 17. November eilte Propagandaminister Goebbels nach Duisburg, um sich vor Ort über die Auswirkungen der britischen Luftangriffe zu informieren und propagandistisch auf die Bevölkerung einzuwirken. Viele dürften ihm angesichts der permanenten Angriffe und Zerstörungen nicht mehr geglaubt haben, zumal in der Nacht zum 23. noch ein weiterer - unter taktischen Gesichtspunkten der erste systematische - britische Luftangriff auf Berlin stattfand, bei dem unter anderem die Gebäude der Deutschen Bank in Flammen aufgingen.
Zum Jahresende hin erhielten zahlreiche Soldaten - oft zum ersten Mal nach ein- bis zweijähriger Abwesenheit – im November Heimaturlaub. Bevor sie, ausgestattet mit einem „Kriegsurlaubsschein“, die Heimreise antraten, mussten sie sich ausdrücklich zu „Verschwiegenheit und Zurückhaltung bei Gesprächen“ verpflichten. Es war durchaus angebracht, in dieser Hinsicht Vorsicht walten zu lassen, denn je dramatischer sich die Lage an den verschiedenen Fronten gestaltete, umso härter griff das NS-Regime an der „Heimatfront“ durch. Anfang des Monats verurteilten Sondergerichte in verschiedenen Städten mehrere Personen wegen „Rundfunkverbrechen“ zu mehrjährigen Zuchthausstrafen. Am 23. des Monats wurden zwei Angestellte eines Lazaretts wegen Diebstahls von Lebensmitteln in Berlin als „Volksschädlinge“ zum Tode verurteilt, eine Woche später traf in Hannover das gleiche Urteil einen Metzgermeister, der schwarz geschlachtet hatte. Die Richter argumentierten, dass unter den Bedingungen des „totalen Krieges“ jeder Verstoß gegen die Bestimmungen kriegswirtschaftlicher Verordnungen eine „Zersetzung“ der Wehr- und Verteidigungskraft darstelle und daher mit den härtesten Strafen zu ahnden sei.
Aus Anlass des 19. Jahrestages des Hitler-Putsches in München verbreitet Adolf Hitler in einer Rede im Münchner Löwenbräukeller am 8. November aber trotz der angespannten militärischen Situation der Achsenmächte an allen Frontabschnitten weiterhin ungebrochenen Optimismus.
Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung
Am 6. November 1942 wurden auf Anordnung Adolf Eichmanns die Verwaltungsstellen der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland zusammengefasst, was zugleich das Ende zahlreicher Jüdischer Gemeinden bedeutete. So wurde etwa jene in Frankfurt aufgelöst, wobei einige ihrer Angestellten die Bezirksstelle der Reichsvereinigung Hessen/Hessen-Nassau übernahmen, die noch bis Juni 1943 bestehen sollte.
Nachdem Heinrich Himmler am 5. November bereits die Deportation sämtlicher jüdischer Häftlinge aus Konzentrationslagern im Reichsgebiet nach Auschwitz und in den Bezirk Lublin angeordnet hatte, kam der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, Sauckel, trotz zunehmender Engpässe an Arbeitskräften in der deutschen Rüstungsindustrie dann am 26. November auch dem Vorschlag des Reichssicherheitshauptamts nach, Jüdinnen und Juden, die bis dahin noch im Reichsgebiet beschäftigt waren, zu evakuieren und durch polnische Arbeitskräfte zu ersetzen.
Auch das waren weitere Schritte auf dem Weg zur „Endlösung“, die insbesondere im „Generalgouvernement“ weiterhin mit hohem Tempo voranschritt. Hatte man dort vor Beginn des Zweiten Weltkrieges noch rund 1.000 jüdische Siedlungen gezählt, war die jüdische Bevölkerung dort bis Anfang November 1942 auf 55 Gemeinden „konzentriert“ worden.