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Chronik und Quellen
1939
November 1939

November 1939

Der weitaus größte Teil der deutschen Bevölkerung atmete auf, nachdem am 8. November im Münchener Bürgerbräukeller ein vom 36-jährigen Schreinergesellen Georg Elser verübtes Bombenattentat auf Adolf Hitler knapp fehlgeschlagen war. Kurz nachdem der „Führer“ den Ort, an dem er eine Rede zum Gedenken an den misslungenen Putsch des Jahres 1923 gehalten hatte, frühzeitig verlassen hatte, explodierte die Bombe, die Elser zuvor in mehrtägiger Arbeit eingebaut hatte. Acht Menschen kamen ums Leben, 62 weitere wurden verletzt.

Auch die katholische Amtskirche gab ihrer Erleichterung am 19. November öffentlichen Ausdruck, indem sie in den Bistumsblättern der Diözesen Passau und Freiburg Dankadressen für die Rettung Adolf Hitlers abdruckte. Andere hochrangige Kirchenvertreter äußerten sich hingegen erstaunlich regimekritisch. So erklärte Erzbischof Conrad Gröber am gleichen Tag vor rund 5.000 Zuhörern im Freiburger Münster, die Kirche verbiete es „jedem Katholiken, zum Kriege zu hetzen oder bei Kriegstreibereien hilfreich zu sein“.

Ansonsten warteten die meisten darauf, wie es nach dem militärischen Erfolg in Polen mit dem Krieg weitergehen würde. Jedenfalls blieb man sparsam und versuchte die Ressourcen zu schonen. So trat am 1. November eine Polizeiverordnung vom 19. Oktober 1939 über die Sammlung von Küchen- und Nahrungsmittelabfällen aus Privathaushalten in Haussammeleimern in Kraft. Verwertbare Reste wurden von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt abgeholt.

Am 14. November wurde als Ersatz für die bei Kriegsbeginn ausgegebenen Bezugsscheine die Reichskleiderkarte eingeführt, die sechs Tage später ausgegeben wurde und bis zum Oktober 1940 Gültigkeit hatte. Sie umfasste für Kinder 70, für Erwachsene 100 Teilabschnitte – ein nicht eben großes Jahresbudget. Eine Krawatte war künftig für drei Punkte, ein Frauensommermantel für 35 oder ein Herrenanzug für 60 Abschnitte er erwerben.

Eine ausgesprochene Knappheit herrschte weiterhin an Arbeitskräften. Daher befahl Hermann Göring als Beauftragte für den Vierjahresplan am 16. November eine verstärkte Anwerbung möglichst billiger polnischer Arbeitskräfte. Bis Ende des Jahres sollten 40.000 Zivilkräfte nach Deutschland kommen; weitere 210.000 Kriegsgefangene arbeiteten zumeist in der deutschen Landwirtschaft. Zugleich wurden durch eine Verordnung zum Schutz der Wehrkraft ab dem 25. November all diejenigen mit dem Tode bedroht, die aus NS-Sicht einen kriegswichtigen Betrieb massiv störten und beeinträchtigten. Verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen konnte zudem künftig zudem mit Zuchthaus bestraft werden.

Um Produktionsausfälle in der Kriegsindustrie zu vermeiden wurde der Buß- und Bettag durch Führererlass auf einen Sonntag verlegt, womit ein weiterer Feiertag entfiel, was kaum zur allgemeinen Zufriedenheit beigetragen haben dürfte. Hermann Göring hatte sich bereits am 10. November veranlasst gesehen, die deutsche Bevölkerung dazu aufzurufen, sich „in das Ganze“ einzuordnen und zugleich jegliches Querulantentum zu bekämpfen.

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Am 9. November wurde die Region Kutno/Lodz dem annektierten Warthegau zugeschlagen, um zusätzlich Platz für die Ansiedlung von Baltendeutschen zu gewinnen. Damit vervierfachte sich zugleich die Zahl jener Juden, die aus dem nunmehr zum Reichsgebiet zählenden Warthegau bis Ende Februar 1940 in das verkleinerte Generalgouvernement abgeschoben werden sollen, auf etwa 400.000 Menschen. Offiziell ordnete Wilhelm Koppe, der Höhere SS- und Polizeiführer im Warthegau, diese „Abschiebung von Juden aus dem Reichsgau Wartheland“ am 24. November an. Demnach galten - anders als in den Nürnberger Gesetzen festgelegt – nun auch „Mischlinge 1. Grades“ als Juden. Auch die „arischen“ Partner in Mischehen sind von der Maßnahme betroffen, „falls sie sich von ihrer Familie nicht endgültig trennen wollen“. Die lokalen jüdischen Ältestenräte müssen „umgehend die Liste der ortsanwesenden Juden in mehrfacher Ausfertigung einreichen“, en Verfahren, dass auch zwei Jahre später beim Beginn der Deportationen aus dem „Altreich“ Anwendung finden wird. Gemäß einem Erlass von Heinrich Himmler waren jene Juden und Polen, die nach der Umsiedlung ins Generalgouvernement über die grüne Grenze zurückkehren, „sofort standrechtlich zu erschießen“. Die Weisung wurde zwar nicht der polnischen Bevölkerung, wohl aber den Verantwortlichen der jüdischen Gemeinden „mündlich bekanntzugeben“ und war in erster Linie gegen die Juden gerichtet.

Am 23. November wurde per Verordnung eine „Kennzeichnung von Juden und Jüdinnen“ im Generalgouvernement eingeführt – ebenfalls fast zwei Jahre, bevor diese Maßnahme auch im Deutschen Reich angeordnet wurde.

Am 28. November teilte Reinhard Heydrich das in den neu eroberten Gebieten anzuwendende Verfahren in einen Nah- und einen Fernplan auf. Danach sollten im Dezember 1939 im Rahmen des 1. Nahplans zunächst 80.000 Menschen vertrieben werden; tatsächlich wurden zwischen dem 1. und 17. Dezember in 80 Transporten 87.838 Menschen aus den annektierten westpolnischen Provinzen in das Generalgouvernement deportiert, um Platz für Balten- und Wolhyniendeutschen zu schaffen. Ebenfalls Ende November wurden im RSHA auch die Grundlinien des „Fernplans der Umsiedlung in den Ostprovinzen“ festgelegt, der deren endgültige „Entpolonisierung und Entjudung „ zum Ziel hatte.

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