Juni 1939
Auf dem ersten Großdeutschen Reichskriegertag in Kassel versicherte Adolf Hitler am 4. Juni, man sei auf die angebliche „Einkreisungspolitik“ der Westmächte besser vorbereitet als das Kaiserreich im Jahr 1914. Diese Aussage dürfte als klares Bekenntnis zur Kriegsbereitschaft gewertet worden sein. Zugleich galt es die Bevölkerung aber weiterhin zu beruhigen und in Sicherheit zu wiegen. So würdigte Fritz Todt vor 10.000 Arbeitern am 11. Juni in Trier den Bau des Westwalls und hob dessen Bedeutung und Unüberwindbarkeit hervor. Hinsichtlich der Berichterstattung über die Lage in Polen, wurde die Presse am 23. Juni angewiesen, dieses Thema nur „leicht am Kochen“ zu halten.
Allerdings war nicht zu verbergen, dass regimeseitig alles getan wurde, um die Rüstungsindustrie zu fördern, indem ihr möglichst viele Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt wurden. So wurden etwa im Bereich der Oberpostdirektion Köln zum Monatsbeginn für zunächst vier Wochen 3.070 „hilfsdienstpflichtige“ Frauen zum Briefzustelldienst eingezogen. Aber auch die Anforderungen an die individuelle Leistungsfähigkeit jedes einzelnen stiegen, so dass die Wehrwirtschaftsinspektion XIII (Nürnberg) am 15. Juni über eine durch die oft übermäßigen Anforderungen ausgelöste „tiefgreifende Missstimmung“ in Arbeiterkreisen berichtete. Um dem entgegenzuwirken, wurde beispielsweise den deutschen Zeitungen am 26. Juni per Presseweisung verboten, Berichte über „den zwangsweisen Einsatz verheirateter Frauen in den Arbeitsprozess“ zu drucken.
Personelle Engpässe hinderten das NS-Regime jedoch nicht daran, seine strikt antisemitische Rassenpolitik unvermindert fortzusetzen. So berichtete die Essener „National-Zeitung“ am 5. Juni, die deutsche Bekleidungsindustrie sei „von Juden völlig frei“, nachdem bereits im April die vollständige Ausschaltung von Juden aus dem Handwerk bekanntgegeben worden war. Außerdem wurden Juden immer stärker von jeder Teilhabe am öffentlichen Leben ausgeschlossen. Das Innenministerium erließ am 21. Juni entsprechend diskriminierende Richtlinien über den Aufenthalt von Juden in Bädern und Kurorten. Sie durften seitdem nur noch in Hotels absteigen, in denen das weibliche Personal mindestens 45 Jahren alt war, durften nur zu festgelegten Zeiten baden und kuren die Kuranlagen ansonsten nicht mehr benutzen.
Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung
Bis Juni 1939 hatte die Nationalität für die Mitgliedschaft in einer Jüdischen Gemeinde in Deutschland keine Rolle gespielt. Die meisten in Deutschland lebenden Juden anderer Nationalität wurden Mitglieder der Gemeinden, in denen sie ihren Wohnsitz hatten. Dieses Verfahren änderte sich im Juni jedoch grundlegend dadurch, dass alle deutschen und staatenlosen Juden in Deutschland zwangsweise in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ eingegliedert wurden. Damit konnten nunmehr Juden anderer Nationalitäten – vor allem die zahlreichen „Ostjuden“ mit polnischer Staatsangehörigkeit – künftig nicht mehr durch die Reichsvereinigung unterstützt werden und waren allein auf die Hilfe des „Verbandes polnischer Juden“ angewiesen. Als der dann schließlich unmittelbar nach Kriegsbeginn am 19. September 1939 verboten wurde, gab es keine jüdische Einrichtung mehr, die sich um die Belange der polnischen Juden in Deutschland hätte kümmern können.