Richtlinien zur Durchführung der Deportation von Juden
Am 20. Februar 1943 erlässt das RSHA folgende "Richtlinien zur technischen Durchführung der Evakuierung von Juden nach dem Osten (KL Auschwitz)":
Reichssicherheitshauptamt Berlin, den 20. Februar 1943
IV B 4 s 2093/42 g (391)
Richtlinien
zur technischen Durchführung der Evakuierung von Juden nach dem Osten (KL Auschwitz)
Für die Evakuierung von Juden aus dem Reichsgebiet und Böhmen und Mähren nach dem Osten werden unter Aufhebung der bisher ergangenen Erlässe folgende Richtlinien, die in allen Punken genau einzuhalten sind, aufgestellt:
I. Zuständige Dienststellen.
Die Durchführung obliegt den Staatspolizei(leit)stellen (in Wien wie bisher der Abwicklungsstelle der Zentralstelle für jüdische Auswanderung Wien in Zusammenarbeit mit der Staatspolizeileitstelle Wien, im Protektorat dem Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD, Zentralamt für die Regelung der Judenfrage in Böhmen und Mähren, Prag).
Aufgabe dieser Dienststellen ist neben der Konzentrierung und der personellen Erfassung des zu evakuierenden Personenkreises der Abtransport dieser Juden mit Sonderzügen der Deutschen Reichsbahn gemäß dem vom Reichssicherheitshauptamt im Benehmen mit dem Reichsverkehrsministerium aufgestellten Fahrplan und die Regelung der vermögensrechtlichen Angelegenheiten.
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II. Bestimmung des zu evakuierenden Personenkreises:
Erfasst werden können im Zuge dieser Evakuierungsaktion alle Juden (§ 5 der 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935, RGBl. I, S. 1333), abgesehen von vorerst folgenden Ausnahmen:
1./ In deutsch-jüdischer Mischehe lebende Juden sowie
a/ jüdische Ehegatten einer nicht mehr bestehenden deutsch-jüdischen Mischehe, die gemäß § 3,
Abs. a) der Polizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden vom 1.9.41 (RGBl. I, S. 547)
vom Kennzeichnungszwang befreit sind,
b/ jüdische Mischlinge, die nach § 5 (2) der 1. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.35
(RGBl. I, S. 1333) als Juden gelten, sofern sie nicht noch mit einem Juden verheiratet sein
sollten.
2./ Juden, die auf Grund besonderer Erlasse des Reichssicherheitshauptamtes, IV B 4, vorläufig von
der Evakuierung zurückgestellen sind.
3./ Juden im Alter von über 65 Jahren. Bei jüdischen Ehen, in denen ein Eheteil unter 65 Jahre und
der andere über 65 Jahre alt ist, können beide Teile evakuiert werden.
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4./ Inhaber des Verwundetenabzeichens und Träger hoher Tapferkeitsauszeichnungen (EK I,
Goldene Tapferkeitsmedaille usw.)
5./ Nach einem hier vorliegenden Antrag des Reichsministerium des Innern Juden bezw.
Geltungsjuden, bei denen nachstehende sogenannte Härtefälle zutreffen (die weitere
Behandlung bezw. Überprüfung ist zu gegebener Zeit vor[..]):
a/ Der Austritt aus der jüdischen Religionsgemeinschaft ist erst nach dem Stichtag (15.9.1935),
aber vor der Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich erfolgt. (Gilt nur für
ehemals österreichische Staatsangehörige).
b/ Es ist glaubhaft gemacht, dass der Halbjude rechtzeitig, d. h. spätestens vor der
Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich aus der Jüdischen
Religionsgemeinschaft ausgetreten wäre, wenn ihm dies nicht durch das österreichische Gesetz
vom 25.5.1868 über die interkonfessionellen Verhältnisse der Staatsbürger (RGBl. für
Österreich 1868 S. 99) verwehrt gewesen wäre, weil das Gesetz einen Wechsel des
Religionsbekenntnisses zwischen dem vollendeten 7. und dem vollendeten 14. Lebensjahr
verbot. (Gilt nur für ehemals österreichische Staatsangehörige).
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c/ Der Wille zum tatsächlichen Austritt aus der jüdischen Religionsgemeinschaft ist vor dem
Stichtag (15.9.1935) bewiesen, doch ist der nach den staatlichen Gesetzen vorgeschriebene
förmliche Austritt aus der jüdischen Religionsgemeinschaft aus entschuldbaren Gründen nicht
oder nicht formgerecht vollzogen worden.
7./ Eine Trennung von Ehegatten sowie von Kindern bis zu 14 Jahren von den Eltern ist nach
Tunlichkeit zu vermeiden.
Hinsichtlich der Behandlung der Juden mit ausländischer Staatsangehörigkeit ergehen gesondert Weisungen.
III. Transport.
Es empfiehlt sich, die zu evakuierenden Juden vor dem Abtransport zu konzentrieren. Transporte werden jeweils in Stärke von mindestens je 1.000 Juden nach dem im Einvernehmen mit dem Reichsverkehrsministerium erstellten Fahrplan, der den beteiligten Dienststellen zugeht, durchgeführt.
Es muß pro Person mitgenommen werden:
Marschverpflegung für etwa 5 Tage,
1 Koffer oder Rucksack mit Ausrüstungsgegenständen und zwar:
1 Paar derbe Arbeitsstiefel,
2 Paar Socken,
2 Hemden,
2 Unterhosen,
1 Arbeitsanzug,
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2 Wolldecken,
2 Garnituren Bettzeug (Bezüge mit Laken)
1 Essnapf
1 Trinkbecher
1 Löffel und
1 Pullover.
Nicht mitgenommen werden dürfen:
Wertpapiere, Devisen, Sparkassenbücher usw.,
Wertsachen jeder Art (Gold, Silber, Platin - mit Ausnahme des Eheringes),
Lebendes Inventar,
Lebensmittelkarten (vorher abnehmen und den örtlichen Wirtschaftsämtern übergeben).
Vor Abgang der Transporte ist eine Durchsuchung nach Waffen, Munition, Sprengstoffen, Gift, Devisen, Schmuck, usw. vorzunehmen.
Für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung während der Fahrt und die Reinigung der Wagen nach Verlassen des Zuges sind jüdische Ordner einzuteilen.
Bei Abmeldung der Juden ist in den Melderegistern der Meldeämter nicht der Zielort, sondern lediglich „unbekannt verzogen” anzuführen.
IV. Transportbegleitung.
Für die Sicherung der Transporte ist jedem Transportzug eine entsprechend ausgerüstete Begleitmannschaft (in der Regel Ordnungspolizei in Stärke von 1 Führer und 15 Mann) zuzuteilen, die unter Hinweis auf die ständigen Fluchtversuche eingehend über ihre Aufgaben und die bei Fluchtversuchen zu treffenden Maßnahmen zu belehren sind.
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Dem Führer der Begleitmannschaft muß eine für die den Transport empfangende Dienststelle bestimmte namentliche Liste der mitgeführten Personen in zweifacher Ausfertigung ausgehändigt werden. In der Transportliste sind außer Personaldaten auch die Berufe aufzuführen.
V. Meldewesen.
Die von der Reichsbahn ausgearbeiteten Fahrpläne (Abfahrtszeiten) sind verbindlich und können nicht mehr geändert werden; sie sind daher von den abfertigenden Dienststellen genau einzuhalten. Ebenso sind die an Hand der Fahrpläne abgestellten Sonderzüge restlos auszunutzen.
Die Abfahrt jedes Transportzuges ist sofort mit dringendem Fernschreiben oder Telegramm nach beiliegendem Muster (Anlage 1)
a/ dem Reichssicherheitshauptamt, Referat IV B 4,
b/ dem Inspekteur der KL in Oranienburg,
c/ dem KL Auschwitz,
bekanntzugeben.
Das Eintreffen der Transporte und die ordnungsgemässe Übernahme am Zielort wird von der empfangenden Dienststelle mit Fernschreiben oder Telegramm nach beiliegendem Muster (Anlage 2) dem Reichssicherheitshauptamt, Referat IV B 4, mitgeteilt.
VII. Kosten der Evakuierung.
Die Verrechnung der durch die Evakuierung entstehenden Kosten ist mit Erlass II C 1/2 - Nr. 650/41 238 - 10 - vom 10.1.1942 geregelt.
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VIII. Behandlung des Vermögens der Evakuierten.
Für die Behandlung des Vermögens der Evakuierten sind die jeweils gesondert ergehenden Weisungen maßgebend.