Oktober 1933
Kaum war der Reichsnährstand ins Leben gerufen und das Erbhofgesetz verabschiedet, wurde am 1. Oktober in Bückeburg erstmals das Erntedankfest gefeiert. 500.000 Landwirte waren nach offiziellen Angaben dem Aufruf von Ernährungsminister Darré gefolgt, der – in Anwesenheit Hitlers - auch die Festrede hielt. Darin betonte er, dass das künftige Schicksal der deutschen Bauern mit ihrem „Bauernkanzler“ Adolf Hitler verknüpft sei.
Der 1. Oktober verdeutlichte zugleich, dass die NS-Politik selbst vor dem Essen keinen Halt machte. Der Tag stand nämlich im Zeichen des ersten „Eintopfsonntags“ zugunsten des Winterhilfswerks (WHW). Bis in den März des Folgejahres sollte künftig in Privathaushalten und zwischen 11 und 17 Uhr auch in Gaststätten an jedem ersten Sonntag im Monat ein Eintopfessen zum Herstellungspreis von 50 Pfennig auf den Tischen stehen, während die Differenz zum „normalen“ Sonntagsessen unter dem Motto „Kampf gegen Hunger und Kälte“ als Spende dem WHW und somit der „Volksgemeinschaft“ zugutekommen sollte. Als „Sozialismus der Tat“ sollte so Solidarität mit „wirklich Bedürftigen“ und damit eine tatsächliche „Volksgemeinschaft“ demonstriert werden. Deshalb reichte es auch nicht, lediglich die entsprechende Geldspende abzugeben, sondern tatsächlich Eintopf zu essen, was – zumindest stichprobenartig – durch NS-Amtswalter überprüft werden sollte. Zusätzlich zum Eintopfessen fanden an diesen Tagen Sammlungen von Geld und Lebensmitteln statt.
Politisch wurde der Monat durch den am 14. Oktober von Propagandaminister Goebbels verkündeten Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund bestimmt, der fünf Tage später auch formell erklärt wurde. Zugleich wurde der am 5. März gewählte Reichstag, der lediglich dreimal (am 21. und 23. März sowie am 17. Mai) getagt hatte, aufgelöst und für den 12. November Neuwahlen angesetzt. Gleiches galt – allerdings ohne Neuwahlen – für sämtliche Länderparlamente. In einer abendlichen Rundfunkansprache warb Adolf Hitler für Verständnis für diesen Schritt, den er mit den „bitteren Enttäuschungen“ begründet, die die Reichsregierung mit ihrem Wunsch nach militärischer Gleichberechtigung erfahren habe. Man könne als „rechtlose und zweitklassige Nation“ nicht mehr an Verhandlungen teilnehmen und damit das „Diktat von Versailles“ akzeptieren und „verewigen“. Am 12. November solle das deutsche Volk über eine Billigung des Austritts aus dem Völkerbund abstimmen. Dabei gab sich Hitler wieder betont friedliebend: „Wenn die Welt beschließt, dass sämtliche Waffen bis zum letzten Maschinengewehr zu vernichten sind: Wir sind bereit, sofort einer solchen Konvention beizutreten.“
Mit einer Rede im Berliner Sportpalast eröffnete er dann am 24. Oktober den Wahlkampf für die Reichstags-„Wahl“ und das Referendum im November. Hierin betonte er wiederum, der Aufbau des „neuen Deutschland“ würde im Ausland durch „Gräuellügen“ über eine angebliche „Terrorherrschaft“ verunglimpft, während die deutsche Regierung doch nichts als den Frieden wünsche. Das beherrschende Thema von Rede und Wahlkampf war die Wiederherstellung der angegriffenen deutschen "Ehre", wobei die Tatsache, dass am 12. November nicht nur eine Volksabstimmung, sondern auch eine Wahl stattfinden würde, völlig in den Hintergrund rückte. Weil seit dem 14. Juli aber ohnehin alle Parteien außer der NSDAP verboten waren, gab es ohnehin nur die Option der Zustimmung oder Ablehnung. Um eine abschreckende Wirkung der stets drohenden Überwachung und Verfolgung politisch Andersdenkender aufrechtzuerhalten, erneuerte Hermann Göring als preußischer Ministerpräsident am 4. Oktober seinen Schießerlass vom 17. Februar und erteilt den Polizeibeamten die ausdrückliche Erlaubnis, auf Verteiler illegaler Flugblätter, sofern sie bei Anruf nicht direkt stehenbleiben würden, sofort zu schießen. Zugleich wurde der Öffentlichkeit eine weitgehende Übereinstimmung von NS-Regime und deutschen Kulturschaffenden vor Augen geführt: Am 26. Oktober veröffentlichte die „Vossische Zeitung“ ein von 88 deutschen Schriftstellern unterzeichnetes „Treuegelöbnis“ für Hitler, in dem – mit Ausnahme von Gerhard Hauptmann – sämtliche in Deutschland verbliebene und nicht mit einem Schreibverbot belegte namhafte Autoren auf „feierlichste“ Weise Adolf Hitler ihre „treueste Gefolgschaft“ schworen.
Auch die katholische Kirche schlug in diesem Monat einen deutlichen Anpassungskurs ein. Am 3. Oktober wurde eine regierungsnahe „Arbeitsgemeinschaft katholischer Deutscher“ gebildet, die unter Führung Franz von Papens auf Anweisung des „Führer“-Stellvertreters Rudolf Heß die deutschen Katholiken für eine „rückhaltlose Mitarbeit“ im NS-Staat gewinnen wollte. Tatsächlich stellte sich genau eine Woche später Conrad Gröber als Erzbischof von Freiburg „restlos hinter die neue Regierung und das neue Reich“. Und am 28. Oktober dankte Clemens August Graf von Galen als Bischof von Münster in einem Hirtenbrief Gott für dessen „liebevolle Führung“, die die „höchsten Führer unseres Vaterlandes erleuchtet und gestärkt“ habe, damit sie die „furchtbare Gefahr, welche unserem geliebten deutschen Volke durch die offene Propaganda für Gottlosigkeit und Unsittlichkeit drohte“, erkannt hätten und nun „mit starker Hand auszurotten“ versuchten.
Durch das am 4. Oktober erlassene Schriftleitergesetz verloren nun auch die Journalisten in Deutschland ihre Unabhängigkeit und hatten künftig lediglich als bloße Sprachrohe offizieller Regierungspolitik zu dienen. Von „Schriftleitern“, also Redakteuren, wurde nämlich nunmehr die Eignung erwartet, die „Aufgabe der geistigen Einwirkung auf die Öffentlichkeit“ im NS-Sinne zu erfüllen. Dagegen durfte künftig kein Journalist mehr Meldungen verbreiten, die den Machthabern geeignet erscheinen konnten, „die Kraft des Deutschen Reiches nach außen oder im Innern, den Gemeinschaftswillen des deutschen Volkes, die deutsche Wehrhaftigkeit, Kultur oder Wirtschaft“ zu schwächen. Wie strikt die Beachtung der neuen Richtlinien durchgeführt und wie drastisch etwaige Verstöße geahndet wurden, legte das Beispiel der „Essener Allgemeinen Zeitung“ dar. Sie veröffentlichte am 17. Oktober einen Artikel über ein Schulfest – allerdings mit falschem Bild: Unter der Überschrift „lustiges Komödienspiel“ war hier keine Schulfeier, sondern eine Fahnenweihe der SA zu sehen. Dieses (vermutliche) Versehen brachte der Zeitung ein viertägiges Verbot und dem Verleger sowie allen an dem Vorfall Beteiligten eine Verhaftung wegen Beleidigung der SA ein.