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Chronik und Quellen
1935
November 1935

Die Gestapo Koblenz berichtet

Die Gestapo Koblenz berichtete über den Monat November 1935:

„Die Einzelaktionen gegen die Juden haben erheblich nachgelassen. Nur vereinzelt ist es noch zu Ausschreitungen gekommen. So sind in der Nacht zum 13.11.35 der Winzer Robert Kaufmann gemeinsam mit dem Küfer Wilhelm Michels, dem Kellereiarbeiter Ignatz Neef und dem Arbeiter Franz Greisler, alle wohnhaft in Treis, mittels einer Leiter durch eine offene Fensterluke in das Dachgeschoß der jüdischen Synagoge in Treis eingestiegen. Aus dem Inneren der Synagoge haben die Täter mehrere, dem Gottesdienst gewidmete Gegenstände entwendet und die Sachen in einem verfallenen Keller innerhalb des Ortes versteckt. Die Täter wurden durch den Nachtwächter bei ihrer Arbeit überrascht und der Polizei sofort angezeigt. Infolgedessen war es möglich, sie frühmorgens festzunehmen und dem Richter vorzuführen, der Haftbefehl erließ.

Infolge der Nürnberger Gesetze halten sich die Juden sehr zurück. Die Ausführungsbestimmungen zu dem Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre werden bezüglich des Haltens von deutschen Dienstmädchen in arisch-jüdischen Haushalten in nationalsozialistischen Kreisen keineswegs als ausreichend angesehen. Man ist durchweg der Meinung, daß das Halten weiblicher Angehöriger deutschen oder artverwandten Blutes in Haushalten auch dann verboten sein müßte, wenn beispielsweise der Mann Jude oder die Frau Jüdin ist.

Der Rückgang der Kunden der jüdischen Geschäfte hält weiter an. Das größte jüdische Manufakturwarengeschäft in Simmern, das im Oktober 1934 noch einen Umsatz von 14.089,- RM hatte, konnte im Oktober 1935 nur noch einen Umsatz von 3803,- RM erzielen. Die Aufgabe jüdischer Geschäfte in Simmern macht weitere Fortschritte. Ebenso hält die Neigung zur Abwanderung an. In der Stadt Simmern ist die Zahl der Juden nach der Machtergreifung um etwa 50% zurückgegangen. In Koblenz ist das jüdische „Frankfurter-Damenkonfektionshaus“ in arischen Besitz übergegangen, andere jüdische Geschäfte stehen in Verkaufsverhandlungen.

Der Viehhandel befindet sich zu einem erheblichen Teil wieder in den Händen der Juden. Zwei jüdische Händler in Neuwied, die sich bereits zur Ruhe gesetzt hatten, haben ihre Tätigkeit wieder aufgenommen. Aus den Ein- u. Verkaufsbüchern der jüdischen Viehhändler geht hervor, daß diese jetzt mehr Vieh umsetzen als 1932. So wurde bei dem jüdischen Viehhändler Salomon in Niederbieber festgestellt, daß er im Oktober und November 1932 nur etwa 4 Stck. Vieh und in derselben Zeit 1935 etwa 35 Stück Vieh umgesetzt hat. Das Auftreten der jüdischen Viehhändler ist wieder dreister geworden. Das gilt sowohl für den Stallhandel als auch für den Marktverkehr. Die Märkte in den vorhergehenden Monaten waren fast vollständig judenfrei; während in den letzten Wochen wieder ein starker Andrang jüdischer Händler zu den Viehmärkten festgestellt worden ist. Den Judenboykott auf den Viehmärkten versuchen sie dadurch unwirksam zu machen, daß sie arische Knechte oder sonstige Mittelspersonen vorschieben und von ihnen den Markthandel betreiben lassen. Die Schwierigkeiten in der Ausschaltung des jüdischen Einflusses im Viehhandel liegen im wesentlichen in der inneren Haltung in der Landbevölkerung, die immer wieder Neigung zeigt, die alten Geschäftsbeziehungen zu den Juden aufrecht zu erhalten. In der Judenfrage fehlt es vielen Bauern nach wie vor an Einsicht und gutem Willen. Insbesondere ist die beliebte Vermittelung von Nutzvieh, die meist in der Weise geschieht, daß eine alte Kuh gegen eine junge unter entsprechender Zahlung eines Mehrpreises eingetauscht wird, Sache der Juden. Es ist bekannt geworden, daß der Bauer heute sein Vieh tatsächlich zu erhöhten Preisen verkauft. Zu den festgesetzten Preisen ist es weder einem jüdischen, noch einem arischen Händler möglich, Vieh zu kaufen. In hiesigen Metzgerkreisen besteht die Ansicht, daß die Bauern ihr Vieh festhalten, um die Preise hochzutreiben.

Immerhin bleibt festzustellen, daß der jüdische Einfluß auf das Wirtschaftsleben doch sehr erheblich zurückgegangen ist und weiter an Boden verliert.

Die Zionistische Bewegung wirbt mit Erfolg für die Auswanderung. Im Berichtsmonat wurde in Koblenz im Rheinkino der Film „Das Land der Verheißung“ gezeigt. An der Vorführung nahmen etwa 600 Personen teil. Im Gegensatz zu den Zionisten steht der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten auf dem Standpunkt, daß Palästina nicht alle Juden aufnehmen kann. Er ist für eine Auswanderung nach den A-B-C-Staaten. Besonders empfiehlt er Brasilien, welches 17mal größer als Deutschland sei, aber nur etwa 40.000.000 Einwohner habe. Besonders günstig sei die Auswanderung nach Brasilien für Juden im Alter von 14-30 Jahren.

Der jüdische Kulturbund, Bezirk Koblenz, hält laufend Veranstaltungen ab. Seine Mitgliederzahl ist in Koblenz auf fast 400 gewachsen. Die Veranstaltungen sind immer stark besucht. Im großen und ganzen hat die Mehrzahl der Juden die Hoffnung aufgegeben, auf die Dauer in Deutschland verbleiben zu können.“

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