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Chronik und Quellen
1935
Juni 1935

Die Gestapo Koblenz berichtet

Die Gestapo Koblenz berichtete über den Monat Juni 1935:

„Die innenpolitische Entwicklung könnte wesentlich dadurch gefördert werden, wenn in der politischen Schulung mehr als bisher die grossen politischen Ziele in einer intensiven Aufklärungsarbeit behandelt würden, damit die Staatsführung nicht in Zeiten hochpolitischer Verhandlungen durch irgendwelche Unbesonnenheiten gestört, sondern im Gegenteil durch einen einmütigen und gleichgerichteten Volkswillen unterstützt wird. Ich erinnere hier an die bekannten Judenboykottmassnahmen, die in einer Zeit einsetzten, als sie, aussenpolitisch gesehen, am wenigsten tragbar waren. Auch jetzt machen sich wieder Anzeichen bemerkbar, dass die Frage des Judenboykotts erneut von der Partei vorangetrieben werden soll. Soll dies zur Tat werden, so darf erwartet werden, dass den Weisungen des dortigen Erlasses 12. v. Mts. II 1 B 2 - 64131/ J 34/35 Rechnung getragen wird.“

„Die jüdischen Vereinigungen entfalten auch weiterhin eine rege Tätigkeit. So fand in Koblenz am 15. und 16. Juni d. Js. eine Jugendkundgebung der zionistischen Vereinigung „Hechaluz“ Vallendar statt. Am 1. Tage sprach vor annähernd 150 Teilnehmern beiderlei Geschlechts Jehuda Kaufmann aus Köln über „Die Zukunft unserer Jugend“. Er wies dabei auf die Unmöglichkeit hin, die jüdische Jugend in Deutschland in irgend einer Weise einordnen zu wollen und forderte daher zur Unterstützung der zionistischen Organisation in Palästina durch Entsendung junger Juden auf.

Am 2. Tage sprachen vor Teilnehmern aus dem ganzen Bezirk Rheinland-Süd Jehuda Kaufmann und Ester Katznelson aus Köln über organisatorische Fragen und den erzieherischen Aufbau der Organisation in Palästina. In beiden Vorträgen wurde für eine Auswanderung nach Palästina geworben. Ich beziehe mich dieserhalb auf den am 18.6.1935 unter AD Nr. III c 4 erstatteten Bericht.

Ferner hielten die Juden in Andernach einen sogenannten Kulturabend ab, an dem ein Dr. Landau aus Frankfurt (Oder) über jüdische Geschichte sprach.

Weiterhin haben, wie erst jetzt bekannt wird, am 1. Pfingstfeiertag ca. 40 bis 50 junge Juden sich in Urbach, Amt Puderbach, Kreis Neuwied, aufgehalten, dort gelagert, abgekocht und übernachtet. Anscheinend handelte es sich um einen jüdischen Sportverein. Einer der Teilnehmer soll einen Vortrag über Ordnung und Kameradschaft gehalten haben. Überhaupt soll in letzter Zeit eine regere Betätigung der Juden auf sportlichem Gebiet stattgefunden haben. So meldet der Bürgermeister in Castellaun, dass sich dieserhalb eine gewisse Erregung in der Bevölkerung bemerkbar gemacht habe, woraufhin er den Juden die Weiterbenutzung des Sportplatzes untersagt habe.

Die Ausschliessung der Juden von der Ehrenpflicht des Wehrdienstes hat augenscheinlich niederdrückend auf sie gewirkt, zumal sie offensichtlich erwartet hatten, dass ihnen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht die Möglichkeit bieten würde, eine Art Gleichberechtigung wieder zu erlangen.

Leider ist immer noch festzustellen, dass der Umsatz der jüdischen Geschäfte, insbesondere auf dem Lande, kaum zurückgegangen ist. – Bezeichnend für das Verhalten eines grossen Teils der Landbevölkerung gegenüber jüdischen Geschäftsleuten ist ein Vorfall, der sich in Bad Kreuznach abgespielt hat. Hier versuchte ein Landwirt und früherer Anhänger der Wirtschaftspartei dem Vorsitzenden des Kreisparteigerichts klar zu machen, wie schlecht man von Deutschen im Gegensatz zu den jüdischen Geschäftsleuten bedient werde. Ich nehme Bezug auf den Tagesbericht vom 7.6.1935.

Dieses Verhalten ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass noch eine ganze Anzahl Bauern, die infolge der mit Juden zwangsläufig getätigten Vieh- und Düngemittelgeschäften wirtschaftlich vollständig den Juden verfallen und von ihnen abhängig ist. Dieser Umstand führt letzten Endes dazu, dass die Landbevölkerung bei ihren Einkäufen in der Stadt, ohne sich viel Böses dabei zu denken, jüdische Geschäfte berücksichtigt.

Die judenfreundliche Haltung eines Teils der Volksgenossen bestimmte die auf dem Boden der NSDAP stehenden Volksgenossen zu offenem Protest. So kam es in der Berichtszeit wieder im Kreise Kreuznach zu judenfeindlichen Kundgebungen. Leute aus Meisenheim und Umgegend rotteten sich vor dem Grundstück des Juden Kaufmann in Meisenheim zusammen und nahmen eine drohende Haltung ein. Einige drangen dabei in das Gehöft und Wohnhaus des Juden und zerschlugen Fenster und Türen. Ich beziehe mich dieserhalb auf den Tagesbericht vom 6.6.1935.

Weiterhin wurde in Bad Kreuznach ein Feuerwerkskörper, ein sogenannter Kanonenschlag, von einem Vertreter der judenfeindlichen Richtung auf einen Schuppen eines jüdischen Geschäftshauses der Gebrüder Drucker geworfen. Ich nehme Bezug auf den Tagesbericht vom 17.6.1935.

Zwecks Durchführung des Juden-Boykotts wurden u.a. in Koblenz und in Boppard in den Hauptgeschäftsstrassen Transparente, deren Überschrift vor dem Einkauf in den jüdischen Geschäften warnte, angebracht. Die Transparente wurden, soweit sie zum Boykott aufforderten, auf polizeiliche Anordnung hin entfernt. Ich beziehe mich dieserhalb auf den Tagesbericht vom 13.6.1935.“

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