Die Gestapo Düsseldorf berichtet
Die Gestapo Düsseldorf berichtete über den Monat Februar 1936:
„Die Juden in der Wirtschaft haben im Berichtsmonat dadurch weiter an Einfluß verloren, daß erneut eine Anzahl jüdischer Firmen aller Größen in arischen Besitz übergegangen ist. Außerdem schweben eine Reihe von Verhandlungen mit dem gleichen Ziel. Mehrere Geschäfte sind nach einem „Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe“, da sich entweder die Verkaufs- oder Pachtverhandlungen zerschlagen haben, oder solche überhaupt nicht beabsichtigt waren, aufgelöst worden. Infolge des stillen Boykotts jüdischer Geschäfte im Zusammenhang mit der stetigen Schrumpfung des allgemeinen Umsatzes wird die Existenzbasis jüdischer Firmen täglich geringer. Wo sich jüdische Geschäfte noch eines regen Zuspruchs erfreuen, spielt der „billige Kaufpreis“ oder die „größere Auswahl“ eine wichtige Rolle.“
„Die Juden haben sich im Berichtsmonat zurückhaltend gezeigt. Nach der Ermordung des Landesleiters Gustloff in Davos hörte man in jüdischen Kreisen des öfteren, daß die Juden in Deutschland die Leidtragenden dieser Mordtat seien.
Nachdem die Veranstaltungen des jüdischen Kulturbundes verboten worden waren, enthielten sich auch die übrigen jüdischen Organisationen zum größten Teil jeder Versammlungstätigkeit. Es haben nur wenige Versammlungen stattgefunden, die im großen und ganzen der Werbung für den Zionismus dienten. So hielt am 26.II.1936 die zionistische Vereinigung, Ortsgruppe Duisburg, einen gut besuchten Vortragsabend ab. An Stelle des verhinderten Rechtsanwalts Dr. David Schloßberg, Berlin, sprach Assessor Guthmann, Düsseldorf, über das Thema „Hilfe durch Aufbau – die Antwort des Zionismus“. Anknüpfend an die Geschichte der europäischen Juden der letzten 200 Jahre wies der Redner nach, daß die Judenfrage zu allen Zeiten bestanden habe. Den heutigen Stand dieser Frage erläuterte er in kultureller Hinsicht an den deutschen, in politischer Hinsicht an den sowjetrussischen, in wirtschaftlicher Hinsicht an den polnischen Verhältnissen. Er kam dabei zu dem Schluß, daß die Lage der Juden in diesen Ländern unhaltbar geworden sei. Aber auch die Auswanderung nach den überseeischen Ländern bringe keine endgültige Lösung der Judenfrage. Den richtigen Weg weise nur der Zionismus durch den Aufbau eines jüdischen Nationalstaates in Palästina. Zwar sei es noch ein weiter Weg bis zu diesem Ziel aber Rückschläge seien nicht zu vermeiden, jedoch sei schon ein großer Teil der zionistischen Idee, die Herzl im Jahre 1895 entwickelt habe, verwirklicht worden. Rückschläge habe es auch schon damals gegeben, aber die Aufwärtsbewegung der Arbeit sei unverkennbar.
In einer Veranstaltung des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten, Ortsgruppe Wesel, sprach ein Dr. Salomon, Köln, von der Leitung des Landesverbandes Westdeutschland im Reichsbund jüdischer Frontsoldaten zu dem Thema: „Wollen und Wirken um die Zukunft“. Der Redner führte insbesondere aus, daß sich die Juden nach den Nürnberger Gesetzen als Gäste Deutschlands zu betrachten hätten und loyal führen müßten. Das Recht des Staates, in den sie eingegliedert seien, wäre auch ihr oberstes Gesetz. Die neue Zeit hätte aber auch ihr gutes, und zwar würde die jüdische Erneuerung auf geistigem und religiösem Gebiete vorangetragen. Durch das Verbot der Mischehe käme das Urjüdische wieder bei den Juden zur Geltung. Ein großer Teil der Juden sei jetzt schon stolz darauf, Jude zu sein. In längeren Ausführungen nahm dann Dr. Salomon zu dem Auswanderungsproblem Stellung. Unter Hinweis auf die jüdische Geschichte legte er dar, daß jeder einzelne Jude die jüdische Geschichte als ein Stück seiner selbst empfinden müsse, um innerlich wieder Wurzel fassen zu können. Wenn der Jude auch Gast im deutschen Volke sei, so gäbe es doch etwas auf der Welt, das ihm keiner nehmen könne, nämlich die jüdische Eigenart. Wohin auch der Jude verschlagen werde, stets werde er wieder Boden unter die Füße bekommen. Zu begrüßen seien daher die Bestrebungen, eine Arbeitsgemeinschaft zwischen dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten und dem Zionismus herzustellen. Der Redner warnte aber vor übereiliger Auswanderung und riet, daß sich zunächst die jüngeren Juden mit dieser Frage befassen sollten, dabei jedoch genügend Rat einholen möchten. Von den Hunderttausend ausgewanderten Juden seien nur etwa 30.000 nach Palästina gegangen. Der Redner nannte dann noch als Auswanderungsländer Südamerika, Afrika und die Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Nach Inkrafttreten des § 3 des Blutschutzgesetzes haben die Einstellungen ausländischer, insbesondere niederländischer, weiblicher Hausangestellter erheblich zugenommen. Eine Nachprüfung der hier bekannt gewordenen Fälle ergab, daß es sich durchweg um Arbeitnehmerinnen tschechischer und niederländischer Staatsangehörigkeit handelt, die schon längere Zeit, teilweise seit Geburt, in Deutschland ansässig sind. Derartige Fälle rufen in der Öffentlichkeit berechtigtes Aufsehen hervor, da die Mädchen ihrem ganzen Wesen nach schon vollständig deutsch geworden sind. Als Beispiel sei folgender Fall angeführt: Die jüngste Tochter eines seit ca. 40 Jahren in Duisburg ansässigen Holländers nahm bei einem Juden Stellung. Ihre drei älteren Schwestern sind mit deutschen Männern verheiratet. Die jetzt siebzehnjährige Holländerin wird aller Voraussicht nach einen deutschen Mann heiraten. Ein Eingreifen des Arbeitsamtes ist in derartigen Fällen nicht möglich, da die Arbeitsgenehmigung mit Rücksicht auf die im Ausland beschäftigten Deutschen vom Landesarbeitsamt ohne weiteres erteilt wird.
An Einzelaktionen sind im Berichtsmonat folgende Fälle zu verzeichnen.
Der jüdische Kaufmann Julius Abraham veranstaltet bis zum 1.4.1935 in seinem in Duisburg-Ruhrort, Fabrikstraße 37, gelegenen Haushaltswarengeschäft einen Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe. Zu Beginn des Ausverkaufs in den ersten Februartagen war das Geschäft so stark besucht, daß es zu allgemeiner Erregung in der Ruhrorter Bürgerschaft kam. Am 5. und 6.II.1936 wurden in den Abendstunden zwei Oberlichtscheiben eingeworfen. Dabei wurde eine mit einer Art Tränengas erzeugenden Flüssigkeit gefüllte Bierflasche in das Lokal geworfen, die dort zersprang. Ferner wurden in der gleichen Nacht Schaufenster und Türen des Geschäftes mit roter Farbe und mit Teer beschmiert. Die sofort angestellten Ermittlungen nach den Tätern blieben ohne Erfolg.
Am 10. Februar 1936, gegen 2:40 Uhr, wurden durch den Wachmann Wilhelm Schmitz aus Hemmerden im Kreise Grevenbroich-Neuss an dem Hause des jüdischen Händlers Jakob Daniel aus Bedburdyck mit einem Zaunpfahl zwei Oberlichtfenster eingeschlagen. Als der Sohn des Geschädigten mit dem Fahrrade den Täter, der noch in Begleitung einer weiteren Person war, verfolgte und einholte, wurde er von diesem mit einem Gummiknüppel verprügelt, so daß er unter Zurücklassung des Fahrrades und eines von ihm mitgeführten Stahlstockes flüchten mußte. Schmitz schoß mit einem Revolver hinter dem Fliehenden her. Daniel kam nach kurzer Zeit mit seinem Vater zurück und holte sein Fahrrad wieder. Auf dem Nachhauseweg wurden beide von Schmitz verfolgt und an der Schule zu Bedburdyck von diesem erneut angegriffen. Hierbei erhielt der Beschädigte, Daniel sen., mit dem Gummiknüppel einen Schlag über den Kopf. Die Angegriffenen verteidigten sich mit einer mitgeführten Zaunlatte und wurden daraufhin von Schmitz bedroht mit den Worten: „Drei Schritte vom Leib oder ich schieße“. Daniels (Vater und Sohn) flüchteten nunmehr in ihre Wohnung. Gegen Schmitz wurde Strafanzeige erstattet. Die polizeilichen Vernehmungen stehen vor dem Abschluß.
In der zum Landkreis Moers gehörigen Gemeinde Meerbeck wurde in der Nacht vom 23. zum 24. Februar 1936 an dem jüdischen Geschäft Willi Meyer eine Schaufensterscheibe zertrümmert. Die Tat ist mutmaßlich von jungen Leuten, die von einer Fastnachtsfeier kamen, begangen worden. Die bisherigen Ermittlungen nach den Tätern sind ergebnislos verlaufen.
An besonderen Vorkommnissen dürften die nachstehenden Fälle Erwähnung finden:
Vertraulich wurde der Wochenbrief Nr. 1/36 der Bundesleitung „Bund deutsch-jüdischer Jugend“ bekannt. In diesem Wochenbrief heißt es, daß die Staatspolizei in Berlin an den Bund die Forderung gerichtet habe, den Bundesnamen zu ändern, insbesondere die Bezeichnung „deutsch“ aus dem Titel zu entfernen. Es wird nun von der Bundesleitung der Titel „Der Ring, Bund jüdischer Jugend“ in Vorschlag gebracht. Ein anderer Vorschlag lautet: „Der Ring. Bund der jüdischen Jugend“, damit die Abkürzung „BdjJ“ bestehen bleiben kann. In dem Schreiben heißt es weiter, daß sich die Bundesleitung nicht für zuständig gehalten habe, diese in das Wesen des Bundes so einschneidende Frage allein zu entscheiden. Sie fordert deshalb ihre Mitglieder auf, neue Vorschläge einzureichen.
In der jüdischen Gemeindeschule in Rheydt wurde ein Bild des Führers festgestellt. Die Ermittlungen nach der Herkunft des Bildes ergaben, daß das Bild von der Stadtverwaltung Rheydt der Schule zum Aufhängen geliefert worden ist. Auf Antrag der Kreisleitung wurde das Bild aus der Schule wieder entfernt.
Am 11.2.1936 wurde der jüdische Fabrikant Paul Hellendall in Düsseldorf, Weddingstraße 15a wohnhaft, wegen sittlicher Verfehlungen, begangen an ihm unterstellten jugendlichen männlichen Arbeitnehmern, festgenommen. H. ist überführt, mit drei jungen Leuten Unzucht getrieben zu haben, in drei weiteren Fällen ist es beim Versuch geblieben. H. wurde dem Richter vorgeführt, der gegen ihn Haftbefehl erlassen hat.
Von dem jüdischen Landesverband Rheinland und Westfalen wurden nach einer Mitteilung aus Velbert Rundschreiben an die Mitglieder versandt, wonach diese berechtigt sein sollten, Bedarfsdeckungsscheine des WHW in Zahlung zu nehmen. Die jüdischen Geschäfte brachten hierauf sogleich an ihren Schaufenstern und Eingangstüren Plakate entsprechenden Inhalts an, die verständlicherweise Empörung in nationalsozialistischen Kreisen hervorriefen. Nach den Feststellungen soll angeblich die Reichsleitung des WHW die Genehmigung erteilt haben, daß die jüdischen Geschäfte die Bedarfsdeckungsscheine annehmen dürften. Nach entsprechender Rücksprache mit den Geschäftsinhabern erklärten diese sich bereit, die Plakate aus den Schaufenstern und Geschäftseingängen zu entfernen, womit die Angelegenheit beigelegt wurde.“