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Chronik und Quellen
1935
Dezember 1935

Die Gestapo Düsseldorf berichtet

Die Gestapo Düsseldorf berichtete über den Monat Dezember 1935:

„Das Judentum hat im Berichtsmonat die in letzter Zeit geübte Zurückhaltung weiterhin gewahrt. In den einzelnen Veranstaltungen wurden vorwiegend Fragen des wirtschaftlichen Aufbaues in Palästina behandelt; daneben wurde für die Auswanderung der jüdischen Jugend nach Palästina geworben.

Die jüdischen Frauenbünde haben sich mehr mit dem ab 1.1.1936 eingetretenen Wechsel der Hausangestellten beschäftigt. Von einem großen Teil jüdischer Haushalte sind bereits Anträge auf Erleichterung der Bestimmungen bezw. Weiterbeschäftigung von älterem arischen Personal bei den Polizeiverwaltungen gestellt worden. Auch von älteren aber noch nicht der Altersgrenze unterliegenden weiblichen Angestellten sind Anträge auf Belassung in jüdischen Diensten vorgelegt worden mit der Begründung, daß sie bereits lange Jahre ihre jetzige Dienststelle inne haben und befürchten, daß ihnen vom Arbeitsamt infolge ihres Alters eine andere Stelle nicht vermittelt worden könne.

Die einzelnen Ortsgruppen des „Reichsbundes ostjüdischer Organisationen in Deutschland“ haben die auf der Weltkonferenz der polnischen Juden in London beschlossene Auflösung dieser Organisation unter gleichzeitiger Gründung von Ortsgruppen des „Reichsverbandes polnischer Juden in Deutschland“ durchgeführt.

In Wuppertal-Barmen wurde eine Ortsgruppe des zionistischen Jugendbundes „Makkabi Hazair“ gegründet, die z.Zt. 15 Mitglieder zählt.

Der jüdische Kulturbund hat einige Theater- und Konzertabende zum Besten der jüdischen Winterhilfe veranstaltet.

Wie inzwischen in Erfahrung gebracht wurde, findet die vorgesehene Delegiertentagung der zionistischen Vereinigung für Deutschland vom 19. bis 21.1.1936 in Berlin, Lützowstraße 76 (Bach-Saal) statt.

Zu den einzelnen Veranstaltungen bemerke ich insbesondere Folgendes:

In der Versammlung des jüdischen Kulturbundes, Ortsgruppe Duisburg, hielt am 16.12.1935 der Leiter der jüdischen Kulturbünde, Dr. Singer, Berlin, einen Vortrag zu dem Thema: „Aufbau und Ausbau der jüdischen Kulturarbeit in Deutschland“. Er gab dabei einen Überblick über die bisher geleistete Arbeit und regte an, um den starken Mangel an jüdischen Kunstwerken in etwa auszugleichen, vorsichtig und vorerst in beschränktem Maße die chassidischen und jiddischen Werke der Dichtkunst heranzuziehen.

Am 18.12.1935 sprach der Rabbiner Dr. Neumark, Duisburg , in einer Versammlung der Ortsgruppe jüdischer Frauen für Palästinaarbeit über Bialik, den er als Dichter und Schöpfer einer neuen jüdischen Kultur und neuen jüdischen Lebensgefühls feierte.

In einer Veranstaltung des Frauenklubs Wuppertal des jüdischen Kulturbundes Rhein-Ruhr behandelte der Vortragende, Dr. Singer, Berlin, das Thema der obigen Veranstaltung des jüdischen Kulturbundes, Ortsgruppe Duisburg, vom 16.12.1935. Sonderbericht über diese Veranstaltung wird in Kürze vorgelegt.

Der Verkauf jüdischer Geschäfte an arische Gewerbetreibende dauert an. So sind u.a. in Düsseldorf und Essen wiederum größere jüdische Kaufhäuser in arischen Besitz übergegangen.

Der Centralverein, Landesverband Rheinland-Westfalen, in Essen und der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, Landesverband Westdeutschland, in Köln, haben Beschwerde darüber geführt, daß vor den jüdischen Einzelhandelsgeschäften in Goch SA-Leute die Wochenzeitung „Der Stürmer“ als Kampforgan gegen die Judengefahr wiederholt angeboten haben. Angeblich ist das kauflustige Publikum verschiedentlich durch die Bemerkung „Hier ist ein jüdisches Geschäft“ vom Betreten der jüdischen Geschäftsräume abgehalten worden. Die Ermittlungen haben ergeben, daß die vorgebrachten Beschwerden stark übertrieben waren und eine Belästigung der Kunden jüdischer Geschäfte nicht stattgefunden hat. Der Verkauf des „Stürmers“ ist jeweilig in angemessener Entfernung der jüdischen Geschäfte und außerdem gleichzeitig in der ganzen Stadt erfolgt. Um künftig die Andeutung angeblicher Belästigungen der jüdischen Geschäftsleute auszuschließen, wurde mit den maßgebunden Stellen vereinbart, daß der Verkauf dieser Zeitungen in der näheren und weiteren Umgebung jüdischer Geschäftshäuser künftig unterbleibt.

Über besonders bemerkenswerte Vorkommnisse ist Folgendes zu berichten:

Wie ich bereits durch Tagesbericht mitgeteilt habe, wurde der jüdische Händler Josef Cohen, geb. 24.5.85 in Coesfeld, wohnhaft Essen, Hedwigstr. 8, am 16.12.1935 in seiner Wohnung erhängt aufgefunden. Nach den von der Mordkommission getroffenen Feststellungen lag unzweifelhaft Selbstmord vor. Cohen befand sich seit dem 12.9.1935 wegen Volksverrats in Untersuchungshaft. Er hatte es unternommen, durch Lügenhetze unwahre Nachrichten ins Ausland gelangen zu lassen, die geeignet waren, schwere wirtschaftliche Nachteile für Deutschland herbeizuführen. Am 13.12.1935 wurde er vom Sondergericht in Dortmund unter Anrechnung der Untersuchungshaft zu 3 Monaten Gefängnis verurteilt; anschließend erfolgte seine Freilassung. Das Motiv zum Selbstmord ist nach Angaben seiner Frau darin zu suchen, daß C. befürchtet hatte, er würde aufgrund der erfolgten Bestrafung einen Wandergewerbeschein nicht mehr erhalten. Wie seine Ehefrau weiter bekundet, hat C. bereits vor etwa 5 Jahren einen Selbstmordversuch unternommen, weil er infolge eines Geschäftszusammenbruchs 9000 RM verloren hatte. Ein Bruder des C. hat vor einigen Jahren ebenfalls Selbstmord durch Erhängen verübt.

Der Vorstand der jüdischen Gemeinde Duisburg-Ruhrort erstattete am 21.11.1935 Anzeige, daß auf dem Judenfriedhof an der Rheinbrückenstraße neun Grabsteine umgefallen seien, die am 16.11.1935 noch gestanden hätten. Der Friedhof wird seit 1894 nicht mehr benutzt. Nach den getroffenen Feststellungen wurden die Steine vermutlich umgestoßen. Der Täter konnte nicht ermittelt werden.

In einem vertraulich Schreiben des z.Zt. in Amsterdam wohnhaften Juden Abraham Landau, der als Erzeuger von drei unehelichen Kindern der ledigen Hedwig Fehrling, in Wuppertal-Barmen wohnhaft, in Frage kommt, ersucht L. die Fehrling, an ihn einen anonymen Brief zu schreiben, mit der Schilderung, daß sie von SA-Leuten mit einem Schild um den Hals und dem jüngsten Kind auf dem Arm durch die Straßen Wuppertals geschleift worden sei, bis sie bewußtlos zusammenbrach. Auf dem umgehängten Schild soll auf der einen Seite „Rassenschänderin“ und auf der anderen Seite „Ein Schwein gefallen als Judensau“ gestanden haben. Dem Kind hätte ein Schild umgehangen mit der Aufschrift „Ich bin ein Judenbastard“. Niemand hätte sich um die bewußtlos auf der Straße liegende Frau gekümmert, bis der Polizeiwagen gekommen sei und sie zum Krankenhaus gebracht habe. Die beiden weitern Kinder der F. seien bei Bekannten untergebracht worden.

In der Angelegenheit werde ich in Kürze unter Vorlage des Originalbriefes durch Sonderbericht eingehend berichten.“

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