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Chronik und Quellen
1942
September 1942

Vernehmungsprotokoll der Staatspolizeistelle Köln – Grenzpolizei-Kommissariat Eupen

Hubert Krickel beschreibt im Gestapo-Verhör am 7. und 8. September 1942 eine Organisation zur Fluchthilfe für Juden über die Grenze nach Belgien:

II. Zur Sache:

Ich sehe ein, daß mein bisheriges Leugnen und Bestreiten zwecklos ist, und ich will daher die Wahrheit sagen.

Im Jahre 1937 lernte ich in Brüssel eine gewisse Hella Thirhardt kennen. Es war nur eine vorübergehende Bekanntschaft. Im August 1939 suchte mich die Thirhardt in meiner Wohnung in Raeren auf. Sie wollte mich dazu veranlassen, sie über die damalige belg. Grenze nach Deutschland zu bringen. Dieses Ansinnen lehnte ich jedoch ab, und ich habe die Thirhardt dann mehrere Jahre nicht mehr gesehen. Es kann im Februar dieses Jahres gewesen sein, als sie mich erneut in Raeren aufsuchte und mir den Vorschlag machte, mit ihr geschäftliche Verbindungen aufzunehmen. Als ich sie fragte, welcher Art diese Geschäfte seien, erklärte sie mir, die Verbringung von deutschen Juden aus Deutschland nach Belgien, und stellte mir dabei hohe Verdienstmöglichkeiten in Aussicht. Sie sicherte mir für jeden über die Grenze geführten Juden einen Betrag von 1.750 RM zu. Durch diese hohe Verdienstmöglichkeit ließ ich mich dazu verlocken, einzuwilligen, und ich erwartete daher nähere Nachricht von der Thirhardt, die zwischenzeitlich in Berlin, Nähe Schlesischer Bahnhof, Kleine-Andreasstr. 16, Wohnung genommen hatte. Nach einiger Zeit erhielt ich schriftlich Nachricht von ihr, sie in Berlin aufzusuchen. Ich fuhr dorthin, und wir kamen überein, daß sie in der nächsten Zeit mit verschiedenen Judentransporten von Berlin nach Aachen kommen sollte. Bis zum Eintreffen der Thirhardt mit dem ersten Judentransport sicherte ich mir in Aachen eine Anlaufstelle, u.zw. wandte ich mich an einen alten Bekannten von mir, den Felix Neubert Aachen, Adalbertsberg 25. Ich legte ihm die Sache auseinander und mietete mir zu diesem Zwecke der Form halber zwei Zimmer bei ihm. Ich teilte daraufhin der Thirhardt schriftlich mit, daß, wenn sie mit Judentransporten nach Aachen komme, sie zuerst bei Neubert anlaufen solle. Außerdem solle sie das Eintreffen der Juden durch ein Telegramm an Neubert ankündigen. Der Text sollte getarnt sein und etwa folgenden Wortlaut haben: „Es kommen ... Muster an, Hella.“ Die Thirhardt hat auch danach verfahren. Neubert wurde von mir angewiesen, mich bei Eingang von Telegrammen sofort fernmündlich in Kenntnis zu setzen, damit ich rechtzeitig bei ihm zur Stelle war und die Thirhardt mit den Juden in Empfang nehmen konnte. Da ich nicht die Absicht hatte, die Juden selbst über die Grenze zu bringen, nahm ich mit einem gewissen Jean aus Welkenraedt, seinen Familiennamen kenne ich nicht, und einem Landwirt namens Hubert Schyns, wohnhaft Welkenraedt, auf der Straße zwischen Herbesthal und Weißes Haus, Verbindung auf. Die Angelegenheit entwickelte sich so, wie ich sie vorbereitet hatte, und dieser Jean, der zunächst nur alleine die Juden über die Grenze brachte, verhalf etwa 12-15 aus Deutschland geflüchteten Juden zur Flucht nach Belgien. Er erhielt von mir für jeden Juden 1.250 RM. Durch diesen Jean lernte ich dann später den bereits schon erwähnten Hubert Schyns kennen, der mir das Angebot machte, die Juden für 650 RM über die Grenze zu bringen. Dadurch war für mich eine größere Verdienstmöglichkeit gegeben, und ich ließ daher Jean fallen. Er hat für mich, genau kann ich das heute nicht mehr sagen, auch etwa 10-15 Juden illegal über die Grenze nach Belgien gebracht. Wie mir Schyns mitteilte, ist dieser Jean seit einigen Monaten flüchtig und soll sich in das unbesetzte franz. Gebiet begeben haben, weil er in eine große politische Sache, die vor einigen Monaten in Welkenraedt aufgedeckt wurde, verwickelt gewesen sein soll. Durch Neubert erfuhr ich, daß die Hella Thirhardt festgenommen worden sei. Wenige Zeit später rief Neubert mich an und bat mich, zu ihm zu kommen. Dort lernte ich durch ihn eine Hedwig Ritter und deren angebl. Sohn mit Vornamen Heinrich kennen. Die Hedwig befaßte sich, genau wie die Thirhardt, mit Judenschmuggel nach Belgien und fragte mich, ob ich für sie tätig sein wolle. Ich willigte ein, und sie sicherte mir den Betrag von 1.500 RM pro Kopf zu. Als Anlaufstelle blieb nach wie vor Neubert und auch die Avisierung der Juden erfolgte durch getarnte Telegramme. Neubert rief mich dann jedesmal an, wenn Hedwig Ritter ihr Kommen ankündigte, und so ging die ganze Sache weiter, bis am vergangenen Freitag. An diesem Tage übernahm ich wieder von der Hedwig Ritter und ihrem Sohn zwei Juden, mit denen ich mit der Straßenbahn nach Eupen fuhr. Die Juden hatte ich angewiesen, im Café Heuschen am Rathaus in Eupen zu warten. Dort holte ich sie später ab, und ich begab mich mit ihnen in die Wohnung meines Schwagers, dessen Wohnung z. Zt. unbenutzt war. Dort sollten die Juden übernachten, und ich wollte noch überlegen, wie sie über die Grenze kommen könnten. Schyns hatte mir nämlich einige Tage vorher mitgeteilt, daß man bei ihm eine Durchsuchung vorgenommen hätte und die Sache z. Zt. sehr gefährlich sei. Aus diesem Grunde wußte ich noch nicht so recht, was ich machen sollte. In der Wohnung meines Schwagers wurde ich dann von einem Polizeibeamten gestellt und mit den beiden Juden festgenommen. Als ich bei Neubert von der Ritter die beiden Juden übernahm, sagte sie mjr, daß noch eine weitere Jüdin, die bereits schon bei ihr war, am nächstfolgenden Tage über die Grenze gebracht werden müßte. Dazu ist es jedoch durch meine Festnahme nicht mehr gekommen.

Frage: Es steht fest, daß die Hedwig Ritter an diesem Freitag eine jüdische Familie, Mann, Frau und Kind, gleichfalls von Berlin mitgebracht und bei Neubert abgesetzt hatte. Von dort aus hat sie sich mit dieser jüdischen Familie wegbegeben. Wo ist die Ritter mit den luden hingegangen?

Antw.: Nach meiner Ansicht kann sie nur bei Hubert Schyns angelaufen sein, denn ich hatte ihr vor längerer Zeit einmal dessen Adresse mitgeteilt.

Frage: Ist Ihnen die Hedwig Ritter von früheren Judentransporten her Geldbeträge schuldig geblieben?

Antw.: Nein. Die Ritter hat immer bezahlt, bevor der Transport von Neubert abging. Lediglich am vergangenen Freitag bezahlte sie nicht, da ich nur die beiden Juden übernehmen wollte, weil mir der Transport der anderen vier Juden, der jüdischen Familie und der Einzeljüdin, zu gefährlich war.

Frage: Nun hatte die Hedwig Ritter aber für Sie bei Neubert den Betrag von 8.000 RM hinterlassen. Woraus setzt sich diese Summe zusammen?

Antw.: Ich sollte, wie ich schon gesagt habe, für jeden Juden 1500 RM bekommen, Judenkinder mußte ich umsonst mitnehmen. Wenn die Ritter nun für mich 8.000 RM zurückließ, so sollten wahrscheinlich 500 RM als Kontozahlung für weitere Transporte, die noch erfolgen sollten, bestimmt sein. Dazu kann ich aber nichts sagen, da ich da nicht mehr mit ihr gesprochen habe.

Geheime Staatspolizei
Staatspolizeistelle Köln
Grenzpolizei-Kommissariat Eupen

Eupen, den 8. Sept. 1942

Weiter vernommen, erklärt der Hubert Krickel, nähere Personalien bekannt, auf Befragen folgendes:

Frage: Wie hoch ist der Geldbetrag, den Sie für Ihre Weiterleitung der Juden von Ihren Auftraggebern erhalten haben?

Antw.: Eine genaue Endsumme vermag ich nicht anzugeben. Ich habe etwa 4.000 RM dazu verwendet, alte Schulden zu tilgen und Reparaturen an meinem Hause vornehmen zu lassen. Ich kaufte eine Waschmaschine zum Betrage von 750 RM. Von einem Juden, den ich an Jean Didden weiterleitete, kaufte ich die Ideen zur Herstellung eines neuen Konservierungspatentes zum Preise von 4.000 RM. Diese Ideen ließ ich auf meinen Namen beim Patentamt in Berlin als meine Erfindung patentieren. Der Jude hieß Katzenstein und stammte aus Berlin. Wo ich die einzelnen Beträge gelassen habe, weiß ich heute nicht mehr, ich habe sehr viel Geld ausgegeben.

Frage: Sie sind doch Reichsdeutscher und wissen demzufolge ganz genau, daß jeder unnötige Umgang mit Juden in Deutschland nicht gestattet und darüber hinaus es streng verboten ist und schwer bestraft wird, wenn ein Deutscher sich dazu herabläßt, Juden auf verbotenem Wege ins Ausland zu bringen oder bringen zu lassen. Ihre Handlungsweise ist umso verwerflicher, weil Sie sich dadurch einen regelrechten Erwerb verschafften. Was sagen Sie dazu?

Antw.: Ich habe mich dazu verleiten lassen, um meine Schulden zu tilgen.

Frage: Diese Auslassung ist sehr fadenscheinig und entbehrt jeder Grundlage. Als Sie von dem Juden Katzenstein die Ideen der Konservierungsflasche kauften, hatte dieser Kauf denn auch etwas mit Ihren Schulden zu tun. Darüber hinaus haben Sie erhebliche Summen für Neuanschaffungen verwendet, die Sie gleichfalls nicht als Schuldentilgung bezeichnen können. Nach Ihrem Gesamtverhalten steht fest, daß Ihnen der Umgang mit Juden recht genehm war, wenn Sie dadurch zu einem Vermögen gelangen konnten. Es ist eine Charakterlosigkeit sondergleichen, wenn ein Deutscher sich dazu herabläßt, Handlanger von Juden zu sein. Geben Sie auf diesen Vorhalt eine klare und präzise Antwort!

Antw.: Auf diese Vorhaltung muß ich zugeben, daß mein Handeln als Deutscher höchst verwerflich war. Ich habe nur die große Verdienstmöglichkeit gesehen und alles andere außer acht gelassen.

[Hubert Krickel (1881-1965) wurde im Prozess gegen die Fluchthelfer zu drei Jahren Haft und einer Geldstrafe verurteilt.]

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