Brief von Ida Weissberger aus Waidhofen/Ybbs an das Ehepaar Waldinger
Ida Weissberger aus Waidhofen verabschiedet sich im Juli 1942 von ihren Freunden und schildert ihnen, wie erleichtert sie über die Möglichkeit ist, sich das Leben zu nehmen:
Meine lieben Freunde,
der letzte Brief, den ich von Euch erhielt, war vom Oktober 1941 mit Albertis Bildchen. Ich bekam ihn am 24. Nov. 1941, meine Antwort wurde mir einige Wochen später von der Post retourniert. Diesen meinen heutigen Brief werdet Ihr erst erhalten, wenn der Krieg vorüber ist und ich nicht mehr lebe. Trude wird ihn dann absenden. Ich schicke Euch zum Andenken das gewünschte kleine Kochbuch meines Mütterchens und die letzte Photographie von mir, sie war zwar schon vier Jahre alt, als ich Euch kennenlernte, aber damals war ich wohl noch nicht sehr verändert.
Daß es Euch und Herzkas in der neuen Heimat gutgeht, war mir ein großer Trost. Wie es den hier Zurückgebliebenen ergangen ist, werdet Ihr gewiß erfahren haben, wenn auch nur in großen Umrissen. Diese Jahre waren ein ununterbrochener nightmare. Ich bin glimpflich hinweggekommen, weil ich hier in meiner Wohnung bleiben konnte (die einzige in der Stadt) und an der Hölle in Wien nur mit dem gelben Fleck und dem Schmerz um alle Freunde in Wien teilhatte. Ich war von vorneherein entschlossen, keine Deportation in ein sogenanntes Ghetto mitzumachen und habe mit mir sonst unbekannter Hartnäckigkeit und Rücksichtslosigkeit den aussichtslos scheinenden Versuch verfolgt, mir ein genügendes Quantum Veronal zu beschaffen. Viele Monate lang habe ich vergeblich gekämpft. Als ich alle Hoffnung aufgegeben hatte und mich mit dem Gedanken vertraut machte, den Tod auf andere Weise zu finden, wenn die Zeit kommt, wo auch ich wandern soll, da erhielt ich das Gewünschte. Seither bin ich geradezu glücklich. Seit meiner Mutter Tod habe ich mich nicht so geborgen gefühlt wie jetzt. Alle Angst vor dem Kommenden, alle Misere der Gegenwart sind von mir abgefallen. Ich habe nichts mehr zu fürchten, keine Verschleppung ins Ghetto mit abschließendem Pogrom, kein hilfloses Alter mit Blindheit oder Lähmung, wenn das erstere ausbliebe (der Zustand meiner Augen und Beine hätte mir wahrscheinlich dieses Los beschieden).
Seitdem ich nun das Erlösungsmittel in Händen habe, lebe ich mein Restchen Leben so intensiv wie noch nie. Ich bin glücklich. Seit vielen Jahren habe ich Wärme, Sonne, Blütenduft und Vogelsang, Sterne und Mondschein, Gewitter und Wolken, alles, alles nicht mehr so tiefst innerlich empfunden und genossen wie jetzt. Alles Denken und herzbrechendes Mitfühlen mit dem unsagbaren Elend auf der ganzen Erde, das mich bisher mehr verstört hat als die eigenen Ängste, weise ich von mir: Ich kann nichts daran ändern, kann nicht einmal jemand einzelnem helfen, und schließlich wird man auch stumpf den sich immer mehr steigernden Greueln gegenüber.
Nun, meine lieben Freunde, lebet wohl, bleibet gesund und glücklich mit Eurem schönen lieben Kinde.
Eure gegenwärtig sehr glückliche Freundin