Schreiben der Reichsvereinigung der Juden an die Jüdischen Kulturvereinigungen und Bezirksstellen
Die Reichsvereinigung erhält die Anweisung, bis zum 30. Juni 1942 alle jüdischen Schulen zu schließen und Schüler ab 14 Jahren zur Zwangsarbeit zu melden:
Betrifft: Auflösung des jüdischen Schulwesens
VI Dr. E./My/42/184/316
Aufsichtsbehörde der Reichsvereinigung hat im Einvernehmen mit dem Herrn Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung die Auflösung des jüdischen Schulwesens angeordnet.
Im Vollzug dieser Anordnung ergehen folgende Durchführungsanweisungen:
I. Schließung der Schulen
1a) Sämtliche jüdischen Schulen sind bis 30.6.1942 zu schließen.
b) Schriftliche Vollzugsmeldung über die Schließung muß bis 1.7.1942 bei der Zentrale der Reichsvereinigung eingegangen sein.
2) Durch die Anordnung über die Schließung der jüdischen Schulen treten alle bisher im Anschluß an Artikel II der Zehnten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4.7.1939 (RGBl. I, S. 1097) erlassenen Anweisungen und Verfügungen der Schulaufsichtsbehörden, insbesondere auch die Ausführungsanweisung des Herrn Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung - E lb 462 (b) - vom 14.8.1939 außer Kraft.
3) Die Beschulung jüdischer Kinder durch besoldete oder unbesoldete Lehrer ist nach Schließung der jüdischen Schulen unzulässig. Dies gilt auch für den Unterricht in privaten Schulzirkeln. Eine Unterweisung der Kinder durch Familienangehörige bleibt hiervon unberührt.
II. Lehrer
4) Die an jüdischen Schulen angestellten besoldeten Lehrer sind durch die Bezirksstellen der Reichsvereinigung bezw. durch die Jüdischen Kultusvereinigungen zum 30.6.1942 zu kündigen und zu entlassen.
5) Den besoldet und bisher unbesoldet beschäftigten Lehrern ist durch die Bezirksstellen der Reichsvereinigung bezw. durch die Jüdischen Kultusvereinigungen mitzuteilen, daß sie mit Wirkung vom 1.7.1942 an jede Lehrtätigkeit zu unterlassen haben.
6) Eine unbesoldete Weiterbeschäftigung der Lehrer in anderen Abteilungen der n zirksstellen der Reichsvereinigung bezw. Jüdischen Kultusvereinigungen ist, soweit *" forderlich, einstweilen zulässig. Die Möglichkeit einer jederzeitigen Abberufung blefo Vorbehalten.
7) Soweit Bedürftigkeit vorliegt, kann auf Antrag der Bezirksstellen der Reichsvereinigung bezw. der Jüdischen Kultusvereinigungen durch die Zentrale der Reichsvereinigung eine Unterstützung für den notwendigen Lebensunterhalt bewilligt werden
III. Schulkinder
8) Die Schulkinder sind mit einem Abgangszeugnis zu entlassen.
9) Soweit Schulkinder bisher zum Zweck des Schulbesuchs außerhalb des Wohnorts ihrer Eltern oder Angehörigen untergebracht waren, ist seitens der Bezirksstellen der Reichsvereinigung bezw. der Jüdischen Kultusvereinigungen eine sofortige Rückkehr der Kinder zu den Eltern oder Angehörigen zu veranlassen.
10) Schüler über 14 Jahre sollen dem zuständigen Arbeitsamt zur Vermittlung in den Arbeitseinsatz gemeldet werden.
11). Schulkinder unter 14 Jahren sind zu Hilfsarbeiten in jüdischen Einrichtungen (Botengängen, Einsatz zur Beseitigung der Verunkrautung von Friedhöfen, zu gärtnerischen oder sonstigen Arbeiten) heranzuziehen. Das gleiche gilt für Schüler über 14 Jahre, bei denen eine Vermittlung in den Arbeitseinsatz nicht möglich ist.
12) Im übrigen obliegt den Bezirksstellen der Reichsvereinigung bezw. den Jüdischen Kultusvereinigungen die Pflicht, die Eltern, sonstigen Angehörigen oder Erziehungsberechtigten auf die Notwendigkeit einer ordnungsmäßigen erzieherischen Betreuung hinzuweisen sowie ihrerseits die erforderlichen Vorkehrungen dafür zu treffen, daß die Kinder in Heimen, Horten oder in sonstigen Einrichtungen im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten beschäftigt und betreut werden.
IV. Erlaubnisscheine zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel
13) Soweit Lehrer und Schulkinder, gemäß der Anordnung über die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, veröffentlicht im „Jüdischen Nachrichtenblatt“ Nr. 17 vom 24.4.1942, Erlaubnisscheine zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel erhalten haben, sind die Schulleiter bezw. Jüdischen Kultusvereinigungen und Bezirksstellen der Reichsvereinigung für deren sofortige Rückgabe an die ausstellende Behörde gemäß Ziffer 6c der Anordnung über die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel verantwortlich.4
V. Schulgebäude und Schulinventar
14) Die Bezirksstellen der Reichsvereinigung und Jüdischen Kultusvereinigungen haben die Freimachung von Schulgrundstücken und eine Verwertung des Schulinventars nach Schließung der Schulen sofort zu veranlassen.
15) Soweit eine örtliche Verwertung des Schulinventars durch Veräußerung an andere Einrichtungen (z. B. an die zuständige Stadtverwaltung) nicht möglich ist, ist hierüber der Zentrale der Reichsvereinigung anhand des Schulinventar-Verzeichnisses zu berichten Bezüglich der alsdann für die Verwertung zu treffenden Maßnahmen sind ^rl n der Zentrale der Reichsvereinigung einzuholen.
16) Über die Schulinventar-Erlöse haben die Bezirksstellen der Reichsvereinigung bezw. die jüdischen Kultusvereinigungen der Zentrale der Reichsvereinigung jeweils gesondert zu berichten.
VI. Schuausgaben
17) Mit Wirkung vom 1.7.1942 an dürfen Mittel für Schulzwecke nicht mehr verausgabt werden.
18 Miet-Restforderungen für Schulräume sind sofort unter „Sonderausgaben“ bei der Zentrale der Reichsvereinigung zwecks Bewilligung anzumelden.
19) Die Einziehung von Schulgeld für die Zukunft und die Sammlung von Schulpatenschaften ist mit Wirkung vom 1.7.1942 an einzustellen; Rückzahlungen sind nicht zulässig.
VII. Bekanntgabe
20) Die Bekanntgabe der Anordnung über die Auflösung des jüdischen Schulwesens an die Schulaufsichtsbehörden erfolgt unmittelbar durch den Herrn Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung.
21) Die Eltern, Angehörigen oder sonstigen Erziehungsberechtigten sind durch die Bezirksstellen der Reichsvereinigung bezw. Jüdischen Kultusvereinigungen mit Rundschreiben über die Ziffern 1, 3, 9,10,11,12,13 und 19 dieser Durchführungsanweisungen zu unterrichten.