Brief von Louis und Berta Mamlock aus Bonn an Ruth, Lilly und Eva Mamlock
Louis und Berta Mamlock verabschieden sich am 12. Juni 1942 vor ihrer Deportation von ihren drei Töchter:
Meine innigstgeliebten Kinder.
Wir stehen vor der Abreise ins Ungewisse, und da wir nicht wissen, wie es uns auf diesem ungewissen Wege ergehen mag, wollen wir uns noch mit ein paar Zeilen an Euch wenden.
Wir verdanken Frl. Hella Bente, Bonn, Koblenzstr. 45, unendlich viel, so daß Ihr alle es kaum gutmachen könnt, sofern Ihr uns nicht Wiedersehen solltet, auch Familie Ürdingen eben[falls] dort wohnend, welche ja Eva gut kannte. Ich kann mich nicht konzentrieren, daher die Kürze.
Ihr alle seid herzinnigstlich gegrüßt und geküßt.
von Eurem Euch so innigstlich liebhabenden
Vati
Geliebte, teure Kinder!
Ihr steht so lebhaft vor mir - - Gehofft haben wir, daß der Krieg bald beendet wäre, dann wären wir zu Euch geeilt, der Gedanke war so herrlich, er hielt mich aufrecht, aber leider kann man seinem Schicksal nicht entgehen. Hier in der ewigen Anbetung Kloster [= Kloster Endenich] fühlten wir uns trotz furchtbarem Essen ganz wohl. Leider durften wir in letzter Zeit nicht ausgehen, aber ein kleiner Garten, abgezäunt von einem großen Park, gab uns Erholung. Vater ist ja im Augenblick noch im Arbeitseinsatz, und so hofften wir, nicht fortzukommen, bis zum Kriegsende hier bleiben zu können, um dann zu Euch zu eilen, aber das Schicksal will es nicht.
Fräulein Hella (Mariechen) Bente (Sek. von E[lly].N[ey].) war rührend zu uns. Alle anderen haben uns verlassen, aber sie mit ihrem Mut und ihrer Selbstverleugnung war uns Trost und Hilfe. Sie war es, die uns immer wieder geholfen hat, mit einem Edelmut den ich nicht beschreiben kann. Wöchentlich kam zu Sonntag ein Paket, oder sie besuchte uns mit einer Familie Ürdingen (Patienten vom lieben Artur), Mariechens Freundin und Betreuerin, die ebenso aufopfernd zu uns waren. Welcher Mut gehörte dazu, mit noch in Verbindung zu stehen! Gott segne sie für ihre große Tat, Liebe und Güte. Und Ihr, geliebte Kinder, könnt ihnen nicht genug danken. Dies ist meine innigste Bitte de mit Worten kann man all dies nicht beschreiben. Geschwister können nicht so handeln, so was von Güte und Edelmut; Himmela (so nannten wir die Gütige), die alles wagte trotz großer Gefahr, auch Familie Ürdingen und ihr liebes Töchterchen. Mein Herz ist so voller Dankbarkeit. Meine Geliebten, sie wird Euch alles von uns schicken. Ja, geträumt habe ich, Euch alles selbst geben zu können - - Seid tapfer, geliebte Kinder. Gott segne Euch, meine letzten Worte werden es sein!
Geliebtes Ruthchen, Du bist meine Älteste, Du hast so manches mit uns im Elternhaus erlebt - hast so ein gutes, warmes Herz. Meine schöne, liebe Ruth, von Dir ging immer so was Starkes aus, dann sagte ich mir immer, ich werde Ruthchen fragen. Für sie brauchte ich mich nicht zu sorgen, denn sie dachte und sorgte für alle mit. Utychen, hast in Amerika viel mitgemacht, hast viel arbeiten müssen, mein armes Utychen, mein Herz ist so voll weh, wenn ich an Euch alle denke; aber nun, wo Marczi bald wieder arbeiten kann, da bangt mir nicht für Eure Zukunft. Geliebter Marxi, Deine geliebte Mama u. Günter schrieben mir oft besorgt und liebevoll. Zuletzt schickten sie sogar durch einen Herrn, der nach Deutschland fuhr, eine Wurst, die köstlich schmeckte, u. zwei Stückchen Seife. Gott, wie freuten wir uns. Geliebter Marczi, Utychen, sorgt für unser Everle!
Geliebtes Lillychen, mein Lillychen, ich sehe Dich auf dem Podium stehen, wie stolz war ich immer auf mein Lillychen. Ich kann im Augenblick nicht schreiben, denn soeben bekommen wir Nachricht, daß wir mit dem ersten Transport fortmüssen, ich bin ja kopflos. Sigmund Meyer hätte uns ruhig noch drei Monate hierlassen können. Sannchen, Oskar, Ada, Willy haben mehr Glück, sie können noch bleiben. Klärchen in Köln kann auch noch bleiben, aber die hat ja beim letzten Fliegeralarm soviel mitgemacht. Ich kann im Augenblick kaum denken.
Lillychen, Juppchen, Bobbychen! Gott, das süße Kind, wie gern hätte ich Dich umarmt und geküßt. Das Herz blutet mir.
Mein Everle, mein[e] Jüngst[e]! Was soll ich Dir schreiben? Mein Liebling, sei tapfer. Liebe Dein Leben in Gesundheit u. Freuden. Wir haben ja unser Leben gelebt, betrauert uns nicht. Denkt immer daran, wie glücklich ich wäre, Euch glücklich zu wissen. Einen Wunsch habe ich, geliebte Kinder, haltet fest zusammen, was auch kommen mag. Liebt Euch innig, dann lebt ihr in meinem Sinne. Das Everle gab mir immer seinen letzten Pf. Wie schön war es doch in der Hohenzollernstr.! Wenn wir Uty - Marczi im Sommer erwarteten. Wenn Lillyka, Juppchen uns überraschten. Juppchen war immer so gut, er half nicht mit Worten, sondern mit Taten. Und all die Opfer die Ihr brachtet mit dem Kubavisum etc. Ruthchen, Lillychen, Everle, Marcziku, Juppchen, 1.000 Dank. Lillychen, die eine Geige ist sehr schön, ich schenke sie meinem Bobbyehen, es ist eine ital. Geige.
Geliebtes Everle, hoffentlich findest Du bald einen lieben Menschen, den Du liebhast. Mäderle, dann hast Du Dein eigenes Heim, Deine Kinderchen, und dann bist Du glücklich Sei nicht so wählerisch, nur liebhaben mußt Du ihn. Gott, könnt ich ihn mir nur ansehn, in die Augen schauen und ihm leise zuflüstern, mach mein Everle glücklich!! Nun wollen wir alle tapfer sein. Geliebte Kinder, für all Eure Liebe innigen Dank. Jeder einzelne hat mich doch so mit seiner Liebe beglückt, ich war ja so reich u. so stolz auf meine blonden schönen Kinder. So nehme ich Abschied von Euch. Unter Tränen küsse und umarme [ich] Euch. Allgütiger Gott, beschütze sie alle und mache sie glücklich. Nun weint nicht um unser Judenschicksal. Es ist kein Schicksal, es ist rohe Gewalt. Und mit welcher Größe wird es getragen! Soeben kommen die [Kölner]. Von hier oben sind die Transporte die in [den Tod (?)] gehen.
Urtchen, Hildchen, geliebter Gert, Evchen, ich wollte Euch noch viel schreiben, aber ich kann nicht mehr. Sieg. Meyer konnte uns doch nicht hier halten, so wie er mir eben versicherte. Die armen Menschen - nein, es ist nicht zu beschreiben - Ihr Lieben, Dank, 1.000 Dank für all Eure große Liebe. Gertchen, werde ein großer Mann. Evchen, könnte ich Dich doch jetzt anschauen. Gott segne Euch alle. Auch Ilschen, Edithehen innige Küsse.
Ruth, Lilly, Evy, Marczika, Juppchen, Bobbyehen -
Urtchen, in 3 Monat[en] darf kein Jude mehr in Deutschland sein.