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Chronik und Quellen
1942
März 1942

Urteil des Sondergerichts Kattowitz

Ein Sondergericht verurteilt Margarete Königsfeld aus Beuthen am 19. März 1942 zu einer Haftstrafe, weil sie in einem Brief den Suizid von 70 Bekannten erwähnt hat:

Im Namen des deutschen Volkes!

In der Strafsache gegen die frühere Graphologin Margarete Sara Koenigsfeld aus Beuthen O/S., Ring 6, geb. am 31.VII.1878 in Kobier (Kr. Pless), ledig, Jüdin, unbestraft, wegen staatsfeindlicher Äußerungen, hat das Sondergericht in Kattowitz in der Sitzung vom 5. März 1942, an welcher teilgenommen haben: Landgerichtsdirektor Dr. Witton als Vorsitzer, Landgerichtsrat Dr. Schmidt, Landgerichtsrat Baron Tiesenhausen als beisitzende Richter, Staatsanwalt Dorn als Beamter der Staatsanwaltschaft, Justizangestellter Anders als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle, für Recht erkannt:

Die Angeklagte wird wegen staatsfeindlicher Äußerungen (§ 2 Heimtückegesetz) zu 7 - sieben - Monaten Gefängnis verurteilt.

Die Kosten des Verfahrens werden der Angeklagten auferlegt.

Gründe:

Die Angeklagte ist Jüdin. Sie ist am 31. Juli 1878 in Kobier Kreis Pless geboren. Sie hat viele Jahre in Berlin gewohnt und dort das Gewerbe einer Graphologin ausgeübt. In Berlin hatte sie die Musiklehrerin Sadie Walker, die Amerikanerin ist und jetzt in Rothenburg (ob der Tauber) lebt, kennengelernt. Im Jahre 1938 kam die Angeklagte nach Beuthen O/S. Sie blieb mit der Sadie Walker im gelegentlichen Briefwechsel.

Am 1. Juli 1941 schrieb die Angeklagte an die Walker den [auf] Blatt 10 der Akte befindlichen Brief, auf dessen Inhalt im einzelnen Bezug genommen wird. Am Anfang des Briefes bittet sie die Walker, in ihren Briefen vorsichtiger zu sein. Sie fährt fort:

„Nicht allein, daß Wände Ohren haben, auch das Papier, alles, was da atmet und nicht atmet, Ohren.“ Die Angeklagte bedankt sich weiter in diesem Briefe für die ihr von der Walker machten Zuwendungen. Sich selbst bezeichnet sie dabei als „Tochter der Parias“. Sie schildert dann weiter ihre bisher vergeblichen Versuche, einen Teil eines Erbanspruches ausgezahlt zu bekommen. Sie erzählt dann von ihren Verwandten und fährt fort:

„Der einzige Bruder ist in einem anderen Land, Häschen, es ist nicht jeder so tapfer wie Du nicht jeder fügt sich so ergebungsvoll in Gottes Ratschluß wie Du, wieviele meiner Bekannten und Freunde haben in tiefstem Weh und heller Verzweiflung Selbstmord begangen. Von mir allein waren es über 70 Bekannte. Aber wozu Dir, [die] Du so empfindsam bist, all das mitteilen, um Dich zu belasten? Du bist die einzige wahre Christin, die ich kenne ...“

Am Schluß des Briefes schreibt die Angeklagte:

„Vielleicht gibt es das Schicksal, daß wir uns noch einmal in Freude wiedersehen, dann fahren wir oben auf dem Autobus in den Grunewald oder ich komme in dein geliebtes Rothenburg, das ich noch gar nicht kenne.“

Die Empfängerin dieses Briefes, Sadie Walker, schrieb am 9. Juli 1941 an Bekannte in Amerika einen Brief, in dem sich u. a. folgende Sätze befinden:

„Der Briefträger brachte mir soeben einen Brief von einer jüdischen Freundin, die so gut zu mir war, als ich das letzte Mal in Berlin war. Arme Seele! Sie erzählt mir, daß 70 ihrer Freunde und Bekannten Selbstmord begangen haben. Das Grauen muß einmal ein Ende haben.“

Dieser Brief wurde von der militärischen Zensur angehalten.

Die Angeklagte gibt zu, den Brief vom 1. Juli 1941 an die Sadie Walker geschrieben zu haben. Sie habe sich nichts dabei gedacht. Insbesondere habe sie nicht angenommen, daß die Walker den Inhalt des Briefes weiter nach Amerika mitteilen werde. Es sei Tatsache, daß viele Juden aus ihrem Bekannten- und Freundeskreise Selbstmord begangen hätten.

Der Inhalt des Briefes zeugt in seiner Gesamtheit von einer gehässigen Gesinnung gegenüber dem Deutschen Reich. Durch ihre Bemerkung, daß die Empfängerin des Briefes in ihren Briefen vorsichtiger sein solle, gibt die Angeklagte ihrer Ansicht Ausdruck, daß sie als Jüdin unter besonders strenger Kontrolle stände. Durch ihre Behauptung, daß über 70 Bekannte in „tiefstem Weh und heller Verzweiflung“ Selbstmord begangen hätten, kritisiert sie in gehässiger Weise die Maßnahmen des Nationalsozialismus gegenüber dem Judentum. Wenn die Angeklagte schließlich ihrer Hoffnung Ausdruck gibt, daß sie sich noch einmal mit ihrer Freundin in Freuden Wiedersehen wolle und da oben auf dem Autobus in den Grunewald fahren werde, so drückt sie damit ihre Hoffnung aus, daß der Nationalsozialismus und die von ihm in Deutschland getroffenen Maßnahmen gegen das Judentum keinen Bestand haben möchten. Der Brief ist darer als eine von gehässiger Gesinnung zeugende böswillige Äußerung über das nationalsozialistische Deutschland und die von ihm getroffenen Anordnungen und Einrichtungen anzusehen. Diese Äußerung ist geeignet, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben.

Die Angeklagte hat ihre Äußerung zwar nicht öffentlich getan, sondern in einem Briefe an die Sadie Walker niedergelegt. Sie mußte aber damit rechnen, daß ihre Äußerungen in die Öffentlichkeit dringen werden. Ihr war bekannt, daß die Sadie Walker Amerikanerin ist und mit ihren amerikanischen Bekannten im Briefwechsel steht. Tatsächlich hat auch die Empfängerin des Briefes über den angeblichen Selbstmord zahlreicher Juden in einem Briefe nach Amerika berichtet. Wenn dieser Brief nicht angehalten worden wäre, so wäre die Äußerung der Angeklagten insoweit daher in Amerika öffentlich bekanntgeworden.

Die Angeklagte ist daher des Vergehens nach § 2 des Heimtückegesetzes schuldig. Die Strafverfolgung ist durch Sondererlaß vom 28. Januar 1942 angeordnet worden. Die Angeklagte war daher zu bestrafen.

Bei der Strafzumessung hat das Gericht berücksichtigt, daß die Angeklagte bisher noch unbestraft ist und bereits 63 Jahre alt ist. Straf[ver] schärfend fiel aber ins Gewicht, daß die Angeklagte als sehr intelligent bezeichnet werden muß. Sie mußte sich daher besonders der Verwerflichkeit ihres Tuns bewußt sein. Wenn sie sich auch in der Abstimmungszeit für Oberschlesien verdient gehabt haben mag, so daß sie den Schlesischen Adler II. Klasse verliehen erhielt, so mußte sie sich gerade auf Grund ihrer früheren Tätigkeit für das Deutschtum in Oberschlesien der besonderen Verwerflichkeit ihres Tuns bewußt sein. Unter Berücksichtigung dieser Umstände hat das Gericht eine Gefängnisstrafe von 7 Monaten als erforderlich angesehen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 465 StPO.

Das Urteil ist rechtskräftig und vollstreckbar.

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