Brief von Ruth Hadassah Herz aus Bonn an Theodor Goldreich
Ruth Hadassah Herz beschreibt ihrem Onkel Theodor Goldreich am 22. Februar 1942 ihre Unterkunft im Bonner Sammellager Kloster Endenich und die Zwangsarbeit in einer Fabrik:
Mein lieber Onkel Theo!
Wie sehr wir uns jedes Mal über Deine Post freuen, kannst Du Dir ja denken. Diese Woche bekamen wir 2 Karten und einen Brief. Heute ist Sonntag und will ich mich beeilen Dir zu antworten. Vor 8 Monaten, im August 1940, kamen wir hierhin und haben wir ein kleines Zimmer, in dem wir drei alleine wohnen. Wir haben es uns so gemütlich gemacht, wie es eben ging. Das Zimmer ist 4 m im Durchmesser, es stehen Betten, eine Couch, ein Schrank, ein Tisch, 2 Stühle und ein Herd darin. Es ist wirklich ganz gemütlich. Bevor wir einzogen, haben wir auch tapezieren lassen. Du kannst Dir doch sicher eine Nonnenzelle vorstellen, in dem Stil sind alle Zimmer. Die meisten Familien haben solch ein Zimmer, meistens jedoch sind sie kleiner. Einzelpersonen leben in Gemeinschaftssälen zu 10-20 Personen. Mittags essen wir an der Gemeinschaftstafel im Speisesaal. Für die Arbeiter wird abends serviert. Die übrigen Mahlzeiten müssen wir uns selber zubereiten, die Zutaten dazu kaufen wir in der Kantine. Wir sind hier zu 400 Personen. Alle alten Leute über 70 sind in die Altersheime nach Köln gekommen. Oma Herz ist im orthodoxen Heim untergebracht. Zuerst dachten wir, auch hier fortzumüssen, jedoch hat es sich anders entschieden. R.A. Mayer II ist unser Leiter, ein fabelhafter Organisator. Es herrscht hier eine musterhafte Ordnung und Disziplin. Die ersten 2 Monate half ich freiwillig in der Küche, aber dieses Vergnügen sollte nicht lange dauern. Ich mußte in einer Fabrik mit vielen Frauen zusammenarbeiten. Und so arbeite ich jetzt schon 6 Monate in einer Wandplattenfabrik in Witterschlick. Es sind jetzt außer mir nur noch 3 Jüdinnen da, die anderen konnten die Arbeit nicht leisten. Ich bin darum als einzigste Frau und Jüdin, unter 16 Männern die einzigste Frau. Die Arbeit ist recht anstrengend für mich, da ich um ¼ nach 5 aufstehen muß und um 7 abends erst zu Hause bin. Für einen 17jährigen Menschen immerhin eine ziemliche Anstrengung. Du möchtest gerne Bilder von uns haben, da können wir Dir aber leider nur alte schicken. Sie sind schon 1-1½ Jahre alt, aber wir werden sehen, Dir bald ein neues zu schicken. Darfst Du uns ein Bild von Dir schicken? Ich werde Dir jetzt öfters schreiben. Für heute küßt Dich innigst Deine Nichte Ruth Hadassah.
Herzl. Grüße Dein Schwager Max
Einzigster Trost. Ich bin in schwesterlicher Liebe Deine
Edith