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Chronik und Quellen
1941
Dezember 1941

Aufzeichnung von Bernhard Lösener über ein Gespräch mit seinem Vorgesetzten, Staatssekretär Wilhelm Stuckart

Bernhard Lösener bittet am 19. Dezember 1941 um seine Versetzung aus dem Innenministerium, nachdem er erfahren hat, dass Juden ermordet werden:

Am Mittwoch, 17.XII.41 nachm. hatte ich erfahren, in welcher Weise mit den neuerdings aus Berlin und dem übrigen Altreich deportierten Juden in der Nähe von Riga verfahren wird. Ich beantragte darauf eine Rücksprache in dringender persönlicher Angelegenheit, die mir am Freitag mittag gewährt wurde und rd. ¾ Stunden währte.

Ich trug vor: Die hoffnungslose Entwicklung der Judenfrage gebe mir dringenden Anlaß, auch einmal über meine persönliche Situation zu sprechen. Meine 8 ½-jährige mühselige und seelisch zermürbende Arbeit als Referent dieses Sachgebietes im Reichsministerium des Innern sei nun umsonst gewesen. Das Schwergewicht habe sich tatsächlich bereits völlig auf das Reichssicherheitshauptamt verlagert; es bleibe nur noch eine Frage von wenigen Wochen, wann auch förmlich die wesentlichen Zuständigkeiten dorthin übergehen würden. Ich hätte bis jetzt immer noch eine Aufgabe darin erblickt, die privilegierten Mischehen und die Mischlinge ersten Grades vor der ihnen von der Partei und der Gestapo zugedachten Gleichstellung mit den Juden zu bewahren, insgesamt rd. 90.000 Menschen. Diesem Streben habe nun die neue Wendung der Dinge ein Ende gesetzt.

Dr. St. widersprach dem und las mir den Entwurf eines Briefes an OGruf. Heydrich über die geplante und vom Minister bereits gebilligte Verteilung der Zuständigkeit zwischen I und dem RSichHA. vor. Ich erwiderte, daß diese Verteilung nichts ändern würde, da die Zuweisung der „Endlösung“ an das RSHA. diesem auch formell die Möglichkeit gäbe, jede von dort beabsichtigte Maßnahme durchzuführen, weil nach der dort herrschenden Auffassung die Judenfrage sich bereits im Stadium der Endlösung befinde. Dr. St. meinte, es könne freilich sein, daß eines Tages auch die Halbjuden deportiert würden.

Ich sagte, es käme noch ein zweites dazu: Ich hätte vorgestern erfahren, in welch grauenhafter Weise die aus dem Altreich kürzlich deportierten Juden ermordet würden. Man sei allerdings mit den polnischen und russischen Juden bisher ebenso verfahren, doch habe dies meine dienstlichen Aufgaben nicht berührt, weil ich mich nur mit der Judenfrage im Altreich zu befassen habe. Das sei nun anders geworden, denn nun würden auch Menschen betroffen, deren rassische Angelegenheiten von mir zu bearbeiten gewesen seien. „Ich kann es vor Gott und meinem Gewissen nicht mehr verantworten, weiter auf diesem Sachgebiet zu arbeiten.“ Auch müsse ich mich dagegen verwahren, daß mein Name künftig überhaupt noch mit diesen Dingen zusammengebracht werde; ich sei zwar nicht mitverantwortlich, habe im Gegenteil immer mit allen Kräften gegen diese Entwicklung gekämpft, aber draußen in der Bevölkerung könne man davon nichts wissen, dort sei ich vielmehr bekannt als der Referent für Judenangelegenheiten. „Ich bin entschlossen, mit allen mir nur irgend zu Gebote stehenden Mitteln darum zu kämpfen, daß ich von diesem Sachgebiet loskomme, und zwar in einer auch nach außen hin deutlich erkennbaren Art.“ Ich müsse daher auch dringend bitten, daß das der Abt. I nach der neuen Zuständigkeitsregelung noch verbleibende Restreferat nicht an mir hängen bliebe.

Dr. St.: „Das Verfahren gegen die evakuierten Juden beruht auf einer Entscheidung von höchster Stelle. Damit werden Sie sich abfinden müssen!“

Ich (zeige auf meine Brust): „Ich habe hier drin einen Richter, der mir sagt, was ich tun muß!“

Dr. St. sagte dann, wenn ich es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren könne, dann müßte er mir wohl ein anderes Referat geben. Ich erwiderte: In der U.-Abt. von Herrn Geh.R. Hering kämen nur noch die Arbeitsgebiete Staatsangehörigkeit und Protektorat Böhmen-Mähren in Frage, wenn mein Referat fortfiele. Bei ersterem werde binnen kurzem dasselbe Dilemma eintreten, da das RSHA. auch die Staatsangehörigkeit an sich ziehen wolle, und der Protektor in B.-M. heiße jetzt auch OGruf. Heydrich. Ein Referat in einer der übrigen Unterabteilungen der Abt. I zu übernehmen bedeute aber für mich daß ich mich einem der Herren unterordnen müßte, durch deren Beförderung ich mich seit Jahren übergangen fühlte. Dies könne man mir nicht zumuten, denn ich sei von allen älteren Mitgliedern der Abt. der einzige alte Kämpfer der NSDAP., die Herren Hoche, Medicus und Hubrich seien im Lebensalter mir gleich oder nur ganz unwesentlich älter, und schließlich glaube ich auch nicht, daß sie in ihren Leistungen mich überboten hätten. Ich fügte hinzu, daß auch meine ständige Zurücksetzung in den letzten Jahren neben den bereits besprochenen Hauptursachen dazu beigetragen habe, meine Arbeitsfreudigkeit zu mindern. Ich sähe somit in der Abt. I keinen Platz mehr für mich und bäte, meinem Ausscheiden nichts in den Weg zu legen.

Dr. St. erwiderte, es sei wohl erwogen worden, weshalb ich nicht befördert worden sei „Sie sind nicht dynamisch genug. Sie sind stehengeblieben bei dem 14. November 1935 (Unterzeichnung der Ersten Verordnungen zu den Nürnberger Gesetzen durch den Führer) und haben sta[...] an der damaligen Regelung festgehalten. Dadurch ist uns die Führung in der Judenfrage entglitten. Hätten Sie sich nicht so verhalten, könnte vieles anders sein. Nicht, daß ich darüber besonders unglücklich wäre, denn so habe ich nun mit diesen Sachen nicht mehr viel zu tun. Sie haben nicht gefühlt, daß das Leben seit damals weitergegangen ist und die damalige Regelung unhaltbar geworden ist. Sie haben es nicht verstanden, die erforderliche Fühlung mit der Partei und neuerdings mit der SS zu halten, damit uns die Dinge nicht aus der Hand genommen würden. Herr Schiedermair hatte das verstanden. Die andere Entwicklung begann mit seinem Ausscheiden (bei Kriegsausbruch). Ihre Leistungen sollen damit aber nicht herabgesetzt werden.“

Ich entgegnete, daß ich mich mit dieser Beurteilung abfinden müsse, da ich wie jeder andere eine bestimmte Arbeitsweise hätte, die auf einer Veranlagung beruhe und daher nicht ohne weiteres sich ändern lasse.

Dr. St. sagte mir darauf zu, daß er mich auf jeden Fall alsbald von meinem Referat entbinden werde, und fragte mich, welche Absichten ich wegen meiner weiteren Verwendung hätte. Es folgten zunächst einige Erörterungen über den Nachfolger im Referat oder Restreferat. Als Wunsch von mir führte ich an, ich möchte, wenn möglich, nunmehr aus jeglicher politischer Arbeit beiseite treten. Um einen möglichst deutlichen Schnitt zwischen meiner bisherigen und einer neuen Tätigkeit zu erreichen, wäre es mir am liebsten, wenn ich aus dem Ministerium ausscheiden könnte, damit eine Veröffentlichung darüber im Ministerialblatt erschiene. Vielleicht könnte ich zum Reichsverwaltungsgericht übertreten. Dr. St. fragte, ob ich damit an eine der neugeschaffenen Richterstellen im Range eines Ministerialdirigenten dächte. Ich bejahte dies und sagte, ich möchte freilich nicht eine Versetzung aus dem Hause in meinem bisherigen Rang erstreben, denn ich wollte mir ja nicht geradezu eine Strafversetzung erbitten und hätte das wohl auch nicht verdient. Im übrigen hätte ich auch nicht die Absicht, ihm jetzt gleichsam die Pistole auf die Brust zu setzen, vielmehr sei der Zweck der erbetenen Besprechung bereits voll damit erreicht, daß er mir die Befreiung von dem Judenreferat zugesagt habe wofür ich ihm von Herzen danke. Auch sei ich es Herrn Staatssekretär Pfundtner schuldig, ihm sofort nach dieser Besprechung Vortrag zu halten und seine Stellungnahme abzuwarten.

Abschließend sagte Dr. St., man müsse die Endlösung der Judenfrage doch von einem höheren Standpunkt aus betrachten. „Allein in den letzten Wochen sind 50.000 deutsche Soldaten an der Ostfront gefallen; Millionen werden noch fallen, denn, Herr Lösener, der Krieg wird noch sehr lange dauern. Denken Sie daran, daß an jedem deutschen Toten die Juden schuldig sind, denn nur den Juden haben wir es zu verdanken, daß wir diesen Krieg führen müssen. Das Judentum hat ihn uns aufgezwungen. Wenn wir da mit Härte zurückschlagen, so muß man die weltgeschichtliche Notwendigkeit dieser Härte einsehen und darf nicht ängstlich fragen, ob denn gerade dieser oder jener bestimmte evakuierte Jude, den sein Schicksal ereilt, persönlich daran schuldig ist.“

Ich bat, als Antwort ein Gleichnis anführen zu dürfen: Ich bin überzeugter Anhänger der Todesstrafe für bestimmte Verbrechen, muß es aber ablehnen, für meine Person selbst den Henker zu machen. Und seitdem ich weiß, was mit den Evakuierten geschieht, würde jede Unterschrift von mir unter einen notwendigerweise ablehnenden Bescheid auf ein Gnadengesuch sich bedenklichst der Henkersarbeit nähern. Bisher bedeutete eine solche Unterschrift wenigstens nur, daß ich den Gesuchsteller ins Elend zurückstieß, von jetzt ab aber wäre es ein Urteil, das ihn zu einem bestialischen Tode binnen kurzer Zeit verdammte.

Dr. St. beendete die Unterredung in freundlichem Ton mit der Zusage, sich meine weitere Verwendung zu überlegen. Die Unterredung war trotz der selbstverständlichen inneren Spannung in angemessenen Formen verlaufen.

Am nächsten Vormittag (20.XII.41) erstattete ich Staatssekretär Pfundtner Bericht, der mich - wie immer - mit größtem Wohlwollen behandelte und mir jede ihm mögliche Unterstützung versprach.

Niedergeschrieben an Hand von Notizen am 26. Dezember 1941.

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