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Chronik und Quellen
1941
November 1941

Schnellbrief des Reichsministers der Finanzen

Der Reichsfinanzminister regelt am 4. November 1941 die Enteignung der deportierten Juden:

Betr. Abschiebung von Juden

1. Allgemeines

Juden, die nicht in volkswirtschaftlich wichtigen Betrieben beschäftigt sind, werden in den nächsten Monaten in eine Stadt in den Ostgebieten abgeschoben. Das Vermögen der abzuschiebenden Juden wird zugunsten des Deutschen Reichs eingezogen. Es verbleiben den Juden 100,- RM und 50 kg Gepäck je Person. Die Abschiebung hat schon begonnen in den Gebieten der Oberfinanzpräsidenten Berlin, Kassel, Hamburg, Köln, Weser-Ems in Bremen, Düsseldorf.

Es werden demnächst weiter abgeschoben: im Oberfinanzbezirk.

Es kann angenommen werden, daß vier Personen einen Haushalt bilden.

2. Durchführung der Abschiebung

Die Abschiebung der Juden wird von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) durchgeführt. Die Gestapo sorgt auch für die erste Sicherstellung des Vermögens.

Die Juden, deren Abschiebung bevorsteht, haben der Gestapo Vermögensverzeichnisse nach bestimmtem Vordruck einzureichen. Die Gestapo-Stellen versiegeln die Wohnungen und hinterlegen die Wohnungsschlüssel bei den Hausverwaltern.

3. Einziehung des Vermögens

Gesetzliche Grundlage für die Einziehung des Vermögens sind die folgenden Bestimmungen:

a) Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens vom 14. Juli 1933 (RGBl. 1933 I, S. 479) in Verbindung mit dem Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens vom 26. Mai 1933 (RGBl. I, S. 293),

b) Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens im Lande Österreich vom 18. November 1938 (RGBl. I, S. 1620),

c) Verordnung über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens in den sudetendeutschen Gebieten vom 12. Mai 1939 (RGBl. I, S. 911),

d) Verordnung über die Einziehung von Vermögen im Protektorat Böhmen und Mähren vom 4- Oktober 1939 (RGBl. I, S. 1998).

e) Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Verwertung des eingezogenen Vermögens von Reichsfeinden vom 29. Mai 1941 (RGBl. I, S. 303).

Die Bestimmungen für die Ostmark, den Sudetengau und das Protektorat sind in der Aufzählung enthalten, weil auch Vermögenswerte erfaßt werden, die sich in diesen Teilen des Reichsgebiets befinden.

Für Forderungen gegen Juden, deren Vermögen zugunsten des Reichs eingezogen ist, haftet im Altreich das Reich mit den ihm durch die Einziehung zugefallenen Sachen und Rechten (§ 39 des Gesetzes über die Gewährung von Entschädigungen bei der Einziehung oder dem Übergang von Vermögen vom 9. Dezember 1937, RGBl. I, S. 1333). Die Einziehungsverfügungen werden von den Regierungspräsidenten - in Berlin von dem Geheimen Staatspolizeiamt, in Hamburg und Bremen von den Reichsstatthaltern - erlassen. Sie werden den Juden vor ihrem Abtransport durch Gerichtsvollzieher zugestellt.

4. Aufgaben der Reichsfinanzverwaltung

a) Allgemeines

Die Verwaltung und Verwertung des eingezogenen Vermögens der Juden liegt mir ob. Ich übertrage die Erfüllung dieser Aufgabe den Oberfinanzpräsidenten. Die Oberfinanz-präsidenten können sich dabei in Orten außerhalb des Sitzes des Oberfinanzpräsidiums eines Finanzamts bedienen. Ich habe der Gestapo als Stellen, denen das Vermögen zu übergeben ist, die Oberfinanzpräsidenten benannt, für Osnabrück das Finanzamt Osnabrück, für Dortmund das Finanzamt Dortmund-Süd.

Die nächste Abschiebung von Juden beginnt mit dem 7. oder 8. November 1941. Ich bitte den genauen Zeitpunkt für die einzelnen Städte sofort bei den örtlich zuständigen Staatspolizeistellen zu erfragen.

Die erste Aufgabe der mit der Verwaltung und Verwertung betrauten Stellen besteht darin, von den örtlich zuständigen Stapostellen die Vermögensverzeichnisse und Einziehungsverfügungen in Empfang zu nehmen und die gesamte Vermögensmasse zu übernehmen. Es wird insbesondere dafür zu sorgen sein, daß Verfügungen anderer Stellen über diese Vermögenswerte unterbleiben.

Die freigemachten Wohnungen werden im allgemeinen der Bewirtschaftung durch die städtischen Behörden unterliegen. Wegen der Behandlung der Wohnungen ist mit den Städten Verbindung aufzunehmen. Ich lege Wert darauf, daß die Wohnungen möglichst bald von der Stadt übernommen werden, damit das Reich so schnell wie möglich von der Zahlung der Miete für die Wohnungen frei wird (Hinweis auf § 39 des Entschädigungsgesetzes).

Werden die Wohnungen erst nach der Räumung von der Stadt übernommen, so ist für beschleunigte Räumung zu sorgen. Das gilt insbesondere für die Städte, in denen die Wohnungen zur Unterbringung fliegergeschädigter Volksgenossen bestimmt sind. Die Wohnungen müssen entwest und instand gesetzt werden, bevor sie obdachlosen Volksgenossen zugewiesen werden können. Es ist deshalb erforderlich, sofort größere Lagerräume (auch Säle von Gaststätten usw.) für die Unterbringung der Möbel zu beschaffen und die zum Abtransport der Möbel erforderlichen Transportmittel und Transportarbeiter bereitzustellen. Es ist zweckmäßig, sofort die Verbindung mit den Berufsvertretungen des Spediteurgewerbes aufzunehmen.

Ich bitte die Möglichkeit zu prüfen, einen Teil der anfallenden Wohnungen von den mit ihrer Bewirtschaftung beauftragten Stellen für Zwecke der Beamtenwohnungsfürsorge zu erhalten. Die Verhandlungen darüber bitte ich sofort aufzunehmen.

b) Organisation der Dienststelle

Die mit der Durchführung der Aufgaben betraute Dienststelle ist sofort einzurichten. Es ist für jeden Einziehungsfall ein besonderes Aktenstück anzulegen, das zunächst das Vermögensverzeichnis und die Einziehungsverfügung aufnimmt.

Ein Karteiblatt für jeden abgeschobenen Juden erleichtert die Übersicht. Erlöse und Ausgaben sind auf einer Kontokarte (für jeden Juden besonders) festzuhalten, damit jederzeit eine Übersicht über den Stand des eingezogenen Vermögens vorhanden ist.

Ich füge einen Satz Vordrucke bei, die vom Finanzamt Moabit-West in Berlin verwendet werden.

c) Behandlung des beweglichen Vermögens

Ich bitte, vor anderweit [ig] er Verwertung der Wohnungseinrichtungen zu prüfen, welche Gegenstände für die Reichsfinanzverwaltung gebraucht werden können. Es kommen in Betracht: Für die Ausstattung der Ämter (Dienstzimmer der Vorsteher und Sachbearbeiter, Büroräume): Schreibtische, Bücherschränke, Sessel, Teppiche, Bilder, Schreibmaschinen u. a.m.

Für die Ausstattung der Erholungsheime und Schulen der Reichsfinanzverwaltung: Schlafzimmer, Betten, Musikinstrumente und insbesondere Bettwäsche, Tischwäsche, Handtücher usw.

Die Gegenstände, die nicht für Zwecke der Reichsfinanzverwaltung gebraucht werden, sind in geeigneter Weise zu veräußern. Versteigerungen in den Wohnungen selbst sind nach den gemachten Erfahrungen unerwünscht.

Es besteht die Möglichkeit, daß die NSV oder die Städte, denen die Ausstattung fliegergeschädigter Volksgenossen obliegt, bereit sind, größere Mengen der nicht für Zwecke der Reichfinanzverwaltung gebrauchten Gegenstände gegen angemessene Bezahlung abzunehmen Es besteht auch die Möglichkeit, daß die Berufsvertretungen des Altwarenhandels größere Posten erwerben. Die Veräußerungspreise sind in allen Fällen nach den Schätzungen zuverlässiger Sachverständiger festzusetzen.

Es ist darauf zu achten, daß Schränke und Behälter aller Art nicht mit Inhalt verkauft werden Schränke und Behälter sind deshalb nach dem Abtransport zu leeren. Diese Gegenstände sind gesondert zu veräußern.

Der Abtransport und die Lagerung der Möbel sind ständig durch geeignete Beamte zu überwachen, damit Diebstähle nach Möglichkeit vermieden werden.

d) Behandlung von Kunstgegenständen

Kunstgegenstände (Bilder, Plastiken usw.), die nicht von vornherein als minderwertige Erzeugnisse anzusehen sind, sind nicht zu veräußern. Sie sind in geeigneter Weise zu lagern und dem zuständigen Landesleiter der Reichskammer der bildenden Künste zu melden.

Der Landesleiter wird binnen Monatsfrist erklären, ob ein museales Interesse für diese Gegenstände besteht. Es wird bezüglich dieser Gegenstände besondere Weisung ergehen. Die übrigen Kunstgegenstände können veräußert werden.

Die Anschriften der zuständigen Landesleiter (Landesleitungen) sind die folgenden:

Jüdisches Schrifttum und sonstige kulturelle und künstlerische Erzeugnisse jüdischen Schaffens sind sicherzustellen. Weitere Weisung wegen ihrer Behandlung folgt.

e) Behandlung von Gegenständen aus Edelmetall und Briefmarkensammlungen Gegenstände aus Edelmetall und Briefmarkensammlungen sind der Zentralstelle bei der Städtischen Pfandleihanstalt Berlin, Berlin W 8, Jägerstraße 64, zu übersenden. Diese Stelle wird die Erlöse an die abgebende Stelle abführen.

f) Wertpapiere

Wertpapiere sind an die Reichshauptkasse in Berlin abzuliefern.

g) Forderungen

Bankguthaben und andere Forderungen sind einzuziehen.

h) Behandlung des unbeweglichen Vermögens

Grundstücke sind zunächst in Ihre Verwaltung zu nehmen. Die Verwertung der Grundstücke, die nicht für Zwecke der Reichsfinanzverwaltung (Diensträume, Beamtenwohnungsfürsorge) gebraucht werden, wird durch besonderen Erlaß geregelt werden.

Die Umschreibung der eingezogenen Grundstücke und grundstücksgleichen Rechte im Grundbuch ist zu beantragen. Die Einziehungsverfügung mit Zustellungsurkunde ersetzt die nach den Vorschriften des BGB und der Grundbuchordnung erforderlichen Urkunden und Erklärungen.

i) Schuldenregelung

Gläubiger können erst dann befriedigt werden, wenn feststeht, daß das übernommene Vermögen nicht überschuldet ist (§ 39 des Entschädigungsgesetzes). Wegen der Wohnungsmiete Hinweis auf Abschnitt 4a).

5. Erfahrungsaustausch

Die Oberfinanzpräsidenten Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Köln, Weser-Ems und Kassel haben bereits im Oktober 1940 Vermögen abgeschobener Juden übernommen. Es erscheint mir zweckmäßig, daß die Sachbearbeiter derjenigen Oberfinanzpräsidenten, die neu mit dieser Aufgabe betraut sind, sofort mit den Sachbearbeitern der nächstgelegenen oben genannten Oberfinanzpräsidenten in Verbindung treten (Münster mit Düsseldorf, Kiel und Hannover mit Hamburg).

Die Sachbearbeiter der Oberfinanzpräsidenten Niederschlesien und Danzig-Westpreußen werden in Berlin, die Sachbearbeiter der Oberfinanzpräsidenten Württemberg, München und Nürnberg werden in einer gemeinsamen Besprechung in München durch meinen Sachbearbeiter unterrichtet werden.

6. Zweifelsfragen und Erfahrungsberichte

Ich bitte, über Zweifelsfragen sofort zu Händen des Ministerialrats Dr. Maedel zu berichten. Als Deckwort für die Abschiebung der Juden ist in Ferngesprächen die Bezeichnung „Aktion 3“ zu verwenden.

Es ist damit zu rechnen, daß noch weitere Judenabschiebungen folgen. Ich bitte deshalb, mir jeweils nach Abschluß einer Aktion möglichst bald über die dabei gemachten Erfahrungen und die aufgetretenen Schwierigkeiten zu berichten und etwaige Vorschläge für Änderungen im Verfahren beizufügen. Ich behalte mir vor, feste Termine für die Berichterstattung noch zu bestimmen, bitte jedoch, nicht darauf zu warten.

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