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Chronik und Quellen
1941
Oktober 1941

Brief von Alfons Paquet aus Frankfurt a. M. an Hanna Meuter in Köln

Der Journalist Alfons Paquet schildert am 20. Oktober 1941 in einem Brief an Hanna Meuter sein Entsetzen über die Deportation der Juden aus Frankfurt am Main:

Liebe Hanna,

Ihr Brief aus der Alarmnacht vom 17ten kam vorhin mit meinem gedruckten Aufsatz. Vielen Dank für Ihre Pünktlichkeit, aber sie soll gewiß nicht übertrieben werden. Ich habe ja die Korrektur des „Einmaligen“ schon gelesen, werde also eines Tages wohl auch ein paar gedruckte Stücke bekommen. Nur weil ich selbst in solchen selbstverständlich gewordenen Dingen grundsätzlich skeptisch geworden bin, sprach ich überhaupt vom Zurückgeben. Das hat Zeit und käme nur in dem Fall in Betracht, daß die ganze Zeitschrift, in der der Beitrag stehen soll, sie wird in Osnabrück gedruckt, nicht mehr erschiene. Therstappens Verse, die Sie beilegten, sind apokalyptisch schwarz, man kann sie nur mit einem Seufzer lesen, aber es paßt in diese Tage. Ich habe gestern so Bedrückendes erlebt, daß ich noch ganz krank bin. Als ich am Sonntagmorgen durch die Stadt kam, sah ich an der Hauptwache eine kleine schwarzgekleidete Jüdin, mit einer Plaidrolle in der Hand, begleitet von zwei Goldb [... ] gekleideten, auf die Trambahn warten, kurz darauf vernahm ich, daß eine größere Aktion im Gange sei, hörte von Einzelheiten, besuchte Bekannte in einem Hause, das in voller Aufregung war, sah zurückkehrend an derselben Haltestelle abermals eine solche, fast verlegene Eskorte für zwei gutgekleidete, fast siebzigjährige Leute, der alte Herr trug einen Überzieher und einen Wintermantel - mit dem gelben Stern - über dem Arm, an den Füßen Galoschen, die alte Frau einen offenen Korb, aus dem die Thermosflasche und allerlei Reisezeug herausschaute. So in kleinen Gruppen, in Zügen und Trupps wurden den ganzen Tag die Leute zur Großmarkthalle gebracht. Das seltsame Gebäude, in weitem Kreise abgesperrt, lag grau da im dünnen Regen. An neugierigen Lungernden vorbei ging die trostlose Wanderung der mit ihren Bündel[n], Rucksäcken, Koffern Beladen[en], man stellte sie am Rand des Platzes vor einen Schuppen, der an der Seite die große weiße Aufschrift trug Schützet die Tiere, das Gepäck wurde abgestellt und anscheinend nochmals durchsucht wie in einer Zollstation unter freiem Himmel, ehe es in das große Gebäude weiterging. Am erschreckendsten aber war die Stumpfheit und der Hohn der Menschen. Es waren kleine Szenen, wie sie Goya gezeichnet hat, so hat Daumier die Menschen gesehen, in ihrer groben wuchtigen Tierheit. Ich versuchte mit meinem Ausweis Zutritt in die Halle zu erlangen, wurde aber zurückgewiesen und ging fort. Der ganze Umkreis trug noch das Gepräge dieses Geschehens, an der Straßenbahnhaltestelle Leute, die stumm warteten, andere triumphierten gegen eine alte Frau, die dann wegging: Für Juden gäbe es keine Straßenbahn. Ist nun das alles der Abschluß einer tausendjährigen Episode in dieser Stadt? Was bedeutet diese furchtbare Urteilsvollstreckung für den Angeklagten, dem jeder Anwalt versagt ist, selbst der Offizialverteidiger, den selbst das strenge Kriegsrecht noch kennt. Und was bedeutet es für die ändern, die wie jene am Karfreitag schreien: Bist du Gottes Sohn, dann steige herab von dem Kreuz und hilf dir selbst. Es heißt, daß alle diese Unglücklichen nach Lodz, Litzmannstadt, geschickt werden, dessen Ghetto längst überfüllt ist. Es wird eine Reise sein, die Wochen dauert, in Güterzügen, man wagt es nicht, sich Einzelheiten auszumalen. Es scheint, dieselbe Sache ist auch in anderen Städten im Gang und wird nicht zu Ende kommen, eh nicht die Letzten ausgestoßen sind. Und doch sind das alles nur Teile der grausigen Dinge, die im Osten geschehen. Der vorige Krieg war noch mild dagegen. Aber die steinernen Tafeln der Zehn Gebote sind zerschlagen, die Dämonen losgebunden worden.

Wann ich nach Köln komme, weiß ich noch immer nicht, denn Ende dieser Woche muß ich einmal wieder nach Leipzig und Berlin. Ich käme über Köln zurück, wenn es nicht ein Umweg vor dem Zuhause wäre. Aber auch der Rhein ist mir ein Stück Zuhause, es geht nicht ohne ihn. Solch ein kleiner Fluß, fast ein Flüßchen nach amerikanischen Begriffen und mir doch wesentlicher als der Nil, breiter als der Mississippi. Sie wissen’s

ja und wundern sich nicht.

Alles Gute Ihnen und dem rüstigen, von der Tochter treu behüteten Papa!

Und auf ein baldiges Wiedersehen. Auch Ih. herzliche Grüße.

Ihr alter

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