Brief von Max und Gertrud Löwendorff aus Köln vom 7. Oktober 1941
Max und Gertrud Löwendorff aus Köln [1] schreiben ihrem Schwager Hanns Nerreter am 7. Oktober 1941 von den Schikanen gegen Juden und ihren Hoffnungen auf bessere Zeiten:
„Mein lieber Hanns,
ich habe bis heute gewartet, Dir für Deinen lieben telegrafischen Geburtstagswunsch und Grüße zu danken, da Du durch die l. Hete mir einen Brief avisiertest. Heute möchte ich jedoch meine schon lange gehegte Absicht, Dir mal wieder zu schreiben, verwirklichen und Dir auch danken für die laufend eingehenden lieben Grüße. Soweit es von Allgemeininteresse, gibt uns Hete ja immer Kenntnis von dem bezüglichen Teil Deiner Briefe, so daß wir über Dich und was Dich persönlich angeht so ziemlich unterrichtet sind.
Daß wir über Deine, die Gesundheit betreffenden Zeilen nicht gerade befriedigt sind, ja, daß wir uns schon lange Zeit erhebliche Sorge Deinetwegen machen, will und kann ich nicht verschweigen, und wenn wir auch erstaunt sind über die von Dir aufgewandte Energie und die damit verbundenen Leistungen, so muß doch ehestens etwas geschehen, damit Du wieder richtig in Ordnung kommst und Du körperlich erstarkst. Was ist bei Dir das Grundleiden? Sind es die Zähne, ist es der Magen oder sind es die gesamten Nerven? Du mußt ja fürchterlich verloren und gelitten haben, und wie Du es bei solch geringen Körperkräften überhaupt noch fertigbringst, Deinen vielseitigen Pflichten nachkommen zu können, ist uns ein Rätsel. Ärzte hast du genügend consultiert. Die Diagnosen haben nach Deinem Bericht immer gestimmt, bis Du plötzlich wieder ganz entgegengesetzte Kuren begonnen hast. Gib mal genaue Auskunft und auch einen richtigen Bericht über die Gesamtlage Deines körperlichen Zustandes. Kann man etwas für Dich tun, Dir etwas schicken oder irgendwie Hilfe leisten? Ist es nicht irgendwie möglich, daß Du eine geeignete Hilfe für Deinen Hausstand irgendwie bekommst, denn sicher gibt es doch in Nürnberg oder in der Umgebung alleinstehende und ehrbare gesetzte Frauen, die aushelfen können und wollen. An den dazu nötigen Mitteln fehlt es nicht, und jetzt, wo Du pflegebedürftig bist, muß Rat und Hilfe geschaffen werden, willst Du nicht Schiffbruch erleiden. Dieses, meine ich, wäre nach all den Jahren des großen persönlichen Opfers schade, denn in nicht zu ferner Zeit werden wir alle es geschafft haben und ein neuer und hoffentlich schönerer Morgen wird herandämmern!
Dieses Bewußtsein und der fanatische Glaube, daß es nicht mehr lange so weitergehen kann läßt ja auch uns all das Ungemach mit Würde und sicherer Ruhe tragen und ertragen, und Du kannst es mir glauben, daß es manches Mal nicht leicht ist. Daß man uns so manche zusätzliche Nahrung, Kaffee und Tee nicht gab, daß Reis und Conserven, Kunsthonig und Obst auf J-Karten nicht verabfolgt wurden, man dieses und jenes nicht durfte, daß man uns mehrere Male zwangsweise umsiedelte und jetzt, wo man uns in eine Einzimmerwohnung zusammenquetschte, wiederum davon spricht und vorbereitet uns evtl. in Holzbaracken unterzubringen, daß man uns einen Kennzeichnungsstern anhängt, alles dieses ist nicht leicht, aber aus der sicheren Erkenntnis heraus, daß man nicht schlechter, sondern besser als seine Widersacher ist, daß man kein anderes Verbrechen begangen hat als das, daß der Großvater als Jude geboren wurde, und daß die Zeit kommen wird und bald kommen muß, wo wieder Recht und Gerechtigkeit und Geist und Vernunft die Grundlage des Staates sein werden, läßt einen das Ungemach ertragen, besonders unter dem glücklichen Umstand, daß man gesund ist und innerlich zufrieden. Sieht man von den äußeren Umständen und der Tatsache ab, daß man ja nie weiß, was der morgige Tag bringt, kann man froh sein, daß man wehrunwürdig ist und daß die engere Familie an dem Massenmord nicht activen Anteil nimmt und man dadurch wieder in Sorgen auch nicht allzu leichter Art gestürzt wird. Wo Schatten ist, gibt es auch Licht, und so wollen wir weiter hoffen und der Dinge harren, die da kommen müssen.
Wenn Du, l. Hanns, uns bessere Berichte über Deinen Gesundheitszustand geben kannst, ist dieses für uns schon sehr wichtig und genauso für unser Wohlbefinden von Bedeutung wie die G.s.D. fast immer guten Berichte unserer drei Kinder. Gewiß, die Trennung wird immer ärger, und oft meint man, daß das so nicht weitergehen könne, ruhige Überlegung besagt aber immer wieder, daß man froh sein soll, die Kinder draußen und außerhalb dieser vielen Häßlichkeiten zu wissen, die ja täglich sich noch vermehren können und zu vermehren scheinen. Neuerdings ist wieder eine listenmäßige Erhebung in Vorbereitung über Bestand an Wäsche, Teppichen, Garderobe und sonstigen Werten, und es scheint mir, daß man diese Ausstattungs- und Bekleidungssachen nötig hat, um sonst nicht zu deckenden Bedarf zu befriedigen. Die Zeit scheint gekommen, wo zwar Geld da ist, aber keine Ware und Rohstoffe, und nun muß der letzte Akt beginnen. Es gibt kein Entrinnen aus einer solch hoffnungslosen Lage, die man sich 1934 vorbereiten sah, und die Statistiken bewiesen es, daß, da immer mehr abging, als dazukam, der Tag kommen mußte, wo der Bedarf größer als der Bestand ist. Die neuerlichen Einschränkungen und Kürzungen lassen auch bezüglich der Lebensmittelversorgung harte Zeiten befürchten, und wenn man auch bisher sagen durfte, daß niemand zu hungern brauche, einschränken mußte sich der Durchschnittsbürger schon sehr, und das Existenzminimum ist bald erreicht, besonders für die, die hart arbeiten müssen ohne irgendwelchen Zusatz zu haben.
Von der politischen und militärischen Lage will ich gar nicht reden, da ich hiervon nichts verstehe. Es geht aber so, wie ich es mir immer gedacht habe. Langsamer, aber absolut sicher, und es bleibt die Frage, wann der Sieg sichtbar wird. Der Führer hat in seiner letzten Rede schon die Entscheidung für nahe bevorstehend ausgesprochen, und bisher ist dieses alles immer wieder eingetroffen. Wer kann und will da zweifeln. Zwar sind unsere Verluste nicht zu schwer und deshalb tragbar gemessen an den Zahlen, die die rumänische Heeresverwaltung für die kleine Front, die die Rumänen haben, erlitten haben. Aber die Deutschen kämpfen ja auch ganz anders und wissen sich besser zu schützen. Die Russen sind wohl bald fertig, denn Petersburg und Moskau müssen ja bald fallen, und dann hat auch England sein letztes Lied gesungen. Daß Du mit dem Geschäft nicht zufrieden bist, kann ich mir vorstellen, und sicher gibt es dort keine vergnügten Tage mehr für Dich. Hier sind sehr viele Läden geschlossen, und ich bin der Ansicht, daß die Inhaber ein gutes Geschäft dabei machen. Die Zeit ist eben ganz anders wie früher, und nur wer keinen Verstand mehr hat, versteht sie. Im Übrigen haben wir hier die schönsten Herbsttage, die man sich denken kann, und es ist immer ein großer Genuß, einen Spaziergang am schönen Rhein zu machen. Wir nutzen die Zeit und die Gelegenheit hierzu aus, und ich kann Dir sagen, daß wir alle drei recht gesund und frisch aussehen. Auch figürlich sind wir nicht viel dünner geworden und hoffen, daß Du uns bald wieder von einem dickeren Hals Deinerseits Bericht geben kannst. Ansonsten wird Dir die l. Hete ja täglich berichten, und ich kann mich darauf beschränken, Dir mein unverändertes Wohlwollen und Zuneigung bekanntzugeben. Vielen herzlichen Dank für die verschiedenen Spenden, die immer große Freude auslösen und nur dann uns munden, wenn wir nicht befürchten müssen, daß Du zu wenig haben wirst.
Ich drücke Dir die Hand und wünsche Dir herzlichst baldige Gesundung.
Dein Max