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Chronik und Quellen
1937
August 1937

Denkschrift für eine Besprechung mit Staatssekretär Stuckart

Max Warburg unterbreitet Staatssekretär Stuckart 9. August 1937 Vorschläge zur Förderung der jüdischen Auswanderung:

I. Ziel: Förderung der Auswanderung.

Unbeschadet der Tatsache, dass die Stellung der deutschen Regierung zur jüdischen Frage eine grundlegend andere ist als die der Juden in Deutschland selbst, treffen sich beide Seiten in dem Bestreben, die Auswanderung der Juden aus Deutschland mit allen Mitteln zu fördern.

Förderung der Auswanderung heisst, die Voraussetzungen für die Übersiedlung der Juden in andere Länder schaffen oder verbessern.

Da die für die Einwanderung in Frage kommenden Länder Einwanderer nicht wahllos aufnehmen, sondern ganz bestimmte Ansprüche an die Ausbildung und wirtschaftliche Kraft ihrer künftigen Angehörigen stellen, müssen die aus Deutschland kommenden jüdischen Einwanderer entsprechend beruflich vorbereitet und ausgestattet sein; dies gilt umso mehr, als sie mit der starken Konkurrenz der japanischen und polnischen Einwanderung zu rechnen haben. Richtige Ausbildung und ausreichende Ausstattung der jüdischen Auswanderer sind also von entscheidender Bedeutung für die Förderung der Auswanderung.

II. Ausbildung der Auswanderer. Berufliche Umschichtung.

Im Ausland gebraucht werden in erster Linie Handwerker, Facharbeiter, selbständige Landwirte und Landarbeiter, bei den Frauen, deren Tätigkeit bei einer Auswanderung mindestens ebenso wichtig ist wie die der Männer, hauswirtschaftlich und pflegerisch geschulte Kräfte.

Die allgemeine Voraussetzung für die Schaffung von Lehrwerkstätten für die auswanderungswillige jüdische Jugend ist in dem unter Mitwirkung des Herrn Reichs- und Preussischen Ministers des Innern zustande gekommenen Erlass des Herrn Reichs- und Preussischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, Geschäftszeichen EIV 3842 M. vom 13.7.1936 gegeben worden.

Die auf Grund dieses Erlasses errichteten Lehrwerkstätten können aber nur zum Teil das Bedürfnis nach handwerklichen Ausbildungsmöglichkeiten decken, da für eine grosse Anzahl von Berufen eine Ausbildung nicht in Lehrwerkstätten, sondern nur in Einzelbetrieben des Handwerks und der Industrie selbst durchgeführt werden kann.

Obgleich der Herr Reichs- und Preussische Erziehungsminister in dem oben erwähnten Erlass ausgeführt hat, dass „die Erlernung des Handwerks jedenfalls nur in ordnungsmässiger Lehre erfolgen kann, der sich zu unterziehen der jüdischen Jugend unbenommen bleibt“, nehmen Betriebe mit nichtjüdischen Inhabern jüdische Lehrlinge nicht auf. Die jüdischen kaufmännischen und handwerklichen Betriebe gehen an Zahl und Bedeutung mehr und mehr zurück, und die Lehrlinge in solchen Betrieben werden in der Mehrzahl der Fälle zu den vorgeschriebenen Prüfungen nicht zugelassen.

Um den Bedarf an Ausbildungsstellen zu decken, sollte daher die Ausbildung künftiger Auswanderer auch in solchen Industriebetrieben gestattet werden, die an sich zur Ausbildung von Lehrlingen im Sinne der Gewerbeordnung nicht berechtigt sind, weil die Ausbildung nicht von einem Handwerksmeister durchgeführt werden kann.

Um die Aufnahme in die Betriebe zu erleichtern, müsste sie unentgeltlich möglich sein, und zu diesem Zweck müsste entsprechend der Rechtsprechung einiger Oberversicherungsämter für bisherige Empfänger von Arbeitslosen-, Krisen- und Wohlfahrtsunterstützung der Fortbezug dieser Unterstützung auch während der Umschulung gewährleistet werden, wobei natürlich Vorbehalten werden könnte, dass diese Personen jederzeit für einen Arbeitseinsatz zur Verfügung stehen.

Für die landwirtschaftliche Ausbildung konnten auf Grund von Vereinbarungen mit dem Verwaltungsamt des Herrn Reichsbauernführers eine Anzahl von landwirtschaftlichen Ausbildungsstellen für die jüdische Jugend errichtet werden. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass hier leider durch das off langwierige - über ein Jahr währende - Genehmigungsverfahren kostbare Zeit verloren gegangen ist. Dieses Verfahren sollte also beschleunigt werden. Im übrigen sollte auch, soweit die sehr kostspieligen jüdischen Ausbildungsstätten nicht ausreichen, eine Ausbildung in landwirtschaftlichen Grossbetrieben oder in bestimmten bäuerlichen Betrieben zugelassen werden.

Neben der beruflichen Ausbildung wird es nötig sein, dass die Juden, die auswandern wollen, sich Sprachkenntnisse aneignen und Deutschland nicht verlassen, ohne der Sprache des Landes, in das sie gehen werden, kundig zu sein. Dieser sprachlichen Ausbildung auf allen Stufen (in jüdischen Schulen, Lehrhäusern, Kursen) sollten von staatlicher Seite keinerlei Schwierigkeiten bereitet werden.

Sollen die Auswanderer den schweren Anforderungen an ihre körperliche Leistungsfähigkeit, die sie draussen erwarten, genügen, so wird es ferner nötig sein, sie durch sportliche Ausbildung zu schulen. Dazu gehört vor allem auch die Ausbildung im Schwimmen, die heute der jüdischen Jugend fast überall unmöglich gemacht wird.

Unbedingt zu verhindern wäre es, dass Personen, die nach Alter, Beruf und körperlicher Leistungsfähigkeit für eine Existenzgründung im Ausland völlig ungeeignet sind, zur Auswanderung veranlasst werden. Solche Menschen werden vom Auslande nicht nur nicht aufgenommen werden, ihr Erscheinen ist vielmehr geeignet, die Aufnahmewilligkeit der fremden Länder aufs Schwerste zu beeinträchtigen. Können solche Menschen aus irgendwelchen Gründen in ihren gegenwärtigen Wohnorten nicht bleiben, so sollte man ihnen die Möglichkeit geben, an anderen Orten in Deutschland, sei es bei Verwandten, sei es in einer anderen Berufstätigkeit unterzukommen. Es dürfte aber nicht vorkommen, dass ihnen diese Auswege verschlossen werden, um sie „freiwillig“ zu einer Auswanderung zu veranlassen.

III. Ausstattung der Auswanderer. Aufbringung der Mittel.

Weder der Handwerker noch der Landwirt oder der Kaufmann kann eine Existenz gründen, ohne dass er selbst über bescheidene Mittel verfügt oder ihm geldlich geholfen wird. Der Arbeitnehmer muss wenigstens die allererste Zeit, bis er einen Arbeitsplatz gefunden hat, überdauern können.

Eine sehr erhebliche Erschwerung der Auswanderung bedeutet angesichts des niedrigen Kurses der Auswanderer-Sperrmark die Erhebung der Reichsfluchtsteuer schon bei einem Vermögen von RM 50000 aufwärts. Bei einem Durchschnittskurs der Auswanderer-Sperrmark von 20 % ist dieses Kapital im Ausland für den Auswanderer tatsächlich nur noch RM 10 000 wert. Hat er dann davon noch vorher 25 % abzugeben, so behält er von einem Inlandsvermögen von RM 50 000 im Ausland tatsächlich nur noch RM 7 500 übrig. Wir bitten ernstlich zu prüfen, ob angesichts dieser Sachlage nicht eine Erhöhung der Vermögensfreigrenze bei der Reichsfluchtsteuer möglich ist derart, dass wenigstens die kleinen Auswanderervermögen von der Steuer freigestellt werden und dass die Auswanderer einen ausreichenden Betrag für den Aufbau einer neuen Existenz im Ausland behalten. Es ist zu bedenken, dass gerade die Inhaber dieser kleinen Vermögen meistens Menschen im mittleren Alter sind, die die Vermögen in jahrelanger Arbeit langsam gesammelt haben und nun durch die Auswanderung besonders hart betroffen werden und sich auch ohne Kapital im Ausland kaum eine neue Existenz schaffen können. In diesem Zusammenhang bitten wir auch zu erwägen, ob nicht ein Teil des Aufkommens aus der Reichsfluchtsteuer abgezweigt werden kann, um einen Fonds zu bilden, aus dem Unterstützungen an würdige unbemittelte Auswanderer geleistet werden können. Für die Empfänger von Wohlfahrtsunterstützung, die auswandern wollen, sollte - in Übereinstimmung mit der Praxis einiger Bezirksfürsorgeverbände - allgemein als Ablösung der sonst zu zahlenden öffentlichen Unterstützung ein Beitrag zu den Übersiedlungskosten gewährt werden. Soweit die eigenen Mittel der Auswanderer nicht genügen, muss ihnen wie geschildert finanzielle Beihilfe in Gestalt von Unterstützung geleistet werden. Träger dieser Unterstützung sind, soweit ihnen das noch möglich ist, die in Deutschland verbleibenden Juden, insbesondere die jüdischen Gemeinden, und das Ausland.

Vom Ausland ist die unerlässliche finanzielle Beihilfe nur zu erlangen, wenn ein wesentlicher Teil der Unterstützung von den Juden in Deutschland geleistet wird. Jede Verhandlung mit den ausländischen Hilfsorganisationen beginnt mit der Frage nach den eigenen Leistungen der Juden in Deutschland. Daher ist es von grösstem Interesse, dass die in Deutschland zurückbleibenden Juden zahlungsfähig bleiben, sonst können sie nicht helfen. Bleiben die Juden nicht wenigstens in der Mehrheit solvent, so können sie nicht nur selbst nicht mehr helfen, sondern sie fallen auch als Steuerzahler für die jüdischen Gemeinden aus. Die jüdischen Gemeinden würden dann die grossen Ansprüche, die an sie gestellt werden, nicht mehr erfüllen können.

Schon heute ist ein grösser Teil der jüdischen Gemeinden infolge der Abwanderung von leistungsfähigen Gemeindemitgliedern und der Verarmung der Zurückgebliebenen nicht mehr in der Lage, einen Anteil an den Kosten für die Ausbildung der Auswanderer und die Durchführung der Auswanderung zu übernehmen. Diese Gemeinden sind darauf angewiesen, dass diese Kosten vollständig von den zentralen jüdischen Organisationen, insbesondere der Reichsvertretung der Juden in Deutschland, übernommen werden. Die Mittel hierfür fliessen den zentralen Organisationen in der Hauptsache aus Spenden ausländischer jüdischer Hilfsorganisationen und inländischer Einzelpersonen zu. Nachdem auf Grund des Steueranpassungsgesetzes vom 16. Oktober 1934 und des Ausführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen vom 1. Dezember 1936 jüdische Organisationen nicht mehr als kirchlich, gemeinnützig und mildtätig anerkannt werden, sind solche Zuwendungen schenkungssteuerpflichtig geworden. Bei den Zuwendungen der ausländischen Organisationen handelt es sich um sehr erhebliche Beträge, die infolgedessen den höchsten Steuersätzen der Schenkungssteuer unterliegen würden.

Es muss mit grösstem Ernst darauf hingewiesen werden, dass die ausländischen Hilfsorganisationen nicht bereit sein werden, diese hohen Abzüge von den Mitteln, die sie für die Auswanderung und die Auswanderungsvorbereitung von Juden aus Deutschland zur Verfügung stellen, hinzunehmen. Sollen also die Auslandsspenden, deren Fortfall die gesamte Arbeit der zentralen jüdischen Organisationen in Frage stellen würde, nicht verloren gehen, so muss in diesem Punkt Abhilfe geschaffen werden. Aber auch die Zuwendungen inländischer Juden an jüdische Organisationen sollten zum mindesten soweit sie für Zwecke der Auswanderung und Auswanderungsvorbereitung gegeben werden, von der Schenkungssteuer befreit werden.

Hingewiesen werden muss in diesem Zusammenhang auch auf die neuerdings ergangenen Richtlinien des Reichsfinanzministers zum Grundsteuergesetz, durch die für jüdische Synagogengemeinden eine besondere Regelung in Bezug auf Grundsteuer Vorbehalten ist. Die jüdischen Gemeinden würden den Rest ihrer Leistungsfähigkeit verlieren, wenn sie etwa auch noch Grundsteuer für ihren Synagogen- und sonstigen Grundbesitz entrichten müssten.

IV. Planmässige Auswanderung! Keine Massnahmen, die zur Panik führen!

Die vorstehend skizzierte planmässige Ausgestaltung der Auswanderung und die Aufbringung sowie der zweckvolle Einsatz der für die Auswanderung erforderlichen Mittel sind nur möglich, wenn die Auswanderung sich in Ruhe vollziehen kann. Entsteht in jüdischen Kreisen eine Panik, so wird das Ziel der deutschen Regierung, eine möglichst vollständige Auswanderung aus Deutschland zu bewirken, nie erreicht. Nichts ist dafür gefährlicher, als eine planlose Emigration und die mit ihr verbundene Verschleuderung jüdischen Vermögens: im Innern geht der letzte wirtschaftliche Rückhalt der präsumptiven Auswanderer verloren, das Ausland weist die wirtschaftlich schwachen und für ihre neue Arbeit schlecht vorbereiteten Menschen zurück und sperrt sich nach und nach vollkommen gegen jede weitere Einwanderung ab.

Es ist der deutschen Regierung bekannt, dass der Ausschluss der Juden aus dem Erwerbsleben weit über die Bestimmungen der Nürnberger Gesetze hinaus immer weiter vorangetrieben wird. Mit allem Ernst müssen wir noch einmal auf die Gefahr hinweisen, dass dadurch auch die wirtschaftliche Grundlage der von der deutschen Regierung gewünschten möglichst vollständigen Auswanderung untergraben und vernichtet wird.

Aus den Betrieben werden - insbesondere unter dem Druck der Deutschen Arbeitsfront -die jüdischen Angestellten restlos entfernt.

Alle zum Reichsnährstand gehörigen jüdischen Erwerbstätigen werden systematisch aus ihren Berufen ausgeschlossen.

Handelsvertreter, für deren Tätigkeit eine Legitimationskarte notwendig ist, Juden, die im Wandergewerbe tätig sind, Strassenhändler usw. können vielfach ihren Beruf nicht mehr ausüben. Off nimmt die lokale Polizeibehörde den Gewerbetreibenden die Erlaubnisscheine, die sie von den Verwaltungsbehörden bekommen haben, wieder ab. Ausserordentlich einschneidende Einschränkungen sind neuestens für den jüdischen Buchverlag und Buchvertrieb verfügt worden. Der jüdische Buchvertrieb darf nur an Juden gegen Ausweis und ausschliesslich jüdische Bücher liefern. Er darf weder den Bedarf der jüdischen Schulen an allgemeinen Lehrbüchern decken, noch jüdischen Auswanderern die für die Auswanderung erforderliche Sprach- und Fachliteratur liefern. Nicht einmal der Verkauf der noch am Lager befindlichen allgemeinen Literatur an jüdische Abnehmer wird ihm gestattet. Die Mehrzahl der jüdischen Buchhandlungen muss infolgedessen zugrunde gehen. Damit verliert auch der jüdische Verlag seine Existenzfähigkeit, da ihm die Absatzorganisation durch einen leistungsfähigen Buchhandel fehlt, ganz abgesehen von der Schwierigkeit, die es für ihn bedeutet, dass jedes jüdische Buch der Vorzensur unterliegt.

Nicht-jüdischen Firmen und Privatleuten wird verboten, mit ihren alten jüdischen Geschäftsfreunden in Zukunft zu arbeiten. Dies führt zur Lösung wertvoller Geschäftsbeziehungen und muss auf die Dauer auch Firmen, die sich im Augenblick noch als kräftig betrachten dürfen, zum Erliegen bringen.

Dies sind nur Beispiele.

V. Passwesen.

Von grösster tatsächlicher und psychologischer Bedeutung für die Auswanderung ist auch die Passfrage und die Behandlung der sogenannten „Rückwanderer“. Die Dauer neuer für Juden ausgestellter Pässe ist ausserordentlich kurz, meist nur 6 Monate. Sie genügt in vielen Fällen nicht einmal, um den Juden zu ermöglichen, eine Erkundungsreise zu machen, um festzustellen, welche Aussichten sich ihnen für eine Existenz im Ausland bieten. In vielen Gebieten Deutschlands werden Juden Pässe nur ausgestellt auf Grund einer Bescheinigung der Industrie- und Handelskammer, eines amtsärztlichen Attestes oder zur Auswanderung. In anderen Gegenden erhalten Juden ausser zur Auswanderung überhaupt keine Pässe. So sind zum Beispiel den Absolventen einer jüdischen Lehrerbildungsanstalt Pässe für eine Studienreise nach Palästina verweigert worden, trotzdem solche Studienreisen ausschliesslich dem Zweck dienen, den jüdischen Lehrern die Vorbereitung ihrer Schüler für die Auswanderung nach Palästina zu erleichtern.

Juden, die sich einige Zeit im Ausland aufgehalten haben, etwa, um die Möglichkeit einer Existenzgründung im Ausland zu untersuchen, wissen nicht, ob sie ungehindert nach Deutschland zurückkehren können. Selbst Kindern und Jugendlichen, die ausländische Ausbildungsstätten besuchen, sind an der Grenze schon Schwierigkeiten gemacht worden, wenn sie in den Ferien zu ihren Familien nach Hause kommen wollten. Aus Deutschland ausgewanderten Juden wird vielfach der Grenzübertritt verweigert oder ihnen die Verbringung in ein Schulungslager angedroht, wenn sie nicht eine Bescheinigung der deutschen Auslandsvertretung ihres neuen Wohnsitzes vorweisen, dass ihrer Einreise keine Bedenken entgegenstehen. Die Ausstellung solcher Bescheinigungen wird in den meisten Fällen verweigert und dauert in den günstigsten Fällen viele Wochen.

Die meisten jüdischen Familien sind unter dem Zwang der Verhältnisse heute auseinandergerissen. Wird ein Zusammenkommen auch in Notfällen dadurch verhindert, dass weder die im Inland verbliebenen Familienmitglieder ins Ausland fahren noch die ausgewanderten zum Besuch ihrer Angehörigen nach Deutschland kommen können, so werden in vielen Fällen die Familien versuchen, so lange als irgend möglich, selbst unter grössten Entbehrungen, zusammenzubleiben. Die Auswanderung wird infolgedessen nicht gefördert, sondern gehemmt.

VI. Die Reichsvertretung der Juden in Deutschland.

Die jüdischen Hilfsorganisationen des Auslandes, ohne deren weitere Mitwirkung die Auswanderung in ihrem seitherigen Umfang nicht fortgeführt, geschweige denn unter den erschwerten Verhältnissen ausgebaut werden kann, bedürfen für ihre Hilfstätigkeit einer entsprechenden jüdischen Organisation in Deutschland, mit der sie Zusammenarbeiten können. Diese Aufgabe hat schon bisher die Reichsvertretung der Juden in Deutschland als die Zusammenfassung der jüdischen Gemeinden, Landesverbände und sonstigen gros-sen Organisationen erfüllt. Wie sie die Spitzenorganisation für das jüdische Schulwesen, die Berufs-Ausbildung und -Umschichtung und das jüdische Wohlfahrtswesen ist, so hat sie auch auf dem Gebiet der Auswanderung die Tätigkeit des Palästina-Amtes für die Auswanderung nach Palästina und des Hilfsvereins der Juden in Deutschland für die Auswanderung nach den übrigen Ländern coordiniert, die Verhandlungen mit den ausländischen Hilfsorganisationen geführt, die von diesen zur Verfügung gestellten Mittel übernommen und für die genannten Zwecke an die Organisationen, Landesverbände und Gemeinden weitergeleitet. Es ist ihr und ihren leitenden Persönlichkeiten, Rabbiner Dr. Leo Baeck als Präsident und Ministerialrat a. D., Dr. Otto Hirsch als geschäftsführen-der Vorsitzender, gelungen, sich das volle Vertrauen der für die Hilfstätigkeit in Betracht kommenden jüdischen Kreise des Auslandes wie der Judenschaft in Deutschland zu erwerben und die Zusammenarbeit harmonisch zu gestalten. Die Wirksamkeit dieser Zusammenarbeit, sowohl was die Aufbringung der Mittel wie die Organisation der Auswanderer angeht, würde noch gesteigert werden, wenn der Reichsvertretung die Möglichkeit der Erörterung der einschlägigen Fragen mit allen zuständigen amtlichen Stellen gegeben und sie als Gesamtorganisation der Juden in Deutschland amtlich anerkannt würde.

VII. Englisches Vorschuss-Syndikat.

Unter der Voraussetzung, dass eine Organisation der jüdischen Auswanderung im Sinne der bisherigen Ausführungen möglich sein sollte, die Gewähr gibt für eine planmässige, nicht überstürzte Verpflanzung der Auswanderer in andere Länder, die ihnen den Aufbau einer neuen Existenz gestatten, aber nur unter dieser Voraussetzung besteht unter Umständen die Möglichkeit, auf mehr wirtschaftlicher Basis im Ausland noch weitere Mittel zur Förderung der jüdischen Auswanderung aus Deutschland flüssig zu machen. In diesem Sinne ist bereits vor einem Jahr mit einem erstklassigen englischen Konsortium von sowohl jüdischen als nichtjüdischen Bankfirmen verhandelt worden, und es wurde von ihm ein Betrag von englischen Pfund 1,5 Millionen in Aussicht gestellt.13 Als diese Verhandlungen scheiterten, weil auf deutscher Seite die Voraussetzungen für die finanzielle Hilfe der deutschen Banken damals nicht erfüllt werden konnten, war man auch bereit, eventuell durch ein Vorschuss-Syndikat Summen von kleinerem Ausmass zur Verfügung zu stellen. Es würde sich jetzt darum handeln, diese Verhandlungen wieder aufzunehmen.

VIII. Zusammengefasst:

Nur bei einer planmässig gestalteten, wirtschaftlich fundierten und nicht überstürzten Auswanderung wird das Ziel erreicht, das - aus verschiedenen Motiven - die deutsche Regierung und die Juden erstreben. Richtige Ausbildung und ausreichende wirtschaftliche Ausstattung der Auswanderer sind von entscheidender Bedeutung, wo es sich darum handelt, eine möglichst vollständige Übersiedlung der Juden in andere Länder zu bewerkstelligen. Um die Ausbildung zu gewährleisten, dürfen die von jüdischer Seite geschaffenen Lehrwerkstätten, Lehrgüter und ähnliche Einrichtungen zur beruflichen Vorbereitung der Aus Wanderer in ihrer Tätigkeit nicht gehemmt, und die Genehmigung neuer derartiger Einrichtungen muss beschleunigt werden.

Die Ausbildung in Einzelbetrieben, auch mit nicht-jüdischen Inhabern, muss gestattet sein, soweit jüdische Ausbildungsstätten nicht ausreichen, ebenso die Ausbildung in Industriebetrieben. Unterstützungsberechtigten Teilnehmern soll der Besuch durch Fortzahlung der Unterstützung erleichtert werden.

Die sprachliche Vorbereitung der Auswanderer darf nicht gehindert, ihre körperliche Durchbildung muss ermöglicht werden. Ungeeignete Personen dürfen auf keinen Fall zur Auswanderung veranlasst werden.

Um die notwendige wirtschaftliche Ausstattung der Auswanderer zu gewährleisten, sollte die Vermögensfreigrenze der Reichsfluchtsteuer heraufgesetzt, und ein Teil des Aufkommens der Reichsfluchtsteuer sollte für die Ausstattung unbemittelter jüdischer Auswanderer abgezweigt werden.

Schenkungssteuer sollte für Spenden, die von ausländischen oder inländischen Juden zum Zweck der Auswanderung und Auswanderungsvorbereitung gegeben werden, nicht erhoben werden.

Um die Hilfstätigkeit der Juden in Deutschland für die Auswanderer nicht zum Erliegen zu bringen, dürfen die noch im Erwerbsleben stehenden Juden nicht diskriminiert und darf eine weitere Ausschaltung von Juden aus dem Erwerbsleben nicht vorgenommen werden. Eine die Auswanderung hemmende Sonderbehandlung der Juden in Passangelegenheiten darf nicht stattfinden.

Zur grösstmöglichen Konzentration der Hilfeleistung der ausländischen Juden und zum Ausbau der organisatorischen Massnahmen unter den Juden in Deutschland sollte die Reichsvertretung der Juden in Deutschland als deren Gesamtorganisation amtlich anerkannt werden.

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