April 1939
Die Kriegsgefahr nahm auch im April zu. Anlässlich des Stapellaufs des Schlachtschiffs „Tirpitz“ in Wilhelmshaven kritisierte Hitler am 1. April die Westmächte, die - nachdem sie es bereits 1919 mit dem Versailler Vertrag „vergewaltigt und dem Elend entgegenführt“ hätten – Deutschland nun „einkreisen“ würden. Er drohte: „Das Deutsche Reich ist aber jedenfalls nicht bereit, eine Einschüchterung oder auch Einkreisungspolitik auf Dauer hinzunehmen.“ Der angebliche Kampf gegen diese „Einkreisungspolitik“ sollte dann zum publizistischen Leitmotiv der deutschen Propaganda im Frühjahr und Sommer 1939 werden. Hierhin passte es dann, dass Großbritannien und Frankreich am 13. April Griechenland, Rumänien und Polen Hilfe im Verteidigungsfall zusicherten.
Vor dem Reichstag wies Adolf Hitler dann am 28. April die zwei Wochen zuvor von US-Präsident Roosevelt erhobene Forderung nach Abgabe von Nichtangriffserklärungen für 31 Staaten vehement zurück. Stattdessen wurde der polnischen Regierung am gleichen Tag ein Memorandum überstellt, in dem das Deutsche Reich die Aufhebung des Nichtangriffspaktes vom 26. Januar 1934 erklärte. Ähnliches widerfuhr ebenfalls am 28. April der britischen Regierung, als von deutscher Seite das deutsch-britische Flottenabkommen vom 18. Juni 1935 und vom 17. Juli 1937 einseitig aufgekündigt wurde.
Auch innenpolitisch dominierten weiterhin Maßnahmen zur Ankurbelung der Rüstungswirtschaft. Durch das Inkrafttreten der Verordnung zur Erhöhung der Förderleistung und des Leistungslohnes im Bergbau wurde zum Monatsbeginn die Schichtzeit unter Tage um 45 Minuten auf 8 Stunden erhöht. Im Saargebiet begann zum gleichen Zeitpunkt eine Untersuchung, um die Verwendungsfähigkeit von Pensionären und Empfängern von Invalidenrenten bis zu 65 Jahren in der gewerblichen Wirtschaft zu prüfen, und die Altersgrenze zur Pensionierung von Beamten und Angestellten wurde auf 70 Jahre festgelegt. Die Möglichkeiten für private Ausgaben wurden hingegen immer weiter eingeschränkt. So wurde beispielsweise die für den 1. April vorgesehene Aufhebung der Baukreditsperre für Wohnbauten wegen des Mangels an Arbeitskräften und Rohstoffen auf unbestimmte Zeit verlängert, was privates Bauen ungemein erschwerte.
Nach außen hin demonstrierte man dagegen eitel Sonnenschein. Das kam insbesondere am 20. April zum Ausdruck, als Adolf Hitler seinen 50. Geburtstag beging, der am 17. April in den Rang eines nationalen Feiertags erhoben worden war und entsprechend reichsweit gefeiert wurde. Höhepunkt war – so zeitgemäß wie bezeichnend - eine vierstündige Parade der Wehrmacht in Berlin, über die der deutsche Rundfunk berichtete. Bereits am Vortag hatte Propagandaminister Goebbels im Rundfunk erklärt, dass sich das deutsche Volk durch Hitler „wieder in die ihm gebührende Weltstellung hineingehoben“ fühle.
Dieses Volk aber galt es engmaschig zu kontrollieren. Daher erließ Reichsinnenminister Wilhelm Frick am 21. April eine Verordnung zur Einrichtung einer Volkskartei. Hierin wurde für jeden Staatsbürger von den jeweils zuständigen Polizeibehörden eine Karte angelegt, auf der unter anderem aktueller Wohnort, Familienstand, Ausbildung und Beruf, Zugehörigkeit zum RAD oder zur Wehrmacht sowie besondere Fähigkeiten erfasst werden sollten. Wer die Eintragung verweigerte oder falsche Angaben machte, musste mit Haft- oder Geldstrafen rechnen.
Weitaus umfassenderen und gefährlicheren Repressionen sahen sich hingegen andere ausgesetzt. Per Erlass forderte Innenminister Frick nämlich die Kommunen am 3. April auf, Juden von allen öffentlichen Einrichtungen auszuschließen. Das „Gesetz über Mietverhältnisse von Juden“ vom 30. April sah dann die Aufhebung des Räumungsschutzes und die Möglichkeit zur Zusammenlegung jüdischer Familien vor. Diese wurden in Großstädten künftig zwangsweise in sogenannten „Judenhäusern“ auf engstem Raum und unter menschenunwürdigen Bedingungen untergebracht.
Am 10. April wurde – allerdings im Ausland - eine Häftlingsstatistik der Gestapo bekannt, nach der im Reichsgebiet 162.734 Menschen – die große Mehrheit aus politischen Gründen - in Konzentrationslagern inhaftiert waren.
Staatsbejahend gaben sich hingegen Teile der Evangelischen Kirche in Deutschland. Am 8. April billigten nämlich einige evangelische Landeskirchen die Grundsätze der NS-orientierten „Deutschen Christen“ und lehnten zugleich jedes internationale Kirchentum als „entartet“ ab.
Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung
Der Prozess der umfassenden „Arisierung“ wurde unerbittlich vorangetrieben. Am 1. April 1939 war mehr als die Hälfte der jüdischen Betriebe, die noch ein Jahr zuvor im „Altreich“ bestanden hatten, nicht mehr in der Hand ihrer vormaligen Besitzer. Rund 37,5 Prozent waren liquidiert, etwa 15,1 Prozent von „Deutschblütigen“ übernommen worden. Weitere 10,5 Prozent befanden sich im laufenden „Arisierungs“-Verfahren, während bei 18 Prozent der Unternehmen gerade die Prüfung lief, ob und wie sie zu „entjuden“ waren. Damit waren im April 1939 rund 80 Prozent der ein Jahr zuvor noch bestehenden jüdischen Betriebe von offiziellen „Entjudungsaktivitäten“ betroffen.
Eine weitere infame Maßnahme zur vollständigen Ausplünderung der Emigranten wurde diesen am 17. April durch einen Erlass des Reichsfinanzministeriums in Form einer „Auswanderungsabgabe“ auferlegt. Nachdem die Mitnahme bestimmter Gegenstände wie etwa wertvoller Briefmarkensammlungen, Radiogeräte, Schreib- und Nähmaschinen bereits vorher verboten worden war, betraf die neue Anordnung nunmehr alle Gegenstände, die die Betroffenen ab 1932 angeschafft hatten. Abgesehen davon, dass auch deren Mitnahme in jedem Einzelfall genehmigt werden musste, war von nun an auf dieses Umzugsgut eine Abgabe an die Deutsche Golddiskontbank (Dego) zu entrichten, die sich im Allgemeinen auf 100 Prozent des Anschaffungspreises belief. Damit waren jüdische Emigranten nunmehr gezwungen, ihren nach 1932 erworbenen mobilen Besitz praktisch nochmals zu bezahlen - gleichgültig, in welchem Zustand er inzwischen war und ungeachtet dessen, dass sie durch die Reichsfluchtsteuer und die Auswandererabgabe an die „Reichsvereinigung“ bereits zwei weitere massive Abgaben auf ihr Gesamtvermögen – und damit auch auf ihr Umzugsgut - entrichtet hatten.
Der 30. April brachte in Form des „Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden“ eine gravierende und Dauerhafte Verschärfung der Lebensumstände der im Reichsgebiet zurückbleibenden Juden. In ihm wurde unter anderem die Aufhebung des gesetzlichen Mieterschutzes für Juden festgelegt. Damit waren die „rechtlichen“ Grundlagen für eine Wohnraumtrennung gelegt worden. Juden mussten künftig auf behördliche Anweisung andere Juden in ihre Häuser und Wohnungen aufnehmen und vor jeder Vermietung grundsätzlich die Genehmigung der zuständigen Gemeindebehörde einholen. Eine Untervermietung an „Nichtarier“ wurde ihnen untersagt. Damit war die Zusammenlegung jüdischer Familien in „Judenhäuser“ vorbereitet.
Mit diesem Gesetz wurden zudem erstmals Ausnahmebestimmungen für jene Juden erlassen, die unter besonderen Bedingungen in „Mischehen“ leben. Dabei wurde der Begriff der „privilegierten Mischehe“ ins Leben gerufen und definiert, welche Arten von Mischehen als „arischer „ und nichtarischer“ Haushalt galten, Begriffe, die in späteren Verordnungen immer wiederkehrten.