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Chronik und Quellen
1939
Februar 1939

Februar 1939

Am 3. Februar tätigte Führer-Stellvertreter Rudolf Heß in Dortmund in sehr öffentlichkeitswirksamer Form den ersten Spatenstich zum Bau einer Gemeinschaftssiedlung, die nach ihrer für 1943 geplanten Fertigstellung 20.000 Menschen eine Wohnung bieten sollte. In seiner Rede betonte Heß, dass das NS-Regime den Deutschen ihre Lebensgrundlage erhalten und sichern werde.

Der Monat stand aber tatsächlich unter ganz anderen arbeitsmarktpolitischen und sozialen Zeichen. Am 13. Februar erließ Hermann Göring als Beauftragte für den Vierjahresplan eine neue Arbeitseinsatzverordnung „zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung“. Nunmehr konnte jeder Deutsche dienstverpflichtet werden. Außerdem wurde es möglich, Kündigungen und Arbeitsplatzwechsel von der Bewilligung durch die Arbeitsämter abhängig zu machen. Das Reichsjustizministerium verpflichtete am 20. Februar seine Beamten, über die Altersgrenze von 65 Jahren hinaus im Amt zu bleiben, eine Regelung, die in ähnlicher Form bereits für den Bereich des Reichsinnenministeriums galt und auf eine allgemein intendierte Verlängerung der Lebensarbeitszeit hindeutete. Durch eine Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplans im deutschen Handwerk wurde es vom 22. Februar an möglich, als unrentabel eingeschätzte Betriebe zwangsweise zu schließen. Die Handwerker selbst waren dann aus der Handwerkerrolle zu streichen und zum allgemeinen Arbeitseinsatz zu melden.

Aber nicht nur Wochen- und Lebensarbeitszeit wurden verlängert und die freie Wahl des Arbeitsplatzes immer stärker eingeschränkt, sondern auch finanziell wurden die Deutschen weiter eingeschränkt. Als die Basler „National-Zeitung“ ihren Lesern am 23. Februar einen Überblick über das deutsche Steuersystem gab, kam sie auf 21 Reichssteuern, zwölf Besitz- und neun Verkehrssteuern sowie verschiedene Gemeindesteuern und zahlreiche weitere Abgaben. Das Blatt kommentierte süffisant: „Die Demokratie sichert uns nicht nur unsere Freiheit, sie schützt uns auch vor dem Schicksal, dass wir mehrere Monate des Jahres allein für den Steuerdrachen arbeiten müssen.“

Solche Kritik oder Ironie konnte im Reichsgebiet selbst längst nicht mehr ungefährdet geäußert werden. So wurden beispielsweise am 3. Februar der populäre Kabarettist Werner Finck und vier weitere Unterhaltungskünstler aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen und so mit einem Berufsverbot belegt. Insbesondere Fincks spezieller, sich durch scheinbare Zustimmung, Auslassungen und Zweideutigkeiten auszeichnender Witz war den Machthabern ein Dorn im Auge. So hatte der Kabarettist auf eine vom „Berliner Tageblatt“ durchgeführte Umfrage, ob man in Deutschland noch Humor habe, geantwortet: „Doch, doch, unter uns haben wir Humor. Fragt sich nur, ob auch die über uns Humor haben.“

Der Konflikt um Abschaffung oder Erhalt der Bekenntnisschulen wurde auch im Februar 1939 fortgesetzt. So ließ etwa Bischof von Galen im Bistum Münster am 26. Februar im Rahmen der Sonntagsgottesdienste per Handzeichen über den Erhalt der katholischen Bekenntnisschulen abstimmen. 98,7 Prozent der Anwesenden stimmten dafür, was jedoch keine Auswirkungen auf den gegenteiligen Kurs des NS-Regime zeitigte.

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Im Februar mussten viele Jüdinnen und Juden eine empfindliche und sicherlich schmerzhaft empfundene Abnahme solidarischen Verhaltens zur Kenntnis nehmen, als die protestantischen Landeskirchen von Thüringen, Mecklenburg, Anhalt und Sachsen „Nichtarier“ ausschlossen. Einzig das von Pfarrer Heinrich Grüber geleitete Beratungsbüro nahm sich weiterhin eindeutig und engagiert der Belange „nichtarischer“ evangelischer Christen an, die sich ohnehin „zwischen den Stühlen“ wiederfanden. Da sie zwar als „Rasse“-Juden verfolgt wurden, aber nicht der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten, fanden sie keine Unterstützung durch jüdische Organisationen und waren daher auf kirchlichen Beistand angewiesen.

Zur wirtschaftlichen Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung wurden immer neue Maßnahmen erdacht. So legte die „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“ vom 21. Februar fest, dass Juden deutscher Staatsangehörigkeit sämtliche in ihrem Besitz befindlichen Edelmetallen und Edelsteine - mit Ausnahme des Eherings - binnen 14 Tagen an öffentliche Ankaufsstellen abzuliefern hatten, die dafür ihrerseits weitgehend willkürliche Preise festlegten.

Nur einen Tag später folgte die nächste gravierende Einschränkung im täglichen Leben. Durch Erlass des Reichsverkehrsministeriums wurde am 22. Februar die Einziehung der auf Juden ausgestellten Führerscheine anordnet.

Weil eine Emigration – nicht zuletzt aufgrund der Folgen der am 25. Februar eingeführten „Auswanderungsabgabe – immer schwieriger und gerade aus finanziellen Gründen immer unwahrscheinlicher wurde, trat zunehmend eine neue Form von „Heiratsmarkt“ in Erscheinung. So wurden im Februar im „Jüdischen Nachrichtenblatt“ immer mehr Annoncen folgenden Inhalts geschaltet: „Hübsche Jüdin, 26 Jahre, geschäftsgewandt, häuslich, anpassungsfähig, mit Aussteuer, sucht passenden Lebensgefährten mit Auswanderungsmöglichkeit.“

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