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Chronik und Quellen
1936
Juli 1936

Tagebucheintrag von Albert Herzfeld

Albert Herzfeld berichtet am 1. Juli 1936 über seinen Ausschluss aus dem Reichsverband deutscher Künstler und über das Berufsverbot als Maler:

1. Juli 1936. Nachdem ich wochenlang nichts mehr aufgeschrieben habe, muß ich heute meine Korrespondenz mit dem Reichsverband deutscher Künstler u. der Reichskammer chronologisch u. der Reihe nach nachholen. Am 24. Aug. 1933 erhielt ich einen Fragebogen vom damaligen 1. Vorsitzenden des altbestehenden Vereins zur Veranstaltung von Kunstausstellungen, Erich Freiherr v. Perfall, dem ich seit langen Jahren angehöre, zugestellt, in dem ich alle möglichen privaten Fragen, darunter auch die nach der „Konfession (auch früheren Konfession)“ erhielt, den ich richtig ausgefüllt habe. Ich finde in meiner diesbezügl. Mappe, daß ich diesen Fragebogen anscheinend erst im Januar 1934 erhielt, denn laut mir vorliegender Kopie meines Schreibens habe ich diesen Fragebogen erst am 1. Februar 1934 an das Reichskartell der bildenden Künstler, Gau Westfalen-Niederrhein, D’dorf, Wilhelm-Marx-Haus, gesandt u. dabei in längerem Begleitschreiben ausgeführt, daß ich einer durchaus nationalen, väterlich [er-] u. mütterlicherseits über 200 Jahre in Deutschland lebenden Familie angehöre, daß ich mich trotz meiner damaligen 49 Jahre am ersten Mobilmachungstage zum Eintritt in die Armee gemeldet habe, aber wegen meines Alters nicht eingestellt wurde. Darauf habe ich mich noch 7 Mal gemeldet u. erst bei der achten Meldung wurde mir angeraten, mich als damaliger Vizewachtmeister der Kavallerie bei der Infanterie zu melden. Das tat ich sofort u. wurde am 1. Novbr. 1914 nach Minden i./W. einberufen und dort [an] Kaisers Geburtstag 1915 zum Leutnant befördert. Ich kam im Herbst 1915 als Kompanieführer an die Front, erkrankte dort schwer an der Ruhr u. wurde dann bis zum 1. Dcbr. 1916 an mehreren militärischen Stellen verwendet. Ich besitze das EK II (später erhielt ich auch noch das Frontkämpferabzeichen) u. die letzten Zeugnisse meiner Vorgesetzten. Gleichzeitig sandte ich RM 1,- als Einschreibegebühr und 2 Paßbilder ein. - Darauf erhielt ich nach mehreren Monaten im Nov. 34 vom Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste eine Aufforderung, bis zum 10. Decbr. 1934 den Nachweis zu erbringen, daß ich als Frontkämpfer am Kriege teilgenommen habe. Ich antwortete sofort mit einem längeren Schreiben am 25. November 34 u. zeigte dem hiesigen Geschäftsführer der Reichskammer, Hr. Siekmeyer, meinen Militärpaß aus dem Felde vor u. fügte auf dringenden Rat von Hr. Siekmeyer noch einmal eine Bestätigung meiner nationalen Gesinnung bei. Am 29. November 34 erhielt ich darauf eine Aufforderung, den Jahresbeitrag von M 12,- zu zahlen, worauf ich am gleichen Tag antwortete, daß mir von einem rückständigen Beitrag nichts bekannt sei u. daß ich bis zur Stunde noch keinen Bescheid erhalten hätte, ob ich Mitglied der Reichskammer sei oder nicht, da mir am 28.11.34 mitgeteilt worden sei, daß man mein Eintrittsgesuch in die Reichskammer „prüfen“ wolle. Ich erhielt dann am 15. Mai 1935 ein vom Landesleiter, dem hiesigen Akademiedirektor Prof. Grund, unterzeichnetes hektografiertes Schreiben mit der Aufforderung zur pünktlichen Zahlung des Jahresbeitrages, auf das ich in einem längeren Schreiben am 7. Juni 35 antwortete u. ausführte, daß ich bis heute noch keine Antwort auf meine ausführlichen Bewerbungsschreiben erhalten hätte u. bat nochmals um Aufnahme u. versprach, dann sofort die fälligen Beiträge zu zahlen. Am 11. Juni 36, also nach einem Jahr, erhielt ich dann einen Einschreibe-Brief des Präsidenten der Reichskammer des Inhalts, daß nach dem Ergebnis der Ueberprüfung der in meinen persönlichen Eigenschaften begründeten Tatsachen ich nicht die erforderliche Eignung u. Zuverlässigkeit besäße, an der Förderung deutscher Kultur in Verantwortung gegenüber Volk u. Reich mitzuwirken. Ferner heißt es in dem Brief wörtlich: „Sie erfüllen somit nicht die Voraussetzung für eine Mitgliedschaft bei der Reichskammer der bildenden Künste. - Auf Grund des § 10 der ersten Verordnung zur Durchführung des Reichs[kultur]kammergesetzes vom 1. Novbr. 1933 (RGBL I S. 797) lehne ich Ihre Aufnahme in die Reichskammer der bildenden Künste ab u. untersage Ihnen die weitere Ausübung des Berufs als Maler. I. Auftrag gez. Hoffmann“. - Dies traf mich natürlich wie ein Donnerschlag. Auf Veranlassung meines Kollegen Pagenstecher, der sehr schriftgewandt ist, u. mich bereits früher in den Korrespondenzen mit der Kunstkammer beraten hatte, ging ich dann zu dem hiesigen Rechtsanwalt Hengeler u. unterbreitete ihm den Fall. Dieser setzte mir einen Brief an den Präsidenten auf, in dem ich ihn um Angabe der gesetzlichen Bestimmungen bat. Doch ich habe diesen Brief nicht zur Absendung gebracht, weil ich mich vorher am 18. Juni 1936 an den Reichsverband der [nicht] arischen Christen E.V. Berlin gewandt habe u. um event. Aufnahme in diesen Verband nachsuchte. Dieser schrieb mir nun am 19. Juni 36, daß er sich freue, wenn ich beitreten würde, da ich ihm wohlbekannt sei, daß er eine unter Aufsicht des Staatskommissars Hinkel stehende von ihm (Dr. Spiess) geleitete Kulturabteilung mit einer Gruppe „bildender Künstler“ habe u. bereits eine Kunstausstellung veranstaltet habe. Am 21. Juni 36 sandte ich diesem Verband meine bisherigen Korrespondenzen mit dem Reichsverband in Abschrift ein. Darauf erhielt [ich] am 27. Juni einen Brief, worin mir ein G. Lewaldt mitteilt, daß kraft Verfügung des Staatskommissars Hinkel die Mitglieder des Reichsverbandes der nichtarischen Künstler ihren Beruf insoweit ausüben dürfen, als sie ihre Leistungen lediglich Nichtariern u. Ausländern zugänglich machen u. gegebenen Falles an diese veräußern dürfen. Diesen Brief beantwortete ich am 29. Juni 36 mit der Anfrage meinerseits, wie es nun sei, wenn ohne ein Angebot meinerseits sich Kaufinteressenten an mich wenden, ob ich diese erst nach ihrer Abstammung fragen müsse. Dann fügte ich den mir von Hr. R[echts]anw[al]t Hengeler aufgesetzten Brief in der Abschrift bei u. frug an, ob ich diesen zum Versand bringen solle oder nicht. Gleichzeitig überwies ich das Eintrittsgeld für den Verband sowie den Vierteljahresbeitrag u. fügte auch einen ausgefüllten Fragebogen über meine Personalien etc. bei. Auf diesen Brief erhielt ich heute Morgen die Antwort, unterzeichnet Lewaldt, vom 30. Juni 1936, die wörtlich lautet: In Beantwortung Ihres Schreibens vom 29. d. M. teile ich Ihnen mit, daß Sie bedauerlicher Weise die Unannehmlichkeit in Kauf nehmen müssen, Interessenten für Ihre Bilder, sofern es sich nicht um Ausländer handelt, zunächst nach ihrer Abstammung zu fragen. Im Uebrigen empfehle ich Ihnen dringendst (von Lewaldt unterstrichen) auf das Ausschlußschreiben des Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste überhaupt nicht zu antworten, um nicht erst besonders auf Sie aufmerksam zu machen. Mit Verbandsgruß! - So geht es einem jetzt 71jährigen ehemaligen Frontkämpfer! - Man nimmt mir nun das letzte, was ich auf der Welt habe, u. ich stehe rechtlos all dem gegenüber! Ein Fernerstehender wird das Unrecht, das mir geschieht (u. neben mir voraussichtlich noch tausenden anderen sogenannten Nichtariern) gar nicht begreifen u. in späteren Jahrzehnten wird man das Verhalten treuen Staatsbürgern gegenüber nicht fassen können. Es wird eine Zeit kommen, in der man die uns zugefügte Schmach als solche erkennen wird.

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