Erinnerungen an das Pogrom in Köln
Die 1920 geborene Eva Jaeger (geb. Bertram) berichtete 1978 in einem Interview:
„Der 9. November war an sich der Tag, an dem auf dem Horst-Wessel-Platz die Hitlerjugend vereidigt wurde und übernommen in die SA oder von den Pimpfen in die H], also in die nächsthöhere Stufe. Also für die Hitlerjugend ein Feiertag, an dem wir uns von der Straße ziemlich weghielten (…).
Dann gab es auf einmal Feuer, Feuerarlarm, es wurde laut, es wurde gerufen, geschrien. Wir guckten raus - wir wohnten ganz oben - und sahen es brennen. Begreiflicherweise sind wir nicht sofort runtergegangen, man hatte ja Angst. Mehr Angst als jeder Normalverbraucher, der ja die ganzen Bestimmungen nicht so kannte wie die Betroffenen. Ich wohnte ja in einem jüdischen Haus und war in einem jüdischen Haus großgeworden, aufgewachsen und liebte diese Menschen.
Am nächsten Morgen kam ich durch die Stadt und glaubte beim ersten Fenster, es wäre ein Lastwagen reingefahren. Aber soviel Lastwagen gab es gar nicht, die in die Schaufenster reinfahren konnten. Ich musste zur Columbastraße, da arbeitete ich als Kindermädchen. Ich kam an der Synagoge in der Glockengasse vorbei. Gegenüber war ein kleines Cafe - wenn ich mich nicht irre, hießen die Hirsch oder Hirschfeld - da standen viele Menschen davor, - das war natürlich auch zerdeppert, und auf einmal gingen dort zwei Männer rein, - 'Och, do es jo noch ene Stohl janz!' - und hauten den einen Stuhl auch noch kaputt. Das war für mich an dem Tag nicht das Schlimmste, aber das, was sich mir am meisten eingeprägt hat. Da ist noch ein Stück ganz - das müssen wir noch kaputtmachen! . . .
In der Glockengasse - Columbastraße habe ich gearbeitet - ich habe Wäsche gewaschen, hänge die oben auf dem Dach auf, da konnte man die Kuppel von der Glockengasse sehen. Columbastraße/Glockengasse läuft ja ineinander. Da kletterte gerade einer rauf und holte den Stern da oben runter. Da hab ich gebetet: 'Lieber Gott, lass den da runterfallen'. Der ist nicht gefallen, der Stern ist gefallen.
Und hinterher - mein Onkel war Kunstmaler - kamen dann so nach und nach Bilder an, die zerstört waren - Augen ausgestochen, quer durchgeschnitten - die Onkel Otto dann zu restaurieren hatte. - Was ich aber noch miterlebt habe: Dieses stumme Entsetzen. Das hab ich Achtzehnjährige doch gemerkt, dass nicht alle damit einverstanden waren. Nur - es wagte keiner, den Mund aufzutun, wenigstens nicht laut. Wer dies gesehen hat, der hat gedacht: Um Gottes Willen, was soll das?!
Vom Erzählen weiß ich, dass sie einen Juden abholen wollten, dass sie ihn erst zerschlagen haben, dann wollten sie ihn abholen. Er sagte: 'Einen Moment, ich muss noch zurück', und ist in voller Uniform rausgekommen, als Offizier. Er ist dann nicht auf den Wagen geladen worden, sondern wurde zu Fuß mitgenommen.
In einem anderen Fall weiß ich, dass der ehemalige Offizier zurückgegangen ist und hat gesagt, er brauche noch irgendwelche Papiere, und hat sich erschossen.
Die Lehrerin Frenkel ist aus dem Fenster gesprungen. Man hat sie den ganzen Tag auf der Straße liegenlassen, ehe man sie abtransportiert hat.
Dr. Auerbach hat sich auch selbst umgebracht. Viele, die ich kannte. Von vielen hat man es erst später gehört. Von vielen hab ich nie wieder gehört, wo ich gerne gewusst hätte, was ist und was nicht ist.“