Erinnerungen an das Pogrom in Köln
In einem Interview berichtete der 1925 geborene M.W. im Jahr 1987:
„Am Anfang habe ich überhaupt nichts vom Antisemitismus gemerkt. Wir wurden nur beschimpft. Wenn wir aus der Schule kamen, oft - also nicht immer.
„Jüd, Jüd, Jüd!" Das hat uns weiter nichts ausgemacht. Aber nachher, als man etwas älter wurde, da hat man doch immer mehr die Sorgen der Eltern gehört. Und das ganze Problem - und da hat man doch mehr daran teilgenommen. Irgendwie. Aber nicht stark - wir waren immer lustig und fidel dabei. Mein Vater hat überhaupt nicht an Auswanderung gedacht, der wäre ewig hiergeblieben - der hat das alles nicht wahrgenommen oder wollte es nicht wahrnehmen. Er konnte auch keine Sprachen - es gibt ja so Leute, die intelligent sind, aber keine Sprachen können. Der wollte auch nicht ins Ausland rein - er könne sich nie einleben - und hat sich auch nie eingelebt. Und meine Mutter ist zu den Verwandten nach Berlin gefahren und hat da gehört, alles wanderte aus. Und da wurde die wahnsinnig - die hat ihn also rausgetrieben. Sie muß ihm gesagt haben: „Also, wenn Du nicht gehst, dann gehe ich alleine!" Meine Mutter hat vielleicht an 25 Länder, an alle Länder, die es damals gab - Bahamas, von denen man damals noch gar nicht so viel hörte - überall hat sie hingeschrieben und überall kamen Absagen. Und dann sind wir ganz zuletzt nach Belgien gegangen. Über die grüne Grenze. Das war aber nach der Kristallnacht. Die habe ich noch in Köln erlebt. An dem Tag war mein Vater gerade nach Berlin gefahren. Der wollte seinen Bruder besuchen. Der hatte das ja gar nicht geahnt - der ist immer in der Nacht nach Berlin gefahren. Morgens bin ich dann wie immer in die Schule gegangen und habe auch meine Freundinnen getroffen. Wir kamen in der Schule an, in der St. Apem Straße, da sahen wir einen Menschenauflauf. Und alles lag auf der Straße und ich glaube, es brannte auch etwas. So ein Durcheinander.
Dann haben wir also gemerkt, daß da was los war, und dann sind wir lieber wieder nach Hause gegangen. Dann sind wir aber - wir waren irgendwie lustig, daß keine Schule mehr war - durch die Hohe Straße und Schildergasse gegangen, und da lagen die Scherben alle auf der Straße. Das waren die jüdischen Kristallgeschäfte. Wir wußten ja gar nicht, was es ist - wir haben es nur so geahnt. Es lag alles auf der Straße. Wie ich diesen Spaziergang so hinter mich gebracht habe, bin ich ganz langsam dann bei meiner Mutter angekommen und habe der das erzählt. Da war die ganz aufgeregt und sagt: „Komm, laß uns sofort Weggehen!" Und dann sind wir zu diesem Onkel gegangen. Dem hat sie das auch erzählt - die wußten das auch nicht. Wir sind dann so rumgegangen und kamen am Nachmittag auch an der Synagoge vorbei, wo die Leute alle sehr ruhig waren und da rauf geguckt haben. Sie haben geschwiegen, und es haben sogar Leute gesagt: „Dafür werden wir büßen müssen". Keiner hat gelacht oder irgendetwas gemacht. Dann sind wir voller Schrecken - besonders meine Mutter - nach Hause gegangen. Gegen Abend kam schon mein Vater, der ist nämlich gar nicht dageblieben, als er gehört hat, was in Berlin los war, ist er sofort zurückgefahren. Da hat man sich dann ernstlich mit der Auswanderung beschäftigt.“