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Chronik und Quellen
1935
November 1935

Tagebucheintrag von Albert Herzfeld

Albert Herzfeld berichtet am 16. November 1935 über die erzwungene Entlassung seiner nicht jüdischen Hausangestellten:

16. Novbr. 35 Heute standen keine weiteren Erklärungen in den Zeitungen, aber es ist Elsa klar u. ebenso Annemarie, daß wir unser Mädchen Hedwig zum 1. Januar entlassen müssen, obgleich gestern nichts von diesem Termin in den Gesetzen gesagt war, wohl aber in der Reichstagssitzung in Nürnberg am 15. Sept. Ich bin immer noch der Ansicht, u. dies soll auch in ausländischen Zeitungen gestanden haben, daß der Termin um 3 Monate herausgeschoben werden soll, weil man erstens die Zahl der freien, arbeits- u. stellenlos werdenden Dienstboten nicht in der Kürze der Zeit unterbringen kann, u. ferner die Mädchen selbst sehr wenig entzückt von dieser Maßnahme sind, da sie ausnahmslos gern u. Jahrzehnte lang in jüdischen Haushaltungen dienen, u. mir in meinem langen Leben noch nie ein Fall bekannt geworden ist, daß ein arisches Mädchen in einem jüdischen Hause von einer männlichen nicht arischen Person irgendwie in seiner weiblichen Ehre angegriffen worden ist. Hedwig war sehr niedergeschlagen, als ihr Elsa sagte, daß sie sie entlassen müsse, denn sie hat nie daran gedacht, daß sie vor ihrer Verheiratung aus unseren Diensten ausscheiden müsse. Sie fühlt sich so überaus wohl bei uns u. als ein Mitglied unserer Familie. Auch wir bedauern lebhaft ihren Weggang. - Heute steht eine große Bekanntmachung über das Tragen von Orden in den Zeitungen. Nur solche Orden dürfen getragen werden, über die man eine diesbezügliche Bestallung vorzeigen kann. Nun habe ich vor etwa 40 Jahren beim Uebertritt in den Landsturm die Landwehrdienstauszeichnung erhalten, u. die Verleihung dieses Ehrenzeichens wurde auch vorschriftsmäßig s. Zt. in meinen Militärpaß eingetragen. Diesen Paß im Original mit dieser Bestallung habe ich im Jahre 1914 bei meinem Eintritt in die Armee auf dem Bezirkskommando in Minden i/W. gleichzeitig mit der Originalbescheinigung meiner Qualifikation zum Reserveoffizier der Provinzialkavallerie, ausgestellt im Sept. 1887 vom II. Garde Dragoner Regiment in Berlin, abgegeben, aber niemals zurückerhalten. Ebenso habe ich eine Bescheinigung über den Besitz des sogenannten Apfelsinenordens, der beim 100sten Geburtstag des alten Kaisers Wilhelm I. in großen Mengen verteilt wurde, u. den ich nur erhielt, weil ich unter Wilh. I. aktiv gedient habe, unter Friedrich III. eine 8-wöchentliche militärische Uebung u. eine weitere unter Wilh. II. gemacht hatte. Auch darüber habe ich keine schriftl. Bescheinigung mehr, wohl aber noch den Original-Orden. Dann besitze ich noch die Kyffhäuser Medaille u. das Eiserne Kreuz 2. Klasse, worüber ich die Atteste besitze. Dagegen erhielt ich vor etwa 8 Tagen von einem Schutzmann im Auftrage u. mit dem Glückwunsch des Herrn Polizeipräsidenten das Frontkämpferehrenkreuz mit Schwertern von 1914/18 u. natürlich auch mit Urkunde überreicht. Es ist nun geradezu komisch, daß ich in der gleichen Woche das Ehrenkreuz überreicht erhalte und mir gleichzeitig gesetzlich das Bürgerrecht abgesprochen wird. Das erinnert mich daran, daß am 19. August dieses Jahres der Künstlerverein Malkasten, dem ich als ordentliches Mitglied über 30 Jahre angehörte, mir zu meinem 70. Geburtstag in einem sehr liebevollen Schreiben des Vorsitzenden Otto Ackermann gratulierte, mir zur persönlichen Gratulation ein Vorstandsmitglied u. ein paar alte Mitglieder ins Haus sandte, mir ferner einen mit Blumen herrlich dekorierten Korb mit 12 Flaschen edlen Wein zusandte u. mich 6 Wochen später, zugleich mit den übrigen 8 nichtarischen Mitgliedern, aus der Liste der Mitglieder strich. - Da ist es sehr schwer noch den Gleichmut zu bewahren! Im Uebrigen ist diese Streichung ganz ungesetzlich u. dem Vorstand genauso unangenehm u. peinlich wie mir, denn laut Statut kann nur ein Mitglied, das sich etwas zu Schulden kommen läßt, aus der Liste gestrichen werden u. dies ist weder bei mir noch bei den anderen Schicksalskollegen der Fall. - Heute Nachmittag war ich bei meinen durchaus arischen Freunden Hr. u. Fr. Dr. K. Bischoff, u. bildeten bei allen die letzten Bestimmungen das Hauptgesprächsthema. Ich habe noch Niemanden kennengelernt, der mit diesen Maßnahmen u. Judengesetzen auch nur im Geringsten einverstanden ist. - Ihr armen 12 000 gefallenen Juden, die zum Teil als Kriegsfreiwillige eintraten, seid zu bedauern! Ob Ihr aus Wallhall herausgeschmissen werdet? Und die armen alten Eltern, die ihre Söhne dem Vaterland geopfert haben, dürfen jetzt keine arischen Hausangestellten mehr halten! Ich fasse mich manchmal an meinen Kopf u. verstehe die Logik nicht.

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