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Chronik und Quellen
1935
Juli 1935

Die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtet über antisemitische Ausschreitungen in Berlin

Am 16. Juli 1935 berichtet die Neue Zürcher Zeitung über antijüdische Gewalttaten auf dem Kurfürstendamm anlässlich eines antisemitischen Films aus Schweden:

Antisemitische Ausschreitungen im Berliner Westen

Berlin, 16. Juli (Tel. unseres O-Korr.) Am Kurfürstendamm und in den angrenzenden Straßen des Berliner Westens kam es gestern Abend zu antisemitischen Ausschreitungen. Das Ufa-Theater, wo am Vorabend Pfiffe (angeblich von jüdischer Seite) ertönt waren, hatte starken Besuch von S.A.-Leuten, die sich den schwedischen Film „Petterson und Bendel“ ansahen. Auf dem Kurfürstendamm bemerkte man kleinere Verkehrsstockungen und Menschenansammlungen, die eine drohende Haltung gegen jüdische Passanten und Kaffeehausbesucher annahmen. Vor dem Kino gruppierten sich 50 junge Leute in weißen Hemden. Zusammen mit den aus der Vorstellung herausströmenden SA-Männern zogen sie vor das elegante Cafe Bristol, das von „arischen“ und jüdischen Gästen gleich gern besucht wird. Die Demonstranten zertrümmerten eine Fensterscheibe und begannen mit der gewaltsamen Entfernung des jüdischen Publikums. Die meisten Juden zogen sich fluchtartig zurück. Andere, die sich die Razzia nicht ohne weiteres gefallen ließen oder sich sogar zur Wehr setzten, wurden unsanft angefaßt. Es gab Ohrfeigen und Rippenstöße und die Trümmer von zerschmetterten Stühlen flogen über die Marmortische. Auf der Straße staute sich die Menschenmenge, zum großen Teil Gaffer, die sich mit einer passiven Rolle begnügten, immer mehr an. Schließlich rückte ein Ueberfallkommando der Polizei auf zwei Lastwagen an, riegelte die Straße ab und überredete die Demonstranten zum Abzug.

Später wiederholten sich die Szenen vor dem gleichfalls am Kurfürstendamm gelegenen Café Dobrin, das nach Entfernung sämtlicher Gäste geschlossen wurde. Auf der Straße ertönte mit zahllosen Wiederholungen der Ruf: „Die Juden sind unser Unglück“. Mehrere jüdische Kaufläden wurden demoliert. In panischem Schrecken flohen einige im Schein der Straßenlaternen nur undeutlich zu erkennende Gestalten über den Fahrdamm. Ein Jude überkletterte in seiner Angst den eisernen Zaun, der die Geleise der Straßenbahn säumt, und rannte in der Richtung der entgegenfahrenden Wagen davon. Die Verkäufer des „Stürmer“ erschienen mit dicken Bündeln des Pogromblattes im Getümmel und machten gute Geschäfte. Die Polizei sorgte nach und nach für die Zerstreuung der Massen und die Wiederherstellung des normalen Verkehrs. Um halb ein Uhr nachts hatte sich der Tumult gelegt.

Im Berliner Vorort Reinickendorf kam es am gleichen Abend zu erregten Demonstrationen vor einer jüdischen Apotheke. Den Anlass dazu soll die vorübergehende Festnahme von zwei Nationalsozialisten geboten haben, die zum Boykott des Geschäftsinhabers aufforderten.

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