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Chronik und Quellen
1935
Mai 1935

Schreiben von Dr. Leopold Weinmann (München) an das Reichsinnenministerium

Rechtsanwalt Leopold Weinmann fordert am 26. Mai 1935 vom Reichsinnenministerium, gegen die Urheber antijüdischer Gewalttaten in München vorzugehen:

Im öffentlichen Interesse gestatte ich mir, die Aufmerksamkeit des Reichsministeriums des Innern auf die derzeitigen in München bestehenden unhaltbaren Zustände zu lenken. Es dürfte bekannt sein, dass seit einiger Zeit in München zur Nachtzeit die Auslagenscheiben jüdischer Geschäfte von unverantwortlichen Elementen besudelt und zertrümmert werden.

Am 18. V. 1935 - einem Samstag Nachmittag - wurden zum ersten Mal gelegentlich der wegen der Caritassammlung entstandenen Unruhen auch die Inhaber jüdischer Geschäfte angepöbelt und zum Schliessen ihrer Geschäfte gezwungen.

Am 25. V. 1935 - wiederum einem Samstag Nachmittag - es wird offensichtlich systematisch die beste Geschäftszeit der Woche von diesen Elementen ausgesucht - erreichte das verbrecherische Treiben den Höhepunkt. Eine Anzahl jüdischer Geschäfte in der Neuhauserstrasse, wie z. B. die Klosterdrogerie - Inhaber Eugen Fröhlich -, das Pelzgeschäft Orliansky, Salberg, das Musikhaus Koch, die Firma Jakob und andere, auch in anderen Strassen, wurden wiederum zum Schliessen gezwungen. Angestellte einzelner Firmen, wie z. B. der Firma Salberg, wurden, wie mir mitgeteilt wird, von eindringenden Rowdies als „Judenmenschen“ bezeichnet und schwer misshandelt, weil sie der Aufforderung, den Laden zu verlassen, nicht nachkamen. Gänzlich unbeteiligte Passanten, die ihrer Entrüstung über dieses Treiben Ausdruck gaben, wurden gleichfalls in rohester Weise misshandelt. Es ist mir bekannt, dass ein alter Herr, der sich über die Gewalttaten mit Recht empörte, niedergeschlagen und sehr erheblich verletzt wurde, sodass er nicht mehr aufstehen konnte.

Ich wohne in dem dem vorerwähnten Herrn Fröhlich gehörigen Anwesen in der Neuhauserstrasse 31. Ich wollte gerade um 3 Uhr nachmittags das Haus in Begleitung meiner Frau betreten, als sich die geschilderten Vorfälle ereigneten. Als ich gleichfalls wie zahlreiche andere Umstehende meiner Entrüstung über dieses Treiben Ausdruck gab, wurde ich von einer Rotte von Burschen, die offenbar die Urheber der Überfälle auf das Geschäft des Herrn Fröhlich und die benachbarten Geschäfte waren, angepöbelt und bedroht. Nachdem ich mich ins Haus begeben und die Haustüre versperrt hatte, suchten 4 oder 5 dieser Rowdies die Türe zu erbrechen und ins Haus einzudringen. Ich verständigte sofort von meiner Wohnung aus telefonisch das Überfallkommando, das in kürzester Zeit erschien und bald die Ruhe und Ordnung wieder herstellte. Ob Verhaftungen vorgenommen wurden, ist mir nicht bekannt. Bei dem vorerwähnten Sturm auf die Haustüre wurde die eingesetzte Glasscheibe zerbrochen.

Diese Zustände sind unhaltbar. Es kann unmöglich geduldet werden, dass sich in einer Kultur- und Fremdenstadt wie München Wildwestszenen mit systematischer und pünktlicher Periodizität abspielen. Es wird hierdurch nicht nur das Ansehen der Staatsautorität im Innern, sondern auch das kulturelle Ansehen des Reiches im Ausland, in der übrigen Kulturwelt, aufs Schwerste geschädigt. Auch wirtschaftliche Nachteile sind für die Geschäftswelt allgemein mit diesem gesetzwidrigen Treiben verbunden. Denn die Kauflust des Publikums verschwindet begreiflicher Weise bei solchen tumultuarischen Szenen vollkommen. Gerade auch arische Geschäftsinhaber haben diese Tatsache festgestellt und ihrer Empörung Ausdruck gegeben. Sogar das Ergebnis der am letzten Samstag veranstalteten Strassensammlung dürfte durch die geschilderten Vorgänge sehr ungünstig beeinflusst worden sein. Gerade in der Zeit, in der der Fremdenverkehr in München einsetzt, sind diese wirtschaftlichen Schädigungen um so erheblicher, wenn Verbrecher durch Landfriedensbruch, Hausfriedensbruch, Körperverletzungen und Nötigungen am hellen Tage in den Strassen Münchens ihr Unwesen treiben.

Es wird daher im allgemeinen Interesse gebeten, dass durch energisches Einschreiten der Behörden die Wiederholung dieser Vorgänge verhindert und die Schuldigen, soweit sie ermittelt werden können, einer strengen Bestrafung zugeführt werden.

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