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Chronik und Quellen
1937
November 1937

Bericht über „Die Judengesetzgebung seit 1933“

Am 1. November 1937 berichtet SD-Mann Dannecker im Rahmen einer Tagung des Sicherheitshauptamtes über „Die Judengesetzgebung seit 1933“:

Wenn im Rahmen des heutigen Arbeitsprogrammes auch ein Referat über die Judengesetzgebung seit 1933 und die wichtigsten, auf unserem Arbeitsgebiet erlassenen staatspolizeilichen Anordnungen aufgenommen wurden, geschah dies nicht in der Absicht, das Thema erschöpfend zu behandeln. Dieses Referat soll nur Anregung geben für eine gründliche Befassung jedes Referenten von II 112 mit dieser Materie. Denn nach der Neuordnung der Zusammenarbeit von Gestapa und Sicherheitsdienst nach dem RFSS-Befehl vom 1.7.37 ist es mehr noch als früher erforderlich, daß jeder O.A.- und U.A.-Referent über Gesetze und Anordnungen aus seinem Sachgebiet unterrichtet ist, um für die Beurteilung der jeweiligen Fälle die gesetzliche Grundlage zu haben. Es genügt nicht mehr, im Verkehr mit behördlichen Stellen zu schreiben: Der und der Jude muß ins KZ gesteckt werden, weil er sich irgendwann staatsfeindlich geäußert und betätigt hat, sondern nach der Zitierung des festgestellten Tatbestandes hat es zu heißen: Der Jude X hat durch seine staatsfeindlichen Äußerungen oder seine staatsfeindliche Tätigkeit gegen die Anordnung oder das Gesetz Y verstoßen.

Auf die Anfänge der heutigen Judengesetzgebung hierbei einzugehen, wird kaum nötig sein, weil jeder von uns Punkt 4 und 5 aus dem Parteiprogramm kennt, in dem es heißt: „Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfessionen. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein“.

„Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als Gast in Deutschland leben können und muß unter Fremdengesetzgebung stehen“.

Die erste Folgerung nach der Machtergreifung aus diesem Punkte war bekanntlich der Judenboykott, der zwar keine gesetzliche Grundlage hatte, jedoch seine moralische Fundierung durch diesen Parteiprogrammpunkt erhielt. Gesetzlich wurde das Judenproblem zum erstenmal mit dem am 7.4.1933 erlassenen Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums aufgerollt, das dann auch die Grundlage für alle nachfolgenden Anordnungen und Gesetze bildete. Danach gilt als „nichtarisch“, „wer von nichtarischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil nichtarisch ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn ein Elternteil oder Großelternteil der jüdischen Religion angehört hat“.

Nach § 3 des „Berufsbeamtengesetzes“ sind nichtarische Beamte in den Ruhestand zu versetzen und Ehrenbeamte zu entlassen. Ausnahmen waren ursprünglich zulässig bei sog. „Altbeamten“, d.h. solchen Nichtariern, welche bereits vor dem 1.8.1914 im Amt waren und bei Frontkämpfern. Als Frontkämpfer gilt, wer im Weltkriege (i. d. Zeit v. 1.8.1914-31.12.1918) bei der kämpfenden Truppe an einer Schlacht, einem Gefecht, einem Stellungskampf oder einer Belagerung teilgenommen, insbesondere wer das Abzeichen für Verwundete erhalten hat.

Nach Erlaß des Reichsbürgergesetzes vom 15.9.1935 traten dann mit Wirkung vom 31.12.1935 alle jüdischen Beamten in den Ruhestand. Die Ruhegeldzahlung an jüdische Frontkämpfer erfuhr eine besondere Regelung.

Arische Abstammung im Sinne des Berufsbeamtengesetzes ist seitdem Voraussetzung für den Beamtenberuf. Schon beim Bestehen der Ehe mit einer nichtarischen Person ist die Berufung als Beamter unzulässig. Bereits beamtete, reichsbürgerfähige jüdische Mischlinge sind von jeder weiteren Beförderung ausgeschlossen.

Im Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen vom 25.4.1933 ist u.a. die Herabsetzung des Anteils der studierenden Nichtarier an der studentischen Gesamtheit auf den ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung entsprechenden Prozentsatz angeordnet.

Der auf § 4 des Gesetzes bezogene Artikel 8 der 1. DVO legt die Anteilszahl auf 1,5% und die Verhältniszahl für die Herabsetzung der Schulen und Studentenzahl auf 5% im Höchstfälle fest.

Es folgten darauf im Jahre 1933 Gesetze über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft, zur Patentanwaltschaft und zum Beruf des Steuerberaters. Ferner [er] ging eine Verordnung über die Zulassung von Ärzten, Zahnärzten und Zahntechnikern zur Tätigkeit bei den Krankenkassen, weiterhin das Schriftleitergesetz und das Reichskulturkammergesetz.

Diese Gesetze fußen allesamt auf den Grundzügen des Berufsbeamtengesetzes und legen die strenge Auslegung des Nichtariers zugrunde. Die beiden zuletzt genannten Gesetze waren deshalb von besonderer Bedeutung, als mit ihrer Hilfe jede kulturelle Tätigkeit jüdischer Journalisten, Schriftleiter, Schriftsteller, Künstler usw. über den Rahmen ihrer jüdischen Gemeinschaft hinaus unterbunden werden konnte und damit die Gewähr für eine Reinhaltung der volkserzieherischen Ämter von allen jüdischen Einflüssen gegeben war.

Gemäß § 13 des Erbhofgesetzes vom 29.9.1933 kann Bauer und Erbhofbesitzer nur sein, wer deutschen oder stammesgleichen Blutes ist, nicht aber wer unter seinen Vorfahren jüdisches oder farbiges Blut hat. Die Prüfungsordnung für Apotheker vom

8.12.1934 sowie die Zulassung der Dozentur setzen ebenfalls arische Abstammung i.S. des Berufsbeamtengesetzes voraus.

Nachdem nun ein Überblick über die wichtigsten Einzelgesetze gegeben ist, seien noch die Grundgedanken des Nürnberger Rassenschutzgesetzes vom 15.9.35 kurz Umrissen. Im § 5 der ersten Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ wird der Begriff „Jude“ eindeutig festgelegt und zwischen „Staatsangehörigen“ und „Reichsbürgern“ unterschieden. „Jude“ ist danach,

1) wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt, wobei lt. § 2, Abs. 2 Zugehörigkeit eines Großelternteils zur jüdischen Religionsgemeinschaft ohne weiteres auch jüdische Rassenzugehörigkeit bedeutet,

2) der von zwei jüdischen Großeltern abstammende Staatsangehörige jüdische Mischling,

a) der beim Erlaß des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat oder danach in sie aufgenommen wird,
b) der beim Erlaß des Gesetzes mit einem Juden verheiratet war oder sich danach mit einem solchen verheiratet,
c) der aus einer Ehe mit einem Juden i.S. des Punktes 1) stammt, die nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre von 15.9.1935 geschlossen ist,
d) der aus dem außerehelichen Verkehr mit einem Juden i.S. des Punktes 1) stammt und nach dem 31. Juli 1936 außerehelich geboren wird.

Ein Jude i. S. des Gesetzes kann nicht Reichsbürger sein und scheidet damit als Träger der vollen politischen Rechte aus. Er kann demzufolge auch kein öffentliches Amt bekleiden und kann das Wahlrecht nicht ausüben.

Im „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ werden Eheschließungen zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen und artverwandten Blutes unter Strafe gestellt. Zum Entscheid über die Zulässigkeit von Ehen jüdischer Mischlinge mit Deutschen wurde der „Reichsausschuß zum Schutze des deutschen Blutes beim Reichsministerium des Innern“ ins Leben gerufen. Eheschließungen zwischen Halbjuden und Deutschen sowie zwischen Vierteljuden und Halbjuden bedürfen der Genehmigung des RMdl und des Stellvertreters des Führers bzw. der von diesen bestimmten Stelle (Reichsausschuß z. Sch. d. dtsch. Blutes), während Ehen zwischen Vierteljuden und Deutschen sowie unter Halbjuden nicht genehmigungspflichtig sind. Ehen zwischen Vierteljuden sollen nicht stattfinden.

Allerdings enthält dieses Gesetz keine Strafbestimmungen gegen die unter Umgehung des Gesetzes im Ausland geschlossenen Ehen; denn lt. § 1, Abs. 1 sind nur die zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen und artverwandten Blutes im Ausland geschlossenen Ehen nichtig. Um eine weitere Umgehung des Gesetzes zu verhindern, ist der Erlaß eines Sippengesetzes geplant, das die Ergänzung zu den bereits erlassenen Gesetzen bilden wird und auch hier alle Übertretungen mit Strafen belegen soll.

Außerehelicher Geschlechtsverkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes ist laut § 2 verboten und wird mit Gefängnis bzw. Zuchthaus bestraft.

Im § 3 ist ein Beschäftigungsverbot weiblicher Staatsangehöriger deutschen und artverwandten Blutes unter 45 Jahren für Juden festgelegt. Das Gesetz enthält jedoch keine Bestimmung über die Behandlung weiblicher Volksdeutscher unter 45 Jahren, so daß es einem Juden in Deutschland nach wie vor möglich ist, eine Volksdeutsche unter 45 Jahren trotz ihres deutschen Blutes in seinem Haushalt zu beschäftigen, ohne daß eine gesetzliche Handhabe zu einem Verbot gegeben ist. Ebenso ist (§ 4) den Juden das Zeigen der Reichsfarben verboten wogegen das Hissen jüdischer Fahnen unter staatlichem Schutz steht.

Mit der Verordnung über die Verpachtung öffentlicher Apotheken wurde Juden das Führen einer Apotheke untersagt. In jüdischem Besitz befindliche Apotheken unterliegen dem Verpachtungszwang.

Die bisher besprochenen Gesetze schalten das Judentum in Deutschland politisch und rassenmäßig vollkommen, wirtschaftlich jedoch nur teilweise aus.

Die Rassengesetzgebung bewirkte so eine Scheidung der zum Judentum Gehörenden und derjenigen jüdischen Mischlinge, welche im Laufe der Zeit im deutschen Volkskörper aufgehen sollen. Hier bildete sich nun zwangsläufig ein Block all jener, die wohl offiziell als nichtjüdisch galten und das „vorläufige Reichsbürgerrecht“ besitzen, aber infolge der allseitigen Anwendung des Begriffs „Nichtarier“ in eine Sonderstellung gedrängt wurden.

Vereine und selbst kleinste Zusammenschlüsse führten 1933 den Arierparagraphen ein. Dadurch wurde den Jüdisch-Versippten jede Möglichkeit gesellschaftlichen Lebens genommen. Sie wurden zwangsläufig in innere Gegnerschaft zum NS-Staat gebracht oder mindestens zur Teilnahmslosigkeit an den volklichen Interessen gezwungen.

In Erkenntnis dieser Tatsachen bestimmte der Gesetzgeber in § 6 Abs. 2 der 1. DVO zum Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935 die Aufhebung der sog. Arierparagraphen in anderen als NS-Organisationen ab 1.1.1936, sofern diese über die gesetzliche Begriffsbestimmung des „Juden“ hinausgehen und sie nicht die Zustimmung des Reichsministers des Innern und des Stellvertreters des Führers gefunden haben.

Dadurch wurde es jüdischen Mischlingen also wieder ermöglicht, unter dem Schutz des Gesetzes stehend innerhalb deutscher Vereine Sport und Geselligkeit zu pflegen. Daraus folgt, daß sie Mitglieder in der DAF, im RLB und ähnlichen, nicht der Partei unmittelbar angeschlossenen oder unterstellten NS-Organisationen werden können. Ämter dürfen jedoch auch in diesen Organisationen nicht von jüdischen Mischlingen besetzt werden.

Dagegen ist ein Beitritt nicht rein-arischer Jugendlicher zur SS, SA und Hitlerjugend unmöglich. Die Hitlerjugend verlangt von jedem Neueintretenden die Erklärung, daß ihm keine jüdische Versippung bis zurück zum Jahre 1800 bekannt ist und scheidet die nicht dieser Voraussetzung entsprechenden Jugendlichen rücksichtslos aus. Auch der Reichskriegerbund Kyffhäuser verlangt seit Mai 1937 arische Abstammung i.S. des Berufsbeamtengesetzes.

Wehrgesetz und Reichsarbeitsdienstgesetz schließen Volljuden vollkommen vom Wehr-bzw. Arbeitsdienst aus. Jüdische, reichsbürgerfähige Mischlinge können wohl dienen, jedoch nicht Vorgesetzte in der Wehrmacht bzw. im RAD werden. Vom aktiven Wehrdienst sind sie jedoch ausgeschlossen.

Anweisungen:

Diese Gesetze finden ihre Ergänzung für die staatspolizeiliche Arbeit durch die zahlreichen ministeriellen Erlasse und die vom Geheimen Staatspolizeiamt herausgegebenen Anordnungen und Verordnungen, deren Besprechung hier zu weit führen würde. Es muß hierbei noch einmal betont darauf hingewiesen werden, daß es eine unbedingte Voraussetzung zur ordnungsgemäßen Erledigung der nach der Neuordnung der Zusammenarbeit zwischen SD und Gestapa übertragenen Arbeiten ist, sämtliche seit 1933 erlassenen Gesetze, ministeriellen Erlasse, staatspolizeilichen oder polizeilichen Verordnungen oder sonstigen wichtigen Entscheidungen zu kennen und zu besitzen.

Die Stapostellen haben im allgemeinen eine Sammelmappe angelegt mit allen diesbezüglichen Verordnungen. Falls eine vollständige Sammlung bei den einzelnen Oberabschnitten noch nicht vorhanden ist, ist es erforderlich, sich hier sofort alle fehlenden Exemplare in Abschrift oder Photokopie zu beschaffen.

Um die einheitliche Durchführung bei allen O.A. zu gewährleisten, wird II 112 zusammen mit den nach der Tagung herausgegebenen Arbeitsanweisungen eine genaue Liste über sämtliche seit 1933 erlassenen Gesetze und Verordnungen zusammenstellen. Die Gesetzesmappen sind anhand dieser Liste zu überprüfen und zu ergänzen. Sollten sich einzelne Exemplare bei den Stapostellen nicht beschaffen lassen, wird um Mitteilung an das SD-Hauptamt gebeten, das für die abschriftliche Übersendung Sorge tragen wird.

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