Bericht über die Zusammenarbeit zwischen SD und Gestapa
Am 29. Juni 1937 berichtet SD-Mann Hagen über die Zusammenarbeit zwischen der SD-Abteilung II/112 und dem Gestapa II B 4:
Die Gestapa-Generalakten sind nach In- und Auslandsakten getrennt. Die Inlandsakten sind nach verschiedenen Sachgebieten unterteilt: etwa in die einzelnen jüdischen Organisationen, Auswirkung der Nürnberger Gesetze, Vorgänge über den Einfluß der Juden in der Wirtschaft usw. (Aktenverzeichnis kann beim Gestapa beschafft werden).
Die Auslandsakten sind aus zufälligen, nicht aber systematischen Erfassungen von Vertrauensmännerberichten, Berichten des A. A., die regelmäßig beim Gestapa eingehen, und Zeitungsausschnitten entstanden. Sie sind jeweils unterteilt in: Antisemitismus und Judenbewegung. Assessor Flesch äußerte den Wunsch, die systematische Erfassung des Auslandsmaterials dem SD zu übergeben. Zu diesem Zweck müßte selbstverständlich eine Übernahme der im Gestapa vorhandenen Auslandsakten vorgenommen werden. Nur bei einer genauen Führung dieser Akten ist eine unbedingt zuverlässige Beobachtung des Auslandsjudentums möglich.
Überhaupt erscheint nach Durchsicht der Gestapa-Akten eine Zusammenlegung der Generalakten am zweckmäßigsten, weil nur auf diese Weise eine vollständige Unterrichtung der SD- sowie der Gestapaabteilungen über bestimmte Sachfragen möglich ist (Vorschlag wurde von Assessor Flesch eingebracht).
Beim Referat II B 4 wird außerdem eine Kartei geführt (seit Januar 1937), in der sowohl Personen als auch Organisationen aufgenommen werden (Karteiblätter in der Anlage). Auf den Karteikarten werden alle im Gestapa vorhan- [. . .] sowohl als Auskunfts- als auch als Orientierungskarten verwandt werden können.
Die Führung der Kartei obliegt der Registratur. Bei Ein- oder Ausgang eines Vorganges, der einen Juden betrifft, werden von den Stenotypistinnen automatisch eine Karte für die Kartei und ein Personalbogen geschrieben. Die Einsortierung wird bei Ausgang des Vorganges automatisch in der Registrierung vorgenommen.
Personalakten werden im Archiv des Gestapa geführt. Für geheime Vorgänge besteht ein besonderes Archiv.
Eine Erfassung aller Juden, die überhaupt irgendwie staatspolitisch interessant sind, wird dadurch gewährleistet, daß jeder Vorgang, sobald er einen Juden nennt, automatisch zur Auswertung über II B 4 geleitet wird.
Eine besondere Beachtung finden die Ostjuden, die alle registriert werden. Der technische Gang ist dabei folgender: der Antragsteller für eine Ein- oder Durchreise muß einen Fragebogen (siehe Anlage) beim zuständigen deutschen Konsulat ausfüllen, der dem Gestapa zur Vorlage und Beurteilung gebracht wird. Personen, die wiederholt ein- oder durchreisen, werden auf der Karteikarte jeweils durch einen Reiter gekennzeichnet, so daß bei mehreren Durchreisen diese bereits rein äußerlich zu erkennen sind und von dem Karteiführer automatisch beim zuständigen Referat gemeldet werden.
So ergibt sich, daß die bei II B 4 geführte Kartei zwangsläufig sowohl in Deutschland ansässige, als auch im Ausland wohnende oder auch reisende Juden enthält.
Vorschläge:
Eine genaue und gegenseitige Unterrichtung über alle Vorgänge beim SD (II 112 und II B 4) kann nur erfolgen, wenn über eine regelmäßige Rücksprache der zuständigen Bearbeiter hinaus ein systematischer Austausch aller Vorgänge über die Registraturen geschieht.
Zweckmäßig wäre eine gemeinsam geführte Kartei. Eine Zusammenlegung wird aber nur dann möglich sein, wenn gleiche Karteikarten benutzt werden und wenn die Aufstellung nach gleichen Gesichtspunkten erfolgt. Unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Sachlage müßte bei Aufstellung der Judenkartei für ganz Deutschland ein regelmäßiger Austausch sämtlicher Neueingänge erfolgen.
Für die Aufstellung der Reichskartei stehen II 112 die vom Gestapa seit 1.10.1935 durchgeführten und in 1/4 jährlichen Abständen ergänzten Erhebungen über die gesamten organisierten Juden in Deutschland zur Verfügung, die bis jetzt unausgewertet bei II B 4 liegen. Assessor Flesch stellt II 112 diese Erhebungen zur Auswertung zur Verfügung.
Mit Ausnahme der Stapostelle Berlin haben die Stapostellen noch keine örtliche Judenkartei aufgestellt, so daß es bei der Einrichtung der geplanten Kartei bei den Oberabschnitten zweckmäßig ist, sich mit den zuständigen Stapostellenleitern ins Benehmen zu setzen über den eventuellen Austausch von Karteikarten. Als Gegenleistung würden die Stapostellen den SD-Oberabschnitten und Unterabschnitten ihre regelmäßig 1/4 jährlich geführten Nachträge über Veränderungen bei den organisierten Juden (Abgang durch Austritt, durch Tod, durch Auswanderung und Zugang) zur Verfügung stellen.
Eine Erörterung der Volljuden soll auf Anordnung des Reichsorganisationsleiters der NSDAP durch die Gauleiter erfolgen (Schreiben vom 3.6.37). Das diesbezügliche Rundschreiben, das offenbar noch nicht weitergegeben wurde, liegt dem Gestapa zur Begutachtung vor. Durch Vereinbarung mit Assessor Flesch geht es II 112 zur Beurteilung zu, so daß auf diese Weise durch Vorschlag an den Gruppenführer der SD eingeschaltet werden kann.
Beim Briefentwurf des Reichsorganisationsleiters wird darauf hingewiesen, daß die Erhebung für den 1) A-Fall, 2) RFSS, 3) das Rassenpolitische Amt, 4) für Studien- und Überprüfungszwecke angestellt würde.
Es konnte der Vorschlag gemacht werden, daß die Gauleitungen die Unterorgane der Partei anweisen, neben den Volljuden auch gleichzeitig Erörterungen über Mischlinge ersten [. . .]
Wie aus einer Mitteilung von Assessor Flesch hervorgeht, ist die Aufstellung der Judenkartei deshalb von besonderer Bedeutung, weil erst danach das Reichsbürgergesetz durchgeführt werden kann.
Solange eine zentrale Regelung über die Zusammenlegung des Archive und Zentralkarteien noch nicht getroffen worden ist, muß mit sofortiger Wirkung eine Trennung der Arbeitsgebiete von II 112 und II B 4 erfolgen. Assessor Flesch ist bereit, das Gebiet der nachrichtendienstlichen Erörterung im Ausland über das Judentum sofort an den SD abzugeben. Der Briefwechsel mit dem Auswärtigen Amt müßte allerdings nach dem von C gegebenen Befehl über das Gestapa geleitet werden. Dies könnte in der Art geschehen, daß II 112 die Briefe entwirft und sie zur Unterschrift über das Gestapa weiterleitet. Auf diese Weise würde zugleich vermieden, daß etwas über die nachrichtendienstliche Tätigkeit des SD bekannt wird, zumal die Reichswehr sich dieses Gebiet auch gegenüber dem Gestapa nachdrücklichst Vorbehalten hat (Anfragen der Gestapa haben jedoch ergeben, daß die Reichswehr durch ihre Vertrauensmänner Anfragen zu diesem Sachgebiet nicht erörtern kann). Auch die notwendigen Anfragen bei den mit dem Gestapa in Verbindung stehenden V-Männern im Ausland können durch den SD über das Gestapa erfolgen.
Auf diese Weise wird eine systematische Erörterung und Beobachtung des Auslandsjudentums möglich, was insbesondere im Hinblick auf die gegen den Führer, Streicher und Henlein geplanten Attentate durch die „Alliance israelite universelle“ dringlichste Aufgabe ist.
Aus den dargelegten Gründen wurden bis jetzt von dem Berichterstatter vornehmlich die bei II B 4 liegenden Auslandsakten ausgewertet unter besonderer Berücksichtigung des Falles Frankfurter und des Jewish Board (Bericht über diese beiden Fälle geht gesondert zu).
Zur weiteren Bearbeitung des Auslandsjudentums liegt beim Gestapa viel Aktenmaterial über die früheren Judenkongresse vor, u. a. auch über den letzten Zionistenkongreß.
Assessor Flesch ist bereit, das Material dem SD zu übergeben. Eine vordringliche Bearbeitung im Zusammenhang mit dem Frankfurter-Fall ist unbedingt erforderlich, weil in diesem Aktenmaterial wichtige jüdische Weltorganisationen und Personen genannt sind. Die Kenntnis dieser Organisationen und Personen ist aber die Voraussetzung für eine genaue Beobachtung des Auslandsjudentums, um vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Attentate treffen zu können.
Von den Inlandsakten wurden vorläufig nur die wichtigsten Vorgänge bearbeitet. Uber unbekanntes Material wird in jedem Falle einzeln berichtet. (Folgende Inlandsakten der Juden, Judenerlasse, Juden in der Wirtschaft, Reichswehr und Judenfrage, Rechtsprechung in der Judenfrage). Abschriften und Auszüge würden sich bei der eventuellen Zusammenlegung der Generalakten erübrigen. Solange dies noch nicht geschehen ist, können Akten jederzeit vom Gestapa bezogen werden.