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Chronik und Quellen
1936
Juni 1936

Lagebericht April bis Mai 1936 der SD-Abteilung II/112 vom 25. Juni 1936

Die innerpolitische Lage der Judenheit im Reich hat eine wesentliche Änderung während der Berichtszeit kaum erfahren. Lediglich die Ereignisse in Palästina haben eine leichte Unruhe in beiden Lagern hervorgerufen, die von den Assimilanten allgemein als antipalästinensische Propaganda tatkräftig ausgenutzt wird. Die Zionisten hingegen versuchen durch führende Anhänger mit einer wesentlich erhöhten Werbung für die Palästinaauswanderung an die jüdische Öffentlichkeit zu treten, die unter dem Motto „Nun erst recht“ die damaligen Unruhen in „Erez Israel“ zu bagatellisieren versuchte.

Obwohl diese Agitation im allgemeinen ihr gesetzes Ziel nicht verfehlt, werden aus einigen Teilen des Reiches Rückwanderungsbestrebungen und teilweise Einschränkungen der Palästinaauswanderung gemeldet.

Referat II/112 1 (Assimilanten) - Politische Vereinigungen:

Der „Centralverein der Juden in Deutschland“ führt seit langer Zeit größtenteils nur noch ein Scheindasein. Mitgliederversammlungen werden im allgemeinen nicht mehr gemeldet. Nur in München wird neuerdings versucht, sich wieder etwas bemerkbar zu machen. Es wurden dort in letzter Zeit auffallend häufig in Straßenbahnen Bücherverzeichnisse und Reklameschriften des C.V. gefunden. Die Münchener Ortsgruppe versucht in letzter Zeit ihren Mitgliedern Freifahrten nach Palästina zu ermöglichen, damit sich diese von der Unmöglichkeit der zionistischen Idee durch Tatsachen überzeugen sollen.

Wesentlich anders arbeitet der „Reichsbund jüdischer Frontsoldaten“. Auch er macht zweifellos keinen Hehl aus seiner antizionistischen Einstellung, versucht aber darüber hinaus seine Existenzberechtigung auf anderer Basis zu beweisen. Das immer wieder in den Vordergrundschieben der ehemaligen Fronttätigkeit seiner Mitglieder ist hinreichend bekannt. Einige Ortsgruppen versuchen durch Beziehungen zu arischen Offiziersverbänden die Prinzipien des RjF zu festigen und auszubauen. In München sind z. B. derartige Bestrebungen beobachtet worden. In Oppeln in Oberschlesien hatte die Ortsgruppe des RjF unter Berufung auf das Minderheitenabkommen um eine geschlossene Teilnahme ihrer Mitglieder an einer Gedenkfeier der Wehrmacht gebeten. Es wurde versucht, durch Vorlage eines Gedenkbuches für die gefallenen Juden die Berechtigung dafür nachzuweisen. Der Standort der Wehrmacht lehnte die Beteiligung ab.

Sein Hauptbetätigungsfeld findet der RjF z. Zt. in der Propagierung und Vorbereitung der Auswanderung in außerpalästinensische Länder, vorwiegend nach Übersee. Er unterhält dabei neuerdings enge Beziehungen zur „JCA - Jewish Colonisation Association“ und erhofft sich von ihr wirksame Durchführung seiner Pläne. In letzter Zeit besteht ebenso ein gutes Einvernehmen der Bundesführung mit der englisch-jüdischen Frontkämpferlegion. Man beabsichtigt, dadurch Möglichkeiten für eine Auswanderung nach englischen Kolonien zu bekommen. Zur Vorbereitung der Auswanderung beabsichtigt die „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ in Groß-Bressen bei Breslau ein Lehr-gut einzurichten, das vorwiegend von RjF-Anhängern benutzt werden soll.

In seiner jüdischen Propagandamethodik wenden sich die Anhänger auch gegen den C.V. Der RjF allein sei berufen, die Interessen des Judentums in Deutschland zu vertreten.

Immer wieder bedauert wird in RjF-Kreisen die Ausschaltung der Juden vom Wehrdienst. Die jüdische Jugend müßte sich mehr denn je sportlich betätigen, um dafür einen Ausgleich zu schaffen.

Es wird abzuwarten sein, wie weit dem RjF diese überall festzustellende Isolierung zugute kommt.

Einzelne Ortsgruppen des „Reichsverbandes nichtarischer Christen“ erfreuen sich nicht nur in der nichtarischen Christenheit, sondern auch in führenden Kreisen der Geistlichkeit großer Beliebtheit. In Düsseldorf nahm an einer Gründungsversammlung der evangelische Pastor Flatow aus Köln teil. Weitere Gründungsversammlungen fanden statt in Köln, Aachen und Essen. Die Ortsgruppe Hannover des Reichsverbandes beabsichtigt, sich in einen Landesverband zu vergrößern. Wie in Westdeutschland, so ist auch in München der nichtarische Christenbund sehr aktiv. Es sind immer wieder Bestrebungen wahrzunehmen, die darauf abgestellt sind, über diesen Verband und vielleicht mit Hilfe irgendwelcher Verwandtschaftsverhältnisse einen Einfluß in Partei und Staat zu bekommen. Wieweit das bisher gelungen ist, konnte nicht festgestellt werden.

Der „Verband nationaldeutscher Juden“ tritt nach seiner Auflösung nicht mehr in Erscheinung. Seine Mitglieder sind größtenteils in das Lager des RjF. übergegangen, einige besitzen heute die Mitgliedschaft im CV.

Religiöse Vereinigungen:

Eine aktive religiöse Betätigung in Assimilantenkreisen ist nicht festzustellen. Uber den „Verein für das rel.-lib. Judentum“ liegen keinerlei Meldungen vor.

Jugendvereinigungen:

Die assimilatorischen Jugendvereine haben vereinzelt Mitgliederabgänge zu verzeichnen. Im allgemeinen ist die Betätigung gleichmäßig. Heimabende und kleinere interne Veranstaltungen füllen das Programm des „Ring-Bund jüd. Jugend“ (früher BdjJ.). In Berlin gab das Verhalten eines Zuges des „Ring“ Veranlassung, von staatspolizeilicher Seite gegen ihn einzuschreiten. Etwa 50 Mitglieder waren getrennt nach einem gleichen Ziel marschiert und hatten sich dort einheitlich uniformiert. Die Staatspolizei Berlin hat daraufhin dem Berliner „Ring" jegliche Betätigung für die Dauer eines Monats untersagt.

Sportvereinigungen:

Auf dem Gebiete des Sports ist der RjF mit seinen Sportbünden führend. Die Betätigung ist im allgemeinen überall sehr rege. Es ist immer wieder festzustellen, daß der RjF versucht, auch auf den entlegensten Gebieten des Sports vorherrschend zu sein. So werden jetzt vielfach Keglervereinigungen ins Leben gerufen. (Hannover und Berlin). In Frankfurt/M. ist ein Mitglied des RjF an den „Reichsverband Deutscher Sportfischer“ herangetreten und hat um Erlaubnis nachgesucht, einen nichtarischen Anglerclub gründen zu dürfen. Wegen Mangel an Beteiligung ist eine offizielle Gründung nicht erfolgt.

Berufsumschichtung:

Über assimilatorische Berufsumschulungsorganisationen liegen bisher wenig Meldungen vor. Der vom „Ring-BjJ.“ ins Leben gerufene „Kreis deutsch-jüdischer Selbsthilfe Land und Handwerk“ tritt nicht mehr in Erscheinung. Auch die für die Südamerikaumschulung vom „Ring“ im Einvernehmen mit dem RjF aufgezogene Auswandererschule arbeitet bisher noch nicht. Die „Reichsvertretung der Juden in Deutschland“ schuf letzthin mehrere Auswanderungsmöglichkeiten. Sie hat in Rüdnitz im Kreise Oberbarnim bei Berlin ein Umschulungslager eingerichtet und unterhält in Berlin-Niederschönhausen eine Tagesschule für Berufslehre.

Frauenvereinigungen:

Die ass.[imilatorischen] Frauenvereine veranstalten Haushaltungskurse für junge Jüdinnen, die an die Stelle der bisherigen arischen Hausangestellten treten sollen, die aufgrund des Nürnberger Gesetzes aus jüdischen Haushalten scheiden mußten. Außerdem ist vereinzelt beabsichtigt, besondere Kurse für junge Mädchen einzurichten, um ihnen praktischen Unterricht über Sitten und Gebräuche in den Auswanderungsländern zu erteilen.

Mit besonderen Veranstaltungen treten die Frauenvereine nicht hervor. Neben kleineren Kränzchen nehmen ihre Mitglieder an gemeinsamen „Familienveranstaltungen“ der großen Organisationen, insbesondere des RjF teil.

Referat II/112 2 (Religiöse und Mittelgruppen) - Politische Vereinigungen:

Die Betätigung des U. O.B.B. ist überall sehr regelmäßig.. Die Mitglieder kommen nach wie vor zu ihren Logenabenden zusammen. Eine rituelle Arbeit findet im allgemeinen nicht mehr statt. Den Hauptinhalt eines Logenabends bilden Vorträge über politische Ereignisse, denen sich zumeist ein gemütlicher Teil anschließt.

Von etwa 100 Logen, die 1933 noch bestanden, sind heute 34 suspendiert. Außer den 66 noch arbeitenden bestehen ungefähr 25 Schwesternvereinigungen auf das gesamte Reichsgebiet verteilt.

Von der Großloge des U.O.B.B. war beabsichtigt, jüdische Kinder durch Vermittlung ausländischer Großlogen in die Tschechoslowakei und nach Holland zu verschicken. Das Geheime Staatspolizeiamt hat eine solche Verschickung ins Ausland nur für Kinder im Alter von 6-10 Jahren gestattet.

Die Arbeit des „Verbands polnischer Juden“ erforderte in letzter Zeit erhöhte Aufmerksamkeit. Seine Betätigung beschränkte sich dabei auf bestimmte Städte. In Dresden fand eine größere Veranstaltung statt, die als Gedenkfeier zu Ehren des Marschalls Pilsudski geschickt getarnt war. Die versandten Einladungskarten waren mit polnischem und übersetztem deutschen Text versehen. Der deutsche Absender lautete „Verein polnischer Staatsbürger e.V.Dresden“, während der polnische Text übersetzt hieß „Verein polnischer Staatsbürger jüdischen Glaubens e.V. Dresden“. Der polnische Vizekonsul hielt eine kurze Gedenkrede auf Pilsudski, die den Eindruck erweckte, als sei sie nur zur Tarnung angesetzt.

Die „Agudas Jisroel“ tritt wenig in Erscheinung. Ihre Betätigung ist sehr zurückhaltend. Die Unruhen in Palästina haben dazu wesentlich beigetragen. Sahen die Agudas-An-hänger schon allein in der Ansiedlung von Zionisten in Palästina eine Profanierung des gelobten und geheiligten Landes, so sind sie durch die derzeitigen blutigen Kämpfe einfach sprachlos und erschüttert. Die Sammeltätigkeit für den „Keren Hajischuw“ hat ganz aufgehört.

Ihre Hauptstützpunkte hat die Agudas in Hamburg, Köln, Berlin, München und Karlsruhe. In anderen Orten ist sie nur wenig vertreten.

Religiöse Vereinigungen (Gemeinden):

In den jüdischen Gemeinden bestehen nach wie vor Meinungsverschiedenheiten. Zionisten fordern das sogenannte Fifty-Fifty-Prinzip, das ihnen die Hälfte der Sitze in den Gemeindevertretungen zusichert. Dieses Prinzip ist noch nicht überall durchgeführt. In den Synagogengemeinden Breslaus wurden jetzt zum ersten Male zionistische Vertreter in die Ausschüsse gewählt.

Während in einigen Teilen des Reiches die Gemeinden über ausreichende Geldmittel zu verfügen scheinen (Großgemeinde Breslau), so daß jüdischen Sportvereinen für ihre Zwecke finanzielle Unterstützungen gewährt werden konnten, sind andere Gemeinden am Ende ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit.

In Bremen mußte das Gemeindeblatt der israelitischen Gemeinde sein Erscheinen wegen Mangel an Auflage einstellen.

Jugendvereinigungen:

Über neutrale Jugendvereine, die „Agudas-Jugend“ und den „Jüdisch-orthodoxen Jugendbund Esra“ liegen keine besonderen Meldungen vor.

Die Arbeit der Jugendgemeinschaften der Gemeinden erstreckt sich hauptsächlich auf die einfache Unterhaltung ihrer jungen Mitglieder. Eine besondere Betätigung auf anderen Gebieten konnte nicht festgestellt werden.

Berufsvereinigungen:

Unter den Berufsvereinen nimmt im jüdischen Leben der „Centralverband jüdischer Handwerker Deutschlands“ eine besondere Stellung ein. Seine Ortsgruppen sind allgemein sehr aktiv.

Die Ortsgruppe Hannover des Verbandes hat beschlossen, im Juni Berufswettkämpfe im Bezirk Hannover durchzuführen und die besten Arbeiten in einer Ausstellung der jüdischen Öffentlichkeit zu zeigen.

Die Breslauer Ortsgruppe feierte am 9.5.1936 ihr fünfundzwanzigjähriges Bestehen. In der Festansprache wurde ausdrücklich davor gewarnt, jüdische Kinder in zu starkem Ausmaß den Handwerksberuf erlernen zu lassen.

Caritative Vereinigungen:

Die „Jüdische Winterhilfe“ hat in einigen Bezirken große Erfolge zu verzeichnen gehabt. Eine Reichsbilanz liegt hier z. Zt. noch nicht vor, wird aber in nächster Zeit zusammengestellt. Die einzelnen Gemeinden haben größtenteils für ihren Bereich bereits Bilanzen aufgestellt. Solche sind übersandt aus dem Gebiet des Oberabschnitts Nordwest. Auch in anderen O. A. wird sich die Beschaffung, nach Möglichkeit unter restloser Erfassung des Bereiches, empfehlen.

Schulwerk:

Durch gesetzliche Anordnung müssen jüdische Kinder die jüdischen Volksschulen besuchen. Die maßgeblichen jüdischen Instanzen sahen darin eine Veranlassung, das jüdische Schulwesen weiterhin auszubauen. Aus einigen Orten werden Gründungen von jüdischen Privatschulen mit der Gelegenheit zur Erreichung der Reife für Obersekunda gemeldet. Großer Wert wird überall auf das Erlernen der hebräischen Sprache gelegt. Neuhebräisch ist vielfach als Pflichtfach eingeführt.

Kulturelle Vereinigungen:

Das Wirken der Kulturbünde im „Reichsverband jüdischer Kulturbünde“ ist im Reichsgebiet wenig einheitlich. Während die Spitze des Reichsverbandes durch das Präsidieren des Führers der „Staatszionistischen Vereinigung“, Georg Kareski, staatszionistisch orientiert ist, macht sich in den einzelnen Bünden und Ortsgruppen immer wieder der vorwiegend assimilatorische Einfluß bemerkbar, so z.B. in Breslau.

Politische Hilfsorganisationen:

Der „Hilfsverein der Juden in Deutschland“ tritt propagandistisch kaum noch in Erscheinung. Dagegen betreibt er mit erhöhter Intensität die Auswanderungsvermittlung seiner Mitglieder. Nur vereinzelt sind Veranstaltungen gemeldet, in denen für die Auswanderung nach Übersee geworben wird.

Dem „Zentralausschuß der deutschen Juden für Hilfe und Aufbau“ ist die gesamte Betreuung der jüdischen Wohlfahrt übertragen. Er untersteht direkt der Aufsicht der Reichsvertretung. In seinen Händen lag die Durchführung der jüdischen Winterhilfe. In Stuttgart trat der Zentralausschuß an die jüdischen Gemeindemitglieder mit einem Aufruf, in dem er seine Ziele und Aufgaben, Hilfe für die notleidenden Glaubensgenossen und Unterstützung der heranwachsenden Jugend beim Aufbau neuer Existenzen, hervorhebt und zum Erwerb einer Spendenkarte auffordert. Im Rahmen dieser Sammlung wurden im Mai zunächst von der jüdischen Schuljugend alle diejenigen Juden aufgesucht, die bereits schon zum JWH gespendet hatten.

Über Mitglieder des „Ort“ liegen von den O.A. keine Meldungen vor. In den einzelnen Orten des Reiches bestehen keine organisatorischen Zusammenfassungen. Sämtliche Mitglieder, insgesamt etwa 400, gehören direkt der „Ort-Gesellschaft, Abteilung Deutschland e.V.“ in Berlin an.

In nächster Zeit erfolgt besonderer Bericht über den „Ort“ und Anweisung über seine Bearbeitung.

Referat II/112 3 (Zionisten)

Die letzten Ereignisse in Palästina sind nicht achtlos an der zionistisch eingestellten Juden-heit vorbeigegangen. Es wurde schon eingangs erwähnt, daß der Großteil der Zionisten in Deutschland mit aller Energie und Verbissenheit versucht, auf jeden Fall das große Ziel „Erez Israel“ auch weiterhin im Auge zu behalten und auch weiterhin für eine möglichst starke Abwanderung Sorge zu tragen.

Die Mandatsmacht England hat die jüdische Einwanderungsquote für Palästina erhöht, so daß auch dem Palästinaamt der Jewish Agency in Zukunft mehr Zertifikate für deutsche Zionisten zur Verfügung gestellt werden dürften.

Es entstehen, vom Standpunkt des Gegners gesehen, im Gesamtzionismus in Deutschland ungewollt und unbewußt 3 Lager: Das kleinste, das sich voller Angst, seinen Anhängern könnte es im Falle einer Auswanderung genau so ergehen wie Hunderten von „Chawerim“ in jenen Wochen, versucht zurückzuziehen und die Auswanderung einzuschränken; das zweite und größte, das bedenkenlos einfach die blutigen Unruhen zu bagatellisieren versucht, sie vielleicht zugibt, die eigentlichen Hintergründe aber nicht wahr haben will, das dritte, dessen Anhänger mit ausgeprägtem Fanatismus immer wieder agitieren und für eine Verteidigung Palästinas, erforderlichenfalls mit Waffengewalt, eintreten.

Das erste Lager ist, wie schon gesagt, verschwindend klein und bedeutungslos. Rückwanderungen wurden vereinzelt in Pommern festgestellt.

Als den Propagandisten der zweiten Richtung hörig sind die Konjunkturzionisten anzusehen, die weder aus innerer Überzeugung noch aus besonderem Mut nationaljüdisch denken oder fühlen, die nur Zionisten sind, weil sie irgendwie den Anschluß an ihre Rassegenossen behalten wollen. Ihnen ist es ganz gleichgültig, ob in Palästina wieder einmal einige Juden mehr daran glauben müssen, da sie selbst Palästina nie sehen werden.

Die dritte Gruppe rekrutiert sich aus den langjährigen alten Zionisten und in erhöhtem Maße den Staatszionisten. Ein vereinendes Band verbindet jedoch alle Altzionisten in Deutschland: Die Hoffnung auf die Mandatsmacht England. In vielen Reden ihrer führenden Männer kommt das immer wieder zum Ausdruck. Die Staatszionisten sind dabei ziemlich zurückhaltend. Obwohl sie immer für jüdische Selbstverteidigung in Palästina offen eintreten, haben sie gegenüber England als Mandatsmacht wenig Sympathien. Sie würden es vorziehen, wenn Italien das Mandat über Palästina übernehmen würde.

Alte Zionisten Politische Vereinigungen:

Die „ZVfD“ und ihre Ortsgruppen als Hauptträger der zionistischen Idee in Deutschland sind nach wie vor sehr aktiv. Die häufig abgehaltenen Veranstaltungen bewegen sich in dem üblichen Rahmen. In Gleiwitz fand am 26.4.1936 eine zionistische Gruppenverbandstagung für die oberschlesischen Gruppen statt. Im Mittelpunkt der Tagung stand eine Arbeitsgemeinschaft über nationale und Mittelstandskolonisation in Palästina.

Interessant sind die Ausführungen des Rabbiner Dr. Grünwald, Mannheim, auf einer Tagung des Gruppenverbandes Baden, Württemberg, Pfalz über „Überseewanderung und zionistische Planung“. Grünwald erklärte grundsätzlich, daß die Überseewanderung vom Zionismus nicht abgelehnt werde, sofern es möglich ist, die Auswanderer vor ihrem Weggang innerlich so zu festigen, daß sie dem Zionismus nicht verloren gehen.

Jugend- und Umschichtungsvereinigungen:

Naturgemäß sind es gerade die Jugendvereine, die mit allen Mitteln versuchen, auch praktische Zionisten zu sein. Durch hebräischen Unterricht in ihren Mitgliederkreisen wird überall die Voraussetzung zur Auswanderung geschaffen.

Auf dem jüdischen Lehrgut „Winkel“ bei Spreenhagen bei Berlin fand vom 15.4. bis 1.5.1936 eine Führertagung des „Makkabi Hazair“ statt. Es nahmen 62 Mitglieder teil. Die Arbeit des „Hechaluz“ bot im allgemeinen wenig Neues.

Sportvereinigungen:

Als Gegengewicht zum Sportbund des RjF versucht der „Makkabi“ alle zionistischen Sportler zu erfassen. Sportliche Wettkämpfe stehen im Mittelpunkt des Vereinslebens.

Palästinawerk:

Ein Ende Mai erschienener Aufruf des „Keren Hajessod“, in dem zur Entrichtung eines Sonderbeitrages aufgefordert wurde, wurde von der ZVfD tatkräftig unterstützt.

Am 17.5. ist eine Werbeaktion des „Keren Kajemeth Lejisroel (KKL)“ abgeschlossen worden, über deren Ergebnis noch nichts bekannt war.

Staatszionisten:

Über die Betätigung von staatszionistischen Ortsgruppen im Reich ist nichts besonderes bekannt geworden. Aus Zwickau i. Sa. wird gemeldet, daß sich die dortige staatszionistische Ortsgruppe wegen Mangel an Mitgliedern aufgelöst hat. Der „Brith Hechajal“ ist durch staatliche Anordnung aufgelöst worden. Obwohl seine Mitgliederzahl von jeher ziemlich gering war, durfte seine Bedeutung als staatszionistische Wehrorganisation nicht unterschätzt werden.

Am aktivsten sind die Gruppen des staatszionistischen Jugendbundes „Jüdisch-nationale Jugend Herzlia (Betar)“. In Berlin zählt er etwa 500 Mitglieder beiderlei Geschlechts. Die Erziehung bei internen Veranstaltungen ist bewußt soldatisch. Mit staatlicher Genehmigung tragen die Mitglieder dunkelbraune Hemden bzw. Blusen mit blauem Kragen, Ärmelaufschlägen und Achselklappen. Es konnte festgestellt werden, daß Berliner Heime des „Betar“ öffentlich die blau-weiße Zionistenfahne zu Ehren der in Palästina gefallenen Juden auf Halbmast setzten. Nach den Nürnberger Gesetzen stehen jüdische Fahnen unter staatlichem Schutz.

In Danzig ist eine Ortsgruppe der „Neuen zionistischen Organisation“ gegründet worden, die als solche der staatszionistischen Vereinigung in Deutschland nicht angehört.

Allgemeine jüdische Betätigung Jüdische Organisationen untereinander:

Das Verhältnis der jüdischen Organisationen untereinander ist allgemein kein gutes. Nur vereinzelt treten Einigungsbestrebungen offen auf, in Halle a. S. haben sich sämtliche jüdischen Jugendvereine zu einem „Ortsring jüdischer Jugendvereine“ zusammengeschlossen. Größtenteils werden solche Bestrebungen von zionistischer Seite sabotiert. In Dortmund ist den zionistischen Turnern von der ZOG nahegelegt worden, unter allen Umständen eine gemeinsame Betätigung mit dem RjF zu unterlassen.

In Rostock versuchen führende Köpfe assimilatorischer Verbände durch besondere Intelligenz die Zionisten zu übertrumpfen.

Verhältnis zu Staatsstellen:

Die Einstellung jüdischer Organisationen ist sehr zurückhaltend. Nur der RjF glaubt, eine Bevorzugung erfahren zu müssen. Er beruft sich auf die ihm von der NSKOV übertragene Aufgabe der Betreuung jüdischer Kriegsopfer. Von den Staatspolizeistellen wird dieses Ansinnen energisch zurückgewiesen.

Die Einstellung von Behörden Juden gegenüber wird den nationalsozialistischen Anforderungen nicht immer voll gerecht. So ist in Wismar bei der Stadtverwaltung noch immer ein Volljude beschäftigt, der nach den Ausführungsbestimmungen zu den Nürnberger Gesetzen vom November 1935 zum 31.12.1935 hätte pensioniert werden müssen.

Der Reichsärzteführer hat vor einiger Zeit über jüdische Ärzte eine Anordnung erlassen. Die Begriffsbestimmung „Jude“ wurde für das Ärztewesen der Festlegung in den Nürnberger Gesetzen angeglichen. Vertretungen von Ärzten dürfen in Zukunft nur durch Gleichrassige erfolgen. Es geht danach nicht mehr an, daß sich ein arischer Arzt während seiner Abwesenheit von einem Juden vertreten läßt.

Verhältnis zu Partei und Nebenorganisationen:

Eine Ortsgruppe des Reichsluftschutzbundes im Westen des Reiches hat Anfang Mai einen Gasschutzkursus durchgeführt, an dem 30 männliche und 30 weibliche Juden beteiligt waren. Die Anordnung zu dieser Schulung soll die Gauführung des RLB in Hannover gegeben haben.

Verhältnis zur Wehrmacht:

Noch immer wieder besagen Meldungen, daß einzelne Truppenteile ihren Bedarf bei jüdischen Händlern decken. In Ostpreußen befindet sich noch heute fast der gesamte Pferdehandel in jüdischen Händen. So sei die Wehrmacht gezwungen, ihre Remonten bei Juden einzukaufen. Auch aus München werden Lieferungen von Juden an Heeresverpflegungsämter gemeldet.

Verhältnis zur Wirtschaft:

Auf die deutsche Wirtschaft hat der Jude nach wie vor einen maßgeblichen Einfluß. Ein Eingehen auf Einzeldinge würde hier zu weit führen. Der Verkaufsdirektor Dienemann der jüdischen Firma Scherk GmbH, Berlin, betreibt seine Werbung neuerdings in Hannover mit dem Hinweis, selbst Frauen führender deutscher Staatsmänner decken ihren Bedarf bei Scherk in Berlin.

Immer wieder muß festgestellt werden, daß die Bekämpfung jüdischer Warenhäuser an dem Verhalten der Volksgenossen selbst scheitert. Parteigenossen und Nichtparteigenossen scheuen sich nicht, weiterhin, teilweise sogar in Uniform, ihre Einkäufe bei Juden zu tätigen.

Es wurde berichtet, daß der Verkauf kleinerer jüdischer Geschäfte an Nichtjuden, besonders in Provinzstädten, weiterhin anhält.

Verhältnis zur Justiz:

 

Mit allen Mitteln beabsichtigen Juden immer wieder, die Nürnberger Gesetze zu umgehen. Aus Holland, Österreich und der Tschechoslowakei werden Angestellte für jüdische Haushalte vermittelt. In Chemnitz wurde jedoch die Feststellung gemacht, daß es tschechische Staatsangehörige ablehnten, bei Juden in Dienste zu treten. Aus München wird berichtet, daß Hausangestellte entlassen werden und als „Betriebsangestellte“ im gleichen Haushalt bzw. Betrieb wieder Anstellung finden.

Die Staatspolizeistelle in Breslau vermittelt jüdischen Haushalten Angestellte auf folgende Art: Fünf jüdische Breslauer Dirnen sind nach Absolvierung eines Kursus in einem Zwangslager der jüdischen Arbeitsfürsorge zur Vermittlung als Hausmädchen in jüdischen Haushalten überwiesen worden. Zwei von ihnen sind bereits in jüdischen Familien untergebracht, da ältere arische Mädchen nicht zu bekommen sind.

Die Gerichtsurteile, die anfangs häufig sehr milde ausfielen, sind allgemein nunmehr ziemlich scharf und durchgreifend. In Mannheim verurteilte das Gericht den jüdischen Handelsvertreter Jakob Schloss zu zwei Jahren Zuchthaus, weil er noch bis November 1935 mit einer Arierin geschlechtlich verkehrt hatte. Wegen Betruges wurde der jüdische Bankier Weil, der rücksichtslos Erträge kleiner Bauern verspekuliert hatte, zu drei Jahren und drei Monaten Zuchthaus verurteilt.

Verhältnis zur Presse:

In der Reichspressekammer sind z. Zt. noch 13 Juden eingegliedert. Hiervon ist 2 Juden bzw. jüdischen Unternehmen das weitere Verbleiben bereits gestattet worden. Drei Anträge in dieser Hinsicht liegen noch vor. Den restlichen acht sind bereits Fristen gestellt, bis zu denen sie auszuscheiden haben.

Verhältnis zur Olympiade:

Mit gewissem Stolz wird von jüdischen Sportlern, die dem RjF nahestehen, immer wieder hervorgehoben, daß es gelungen sei, das reinrassische Frl. Bergmann in die Olympiakernmannschaft für Hochspringen zu bringen.

Verhältnis zum Ausland:

Allmählich versuchen jüdische Kreise, sich einen Rückhalt im Ausland zu verschaffen. Zwischen ausgewanderten Juden und zurückgebliebenen findet ein reger Briefwechsel statt, der fast durchweg in neuhebräischer Sprache geführt wird.

Zwischen den Juden diesseits und jenseits der holländischen Grenze besteht ein starker Verkehr. Ein großer Teil der im Westen wohnenden Juden besitzt die holländische Staatsangehörigkeit; ein anderer Teil hat Grenz- und Auslandspässe.

In Österreich haben die Juden ebenfalls eine starke Stütze. Sie verlagern den Schwerpunkt ihrer Wühlarbeit dorthin und versuchen von dort aus, Deutschland unter Druck zu nehmen. Durch Kettenbriefe suchen sie über Grenzen hinweg zum offenen Boykott deutscher Waren aufzufordern. Ein solcher Brief wurde in München aufgefunden, der seinen Ursprung in Wien genommen hatte.

Verhältnis zu den Kirchen:

Über die Teilnahme eines evangelischen Pastors an einer Gründungsversammlung des „Reichsverbandes nichtarischer Christen“ wurde schon berichtet. Besonders aus München wird immer wieder eine Zusammenarbeit von katholischen Kreisen mit Juden gemeldet. Es werden jüdischen Jugendvereinen Lokale und Plätze für ihre Betätigung zur Verfügung gestellt.

In Riesa i. Sa. hat der katholische geistliche Rat Dr. theol. Rentzschka den Versuch unternommen, die vierzehnjährige Hanni Kurowski, die dem BDM angehört, als Hausmädchen an einen Juden zu vermitteln. Als das Mädchen die Annahme dieser Stelle ablehnte, schob er dem Juden eine polnische Staatsangehörige im gleichen Alter zu.

Das denkbar beste Einvernehmen besteht in Oberhausen zwischen der dortigen jüdischen Gemeinde und der katholischen Kirchengemeinde. Beide Gemeinden haben ein Abkommen geschlossen, nach welchem in Zukunft die kath. Gemeinde die jüdische Kirchensteuer erhebt. Dadurch konnten die Juden eine Beamtenstelle einsparen.

Verhältnis zu anderen Gegnern:

Über die Zusammenarbeit mit anderen staatsfeindlichen Organisationen liegen z. Zt. wenig Meldungen vor.

Nur aus Danzig wird berichtet, daß sich die deutsch-nationale Presse für jüdische Belange stark einsetzt. Vertreter jener Partei nehmen offiziell an jüdischen Heldengedenkfeiern in Synagogen teil.

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