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Chronik und Quellen
1934
Mai 1934

Memorandum des SD-Amtes IV/2 an Heydrich

Betr.: Zur Behandlung der Judenfrage

1. Die augenblickliche Lage

Das Ziel der Judenpolitik muß die restlose Auswanderung der Juden sein. Um die angefangene Auswanderung in Fluß zu halten, ist ein bestimmtes Gefälle notwendig. Dieses Gefälle ist abhängig von dem draußen vorhandenen Platz und von den Verhältnissen in Deutschland. Es besteht die große Gefahr, daß das Gefälle geringer wird, daß die Judenabwanderung ins Stocken kommt und deren augenblicklich bestehender Zwischenzustand fixiert wird. Diese Fixierung würde zur Folge haben, daß bei Juden und Deutschen das Endziel der Judenauswanderung vergessen oder als undurchführbares Fernziel aus dem Auge gelassen würde. An Stelle des Auswanderungsproblems könnte ein Minderheitenproblem treten, der jetzige Übergangszustand könnte sich psychologisch und rechtlich zu einem Dauerzustand verfestigen.

2. Auswanderung und Judenstaat

50.000 Juden sind ausgewandert. 550.000 sollen folgen, dazu noch die getauften Rassejuden.

Schon die ersten 50.000 Emigranten sind in den Ländern, in die sie sich wandten, nicht untergebracht worden. Die noch folgenden werden in den kultivierten Ländern erst recht nicht untergebracht werden können. Platz für die Masse der auswandernden Juden läßt sich nur in bisher unerschlossenen Gebieten freimachen und hat die Schaffung eines Judenstaates zur Folge oder zur Voraussetzung.

Die Gründung eines Judenstaates ist zwar nicht ein deutsches, sondern ein internationales und ein national-jüdisches Problem. Wenn aber Deutschland nicht führend beteiligt ist, wird dieses Problem nicht angefaßt werden. Wenn die Juden draußen keinen Platz finden können, so können wir sie aus außenpolitischen Gründen wahrscheinlich nicht zur Auswanderung zwingen und behalten sie für immer auf dem Hals.

Als Möglichkeiten für eine Staatsgründung sind bisher Palästina, Syrien, Abessinien, Angola, Madagaskar und Biro Bidschan (autonome Sowjetrepublik) diskutiert worden. Es gehört zu den Aufgaben der deutschen Außenpolitik, diese Möglichkeiten zu überprüfen und ihre Verwirklichung in die Wege zu leiten.

Mit der Existenz Palästinas allein ist das Problem nicht gelöst, es ist ein Versuch mit durchaus untauglichen Mitteln. Palästina kann auch unter den günstigsten Bedingungen der übrigen Welt nur einen geringen Prozentsatz ihrer Juden abnehmen, die zurückbleibende Mehrheit aber erhält an diesem jüdischen „Paradestaat“ einen Vorwand, sich der endgültigen Lösung des Judenproblems zu widersetzen und einen rechtlichen Anspruch, sich als nationale Minderheit behandeln zu lassen. Dabei ist von vornherein zu bedenken, daß jeder Judenstaat das bestehende Kräfteverhältnis entscheidend verändern wird, gleichgültig, ob er auf der Linie England-Indien, in Afrika oder in Südamerika liegt.

3. Die Juden in Deutschland

Die Gestaltung der Verhältnisse in Deutschland liegt mehr in unserer Hand als die Gestaltung des Judenstaates. Hauptziel muß sein, das Bewußtsein und den jetzigen Zustand als ein Übergangsstadium zu wecken und zu erhalten.

Den Juden sind die Lebensmöglichkeiten - nicht nur wirtschaftlich genommen - einzuschränken. Deutschland muß ihnen ein Land ohne Zukunft sein, in der wohl die alte Generation in ihren Restpositionen sterben, nicht aber die junge leben kann, so daß der Anreiz zur Auswanderung dauernd wach bleibt. Abzulehnen sind die Mittel des Radau-Antisemitismus. Gegen Ratten kämpft man nicht mit dem Revolver, sondern mit Gift und Gas. Der außenpolitische Schaden der Straßenmethoden steht in gar keinem Verhältnis zu dem örtlichen Erfolg.

Die Einschränkung der Existenzgrundlage

Aus den staatlichen und halbstaatlichen Stellungen in Verwaltung, Rechtspflege, Wissenschaft und Kunst sind die Juden im wesentlichen verdrängt. Die Ausnahme-Paragraphen des Berufsbeamtengesetzes könnten dabei auch für andere Lebensgebiete als Vorbild dienen, wie man bei einer noch erträglichen Zurücksetzung der deutschen Belange der Auslandspropaganda die billigen Schlagworte nehmen kann.

Die Pressegesetzgebung hat auch einen Teil Juden entfernt.

Die Positionen in den freien Berufen der obengen. Sparten sind erschüttert.

Nicht erschüttert aber ist die Stellung der Juden in der Wirtschaft. Wenn auch hier aus den verschiedensten Gründen noch nicht allgemein und öffentlich vorgegangen werden kann, so müsse sich doch wenigstens unterbinden lassen, daß Behörden und Parteistellen jüdische Lieferfirmen beschäftigen. Zu bedenken ist ferner die Wirkung der Kaufhausund Bankpolitik auf die Masse der Mittelständler und der Arbeiter.

Die gesellschaftliche Isolierung

Diese ist unbedingt aufrecht zu erhalten. Vor allem ist gegen die Versuche der Rassemischung mit allen Mitteln vorzugehen, auch mit den sonst abzulehnenden Straßenmethoden.

Die Nachteile der so erzwungenen Isolierung der Juden in eigenen Sport-, Jugend-, Kultur-, Berufs- und Geselligkeitsvereinen bringt aber die Tendenz zur Minderheit als Nachteil mit sich.

Die Behandlung der jüdischen Organisationen

Außer den ebengenannten Vereinigungen haben auch die jüdischen politischen Verbände, ihre Religionsgemeinden, Schulen und Wohlfahrtseinrichtungen ungeheuer an Bedeutung für das innerjüdische Leben gewonnen. Die Art ihrer Behandlung wird von großem Einfluß auf die Erwartungen und Hoffnungen des einzelnen Juden sein.

Es müßte die Taktik aller in Frage kommenden Stellen sein, die Gegensätze zwischen den bestehenden Gruppen der Juden zu kennen, zu benutzen und durch verschiedene Behandlung dieser Gruppen zu vertiefen. Als durchaus falsch muß jede Äußerung oder Amtshandlung bezeichnet werden, die darauf hinausläuft, jüdische Dachorganisationen zu stützen oder gar anzuregen. Das Bestehen jüdischer Gesamtorganisationen muß das Gemeinschaftsgefühl der Juden fördern, wird den Zwang bedeuten, ihre verschiedenen Richtungen aufeinander einzuspielen, gemeinsame und verbindliche Nahziele aufzustellen und so auch der Vorbereitung einer einheitlichen Politik auf längere Sicht förderlich sein. Wenn aber diese Dachverbände gar als Verhandlungspartner anerkannt werden, so werden sie bei der heutigen Lage mit sehr großer Autorität gegenüber ihren Unterverbänden ausgestattet und erhalten wirkliche Macht. Das jüdische Einheitsbewußtsein wird wiederum gefördert und der Gedanke an eine jüdische Minderheit wird dadurch bei Juden und Deutschen, vor allem aber auch im Ausland, psychologisch gefördert und ein Minderheitenrecht gewohnheitsrechtlich vorbereitet.

Entgegen dem auf der ersten Seite des Judenberichtes aufgestellten Grundsatz, ist das Gestapa in 2 Fällen davon abgewichen:

„Im Einvernehmen mit dem Staatskommissar für das Preuß. Theaterwesen hat das Geheime Staatspolizeiamt der jüdischen Kulturbestrebungen dahin vereinheitlicht, daß als maßgebende Organisation. .. der ist.“

“... hat das Geheime Staatspolizeiamt bei dem Reichsjugendführer eine allgemeine Regelung dieser Frage angeregt...“

An beiden Einzelfällen ist deutlich zu sehen, daß ohne die staatliche Anregung und Förderung die Dachverbände nicht zustande gekommen wären bzw. sich nicht hätten durchsetzen können. Die Befriedigung über die Anerkennung war bei den Juden, wie aus ihren Zeitungen ersichtlich, groß.

Neben diesen beiden Dachverbänden soll auch die Reichsvertretung der deutschen Juden inoffiziell anerkannt sein. Die Reichsregierung soll durch eine Mittelstelle Anregungen und Aufträge erteilen, welche die Umschichtung der Juden, ihre Eingliederung in die Arbeitsfront usw. betreffen sollen (s. Anlage).

Um die Spaltung der Juden aufrecht zu erhalten, müssen einzelne ihrer Organisationen bevorzugt behandelt werden. Dazu kommen wohl nur die Zionisten in Frage. Man müßte also deren Gegenspieler zur Reichsvertretung, nämlich die „Jüdische Aktion“ heranziehen, ihre Umschulungsmaßnahmen wohlwollend anerkennen und ihre Auswanderungsbestrebungen fördern.

Die Umschulung der Juden auf landwirtschaftliche und handwerkliche Berufe ist also zu dulden, solange sie in geschlossenen Lehrgängen und nicht bei deutschen Bauern und Hand-werkern erfolgt und soweit sie die Auswanderung vorbereiten soll. Sie ist zu unterbinden, wenn ersichtlich ist, daß die Juden dadurch eine Existenz in Deutschland aufbauen wollen.

In verschiedenen jüdischen Religionsgemeinden (Berlin, Dresden, vielleicht auch in anderen) sind Bestrebungen im Gange, die ablaufende Wahlzeit der bestehenden Gemeindevertretungen zu verlängern bzw. durch Aufstellung einer Einheitsliste um einen Wahlkampf herum zu kommen. An den Neuwahlen interessiert sind eigentlich nur die Zionisten, weil diese eine beträchtliche Stimmenzunahme erwarten. Es müßten also die Maßnahmen erwogen werden, die Wahlen doch durchführen zu lassen.

Es ist außerdem möglich, daß einzelne Zwischenfälle die vorhandenen Spannungen beleben und daß sich die Gelegenheit ergibt, durch Verhaftungen, Haussuchungen und Verbote in dem oben bezeichneten Sinne einzugreifen.

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