Bericht über Pogrom in Westdeutschland
Nach dem 12. November 1938 verfasste Hans Goslar, früher Ministerialdirektor in Berlin, einen Bericht über den Pogrom in Frankfurt am Main, Herford, Dortmund, Düsseldorf, Gütersloh und Bielefeld sowie über Todesfälle in Dortmund und im KZ Sachsenhausen:
Wie nun mit Sicherheit feststeht, ist Rabbiner Dr. Jacob Horovitz, Frankfurt am Main, einer der wegen seiner Gelehrten-und rabbinischen Tätigkeit und wegen seiner menschlichen Hilfsbereitschaft in weitesten Kreisen des deutschen und ausländischen Judentums geschätztesten und geehrtesten deutschen Rabbiner, infolge der jüngsten Ereignisse gestorben. Er warvorkurzemunterfalscherAnschuldigungvon der Gestapo verhaftet und nach 14 Tagen, nachdem sich die Falschheit der Denunziation herausgestellt hatte, entlassen worden. Durch die Aufregungen der Haft erlitt er einen Nervenzusammenbruch und kam daraufhin in das Jüdische Krankenhaus, Frankfurt am Main. Am Pogromtage musste er das Krankenhaus verlassen und wurde gezwungen, das Abbrennen der Synagoge, in der schon sein Vater, Rabbiner Dr. Marcus Horovitz, und auch er jahrzehntelang gelehrt hatten, mit anzusehen. Bei diesem grauenvollen Anblick erlitt er einen Tobsuchtsanfall, der in Verbindung mit seinem durch die Haft geschwächten Gesundheitszustand zum sofortigen Tode führte.
Dem Jugendrabbiner Dr. Lemle, Frankfurt am Main, der im Auto abgeholt wurde, das - während er darin saß - mit Petroleum begossen und angezündet wurde, gelang es, aus dem Auto zu entfliehen. Sein Schicksal ist bis jetzt unbekannt.
Zu den bereits gemeldeten abgebrannten Synagogen kommt mit Sicherheit Herford hinzu. Auch dort sind alle männlichen Mitglieder der Gemeinde verhaftet.
In Dortmund sind, wie Augenzeugen glaubwürdig melden, mehrere Juden erstochen worden, darunter Rechtsanwalt Frank.
In Düsseldorf sind Männer und Frauen der jüdischen Gemeinde in Pyjamas und Nachthemden aus den Betten geholt und abgeführt worden. Sie wurden gezwungen, ohne Fußbekleidung durch die überall verstreuten Glasscherben zu gehen.
Der Kaufmann Alfred Blank aus Dortmund ist nach zuverlässigem Bericht im Konzentrationslager Oranienburg »am Herzschlag« gestorben.
Aus Herford wird von einem christlichen Augenzeugen berichtet, dass, als er am Donnerstagnachmittag an der Trümmerstätte vorüberkam, Kinder auf der Straße unter Grölen und Jauchzen Thorarollen und Altardecken zerfetzten.
Eines der größten Bürohäuser in Herford ist vollständig demoliert.
Gütersloh: In drei jüdische Häuser der Stadt drangen nachts Horden ein, die nach Waffen fragten, alles kurz und klein schlugen und die Häuser anzündeten, sodass sie bis auf den Grund niederbrannten. Die Bewohner mussten nachts notdürftigst bekleidet barfuß auf die Straße und wurden dann von Christen aufgenommen.
Bielefeld: Der größte Teil der männlichen Juden ist verhaftet und weitertransportiert worden.