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Chronik und Quellen
1938
November 1938

Brief eines Abgeschobenen aus Krakau

Am 1. November 1938 berichtet ein von der „Polen-Aktion“ Betriffener in einem Brief aus Krakau über die Ausweisung der polnischen Juden aus Deutschland:

Krakow, 1. November 1938

Meine Lieben!

Hoffe, dass Ihr inzwischen mein Telegramm erhalten habt. Mit kurzen Worten möchte ich Euch schildern, wie es mir ergangen ist.

Am Freitag früh 5½ Uhr kamen zwei Beamte von meinem Revier, ich möchte sofort mitkommen und RM10 - mitnehmen, es wäre eine Passkontrolle. Den Schreck, den wir hatten, könnt Ihr Euch ja vorstellen. Auf dem Revier sah ich, was gespielt wird, ich habe den Hauptmann gebeten, da ich im Nebenhaus wohne, mir einige Sachen zu holen, da ich nichts hatte, es wurde mir glatt abgelehnt. Sofort habe ich Papa angerufen, damit er Netti verständigen könnte. Sie haben mir in aller Eile etwas Wäsche und Essen gebracht. Wir wurden ge sammelt auf Lastautos nach der A.-Straße gebracht, von dort aus wurden wir nach dem Bahnhof gebracht, es waren ca. 2000 Personen.

Es haben sich Szenen abgespielt, die man mit Worten nicht schildern kann. Frauen und Kinder haben geschrien, geweint, [sind] in Ohnmacht gefallen.

Sie sind wie die Räuber, vollkommen herzlos, es war ein richtiger Überfall auf arme wehrlose Menschen.

Wir fuhren um 2½-3 Uhr ab und waren um 12 Uhr nachts an der Grenze. Keiner durfte ans Fenster oder aussteigen, alles war verschlossen. Mit schussbereiten Gewehren und Pistolen wurden wir bedroht, falls wir ans Fenster kamen. Die Beamten in der Grenzstation waren sehr erstaunt, da der Transport nicht gemeldet war, mit einmal waren sämtliche deutschen Beamten, die uns begleitet hatten (200 Mann), verschwunden. Während der Fahrt wurden wir alle wie Verbrecher behandelt, es ist eine Schande, dass so was überhaupt passieren darf.

Bis nachts um 3 Uhr wurden die Pässe nachgesehen und gestempelt. Für die Unterkunft hat sich niemand gekümmert. 2000 Menschen mussten in zwei kleinen Räumen Unterkommen, von Freitag bis Montag waren wir in der Grenzstation. Das Bild kann sich niemand vorstellen, wie es dort ausgesehen hat. Die Luft zum Ersticken, es sind in zwei Tagen vier Leute gestorben; es war sehr schade, dass niemand von uns einen Photoapparat hatte, damit man solche Bilder ins Ausland schickt.

Wir hatten alle kein Geld und hatten nichts zum Essen, wir waren gezwungen, auf schnellstem Wege Abhilfe zu schaffen, da die Leute vor Entkräftung krank geworden sind.

Es kamen aus der Umgebungjüdische Damen und Herren. Sie haben alles getan, was nur möglich war. Sehr vermögende Leute standen nachts um 2 Uhr angestellt, bis sie an die Reihe kamen, um ein Stück trockenes Brot und ein Glas Tee zu bekommen. Den Leuten standen die Tränen in den Augen, es war ein Zustand, den man kaum mit Worten schildern kann. Am Montag abends 5 Uhr kamen wir in K. an. Wir wurden alle sehr herzlich empfangen, es gab zu essen, dass wir erstaunt waren, Wurst, Eier, Butterbrot, Tee, Milch, Kaffee, Kuchen usw. Ärzte und Schwestern waren anwesend. Wir wurden alle in Autos abgeholt und [es wurde] sofort für Unterkunft gesorgt. Die Leute kostet jeder Tag 100000 Sloty. Bei A.s habe ich Mittag und Abendbrot gegessen, es sind sehr feine Leute, auch habe ich etwas Geld bekommen.

Euren lieben Brief habe ich bei A. gelesen, worüber ich mich sehr freute, dass Ihr um mich so besorgt seid. In ein Sammellager sind wir Gottlob nicht gekommen, so braucht Ihr Euch keine Sorgen zu machen. Ich wäre sehr dafür, dass die lieben Eltern auf schnellstem Wege Deutschland verlassen, da es in B. alle Tage etwas Neues gibt.

Betreffs der Ausweisungen der Polen sind Verhandlungen, man spricht, dass man in ca. acht Tagen nach Hause fahren kann, damit man die Angelegenheit in B. regeln kann.

In Stettin, Leipzig, Magdeburg, Köln usw. sind auch Frauen und Kinder abgeschoben worden, von den kleinen Kindern sind leider durch die Kälte und schlechte Ernährung zwei gestorben (dreieinhalb Monate und ein Jahr). Schöne Zustände, das will ein Kulturstaat sein, es ist ein Verbrechen, was die Regierung macht.

Jetzt will ich Schluss machen, da ich sehr müde bin, habe drei Nächte kein Bett gesehen, so könnt Ihr Euch ja denken, was ich durchgemacht habe.

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