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Chronik und Quellen
1938
September 1938

Bericht über KZ-Haft

Nach September 1938 verfasste ein Betroffener folgenden Bericht über seine von Frühjahr bis September 1938 dauernde KZ-Haft in Buchenwald:

Meine Erlebnisse im Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar bis September 1938

Ich muss zuerst erklären, dass es sich hier um Tatsachen handelt, die außer mir noch Hunderte gesehen und erlebt haben.

Ich wurde eines Vormittags um 6 % Uhr aus meiner Wohnung von drei Stapo-Beamten geholt, auf Befragen angeblich zu einer Vernehmung. Ich wurde in das Polizeipräsidium eingeliefert, wo ich zu meinem Erstaunen ca. 200 andere Leute sah. Ich musste einem Beamten meinen Lebenslauf angeben und einen Schutzhaftbefehl unterschreiben. Am selbigen Abend wurde ich in einem Sammeltransport-Sonderzug unter militärischer Bewachung und Hunden nach Weimar transportiert.

Es war morgens um 5 Uhr. Links und rechts des Bahnsteiges standen Polizeibeamte mit Gewehr im Anschlag. Wir wurden von SS empfangen. Es hagelte schon Fußtritte und Gewehrkolbenschläge. Wir mussten im Bahnsteig-Tunnel mit dem Gesicht nach der Wand stehen, und es wurde erklärt, ihr seid Gefangene des KZ-Lagers, und wer sich rührt, wird erschossen. Alsdann wurden wir in bereitgestellte Lastautos verladen, und wieder wurde gesagt, wer es wagt, nur den Kopf zu rühren, wird von der Wache, die im Lastwagen hinten mit angelegtem Gewehr stand, erschossen. Die Fahrt dauert ca. 30 Minuten.

Von der Gegend, wo wir fuhren, konnten wir nichts sehen. Auch hier am Eingang der Lagerstraße wurden wir wieder von SS-Posten mit unter dem Arm gehaltenem Gewehr empfangen. Da alte Leute nicht dem Tempo folgen konnten, half die SS mit dem Gewehrkolben nach. Wir gingen durch das Lagertor, worüber ein Spruch steht: »Recht oder Unrecht, mein Vaterland«. Wir mussten uns splitternackt ausziehen, trotzdem es kalt und nass war. Dann wurden wir nach dem Muster eines Zuchthauses eingekleidet. Alsdann wurde uns der Kopf geschoren, wie dem gemeinsten Verbrecher, anschließend mussten wir antreten und sofort exerzieren nach militärischem Muster, da gab es bereits die ersten Toten, da viele ältere und herzleidende Männer dieses Tempo nicht aushalten konnten. So ging das den ersten und zweiten Tag, ohne Pause und ohne jegliche Verpflegung.

Erst am dritten Tag bekamen wir etwas zu essen, und zwar bekamen wir einen halben Liter warmes Essen und fünf Männer ein Brot von zwei Kilo. Am vierten Tag wurden die Häftlinge zur Arbeit eingeteilt. Die Juden wurden zur schwersten Arbeit herangezogen. Sie kamen in den sogenannten Steinbruch.

Der Tag war wie folgt eingeteilt: 3.30 früh Wecken, dann gab es einen Eichelkaffee, um 4.30 Appell und dann anschließend wurde zur Arbeit ausmarschiert, d. h. in Kolonnen. Jede Kolonne hatte einen Vorarbeiter, der aus der Kategorie der Berufsverbrecher war. Dieser hatte über uns die Gewalt, über Tod und Leben. Mit einem Bengel trieben uns diese Herren an, natürlich unter der Aufsicht der SS-Posten, die jede Kolonne morgens um 5 Uhr mitbekam. Der Herr Vorarbeiter und SS-Posten waren dafür verantwortlich, dass das Arbeitspensum eingehalten wurde, was natürlich bei der Kost und der Ungewohntheit der körperlichen Arbeit besonders schwer war. So blieben denn jeden Tag verschiedene Menschen tot liegen. Beliebt war das sogenannte Schießen auf lebende Ziele, kam nämlich einer der Arbeit nicht nach, so jagte man ihn über die sogenannte Postenkette, dann wurde er natürlich auf der Flucht erschossen, andere wurden von einem Stein erschlagen oder wurden buchstäblich zu Tode geschlagen.

Das Lager selbst war von einem elektrisch geladenen Stacheldraht umgeben, woselbst alle 50 Meter ein Turm mit Maschinengewehrposten stand. Tagsüber war außer diesem noch eine Postenkette um den Lagerbereich.

Eines Tages wurde durch den Herrn Lagerkommandanten bekanntgegeben: Die Trägerkolonnen aus den Steinbrüchen, welche bis im Anfang Juni 1938 alles zu vieren (Mann) mittels einer Trage auf den Schultern getragen hatten, mussten dasselbe und mehr j etzt zu zweit tragen. Dies ging natürlich nicht mehr auf den Schultern, sondern in den beiden Händen, da jedoch keine Pause bei der Arbeit gemacht werden durfte, fielen die Leute jetzt wie die Mücken. Die Kraft in den Händen, wenn man ca. zwei bis drei Zentner zu zweit tragen muss auf eine Entfernung von zwei bis drei Kilometer, lässt sehr schnell nach, und der Erfolg war, dass die Leute ihrer Arbeit nicht nachkamen und natürlich als arbeitsscheu und Verweigerer betrachtet wurden und dementsprechend bestraft wurden. Auf die Einzelheiten dieser Strafen komme ich noch zurück. Um nicht diesen Maßnahmen zu verfallen, banden sich die Leute mit Stricken um die Hände an die Tragen, um ja nicht aufzufallen, und ließen sich lieber die Hände ausreißen. Wenn wir abgeladen hatten, so mussten wir im Laufschritt an die Arbeitsplätze bzw. Ladeplätze zurück. Ich selbst holte mir einen Leistenbruch und Lungenriss bei dieser unmenschlichen Arbeit. Da das Essen nur unzureichend war, ließen die Kräfte sehr schnell nach, und viele gingen vor Schwäche ein. Hilfe gab es keine. Die Menschen waren so fertig, dass jedes Mal bei dem Appell nach der Arbeit 30% der gesamten Häftlinge vor Schwäche umfielen. Mittels Prügel holte man diese Menschen wieder hoch, oder sie waren tot.

Nebenbei mussten wir im Lager unterzeichnen, dass wir arbeitsscheue Juden sind und dass wir dieses freiwillig unterzeichnet hätten.

Nun komme ich zu einem Kapitel, das sind die so genannten Hausstrafen des KZ-Lagers. Wer sie mit angesehen und erlebt hat, kann sich in das grausigste Mittelalter zurückversetzt glauben, aber es ist anzunehmen, dass es da nicht so schlimm war.

Als Erstes gab es die Prügelstrafe für folgende Vergehen:

1. bei unvollendetem Arbeitspensum,
2. bei der Arbeit gesprochen,
3. bei der Arbeit Wasser getrunken,
4. einen Vorgesetzten vergessen zu grüßen oder dergleichen,
5. bei dem Appell umgefallen, nicht gerade gestanden,
6. oder einem Posten hat man nicht gefallen,

dann wurde die Nummer des Häftlings aufgeschrieben, und er wurde ohne Verhör bestraft. Auf dem Appellplatz stand der Bock. Der Delinquent wurde von drei SS-Leuten darauf gezogen, einer hielt ihm den Mund zu, der zweite und dritte schlugen abwechselnd von links und rechts mittels eines Lederstocks, welcher mit Bleirohr gefüllt war, ca. 25-30-50-mal je nach der Höhe der Bestrafung auf das Gesäß.

In vielen Fällen waren die Leute tot oder bewusstlos; wenn noch am Leben, so mussten sie die Hose herunterziehen, um dem Kommandanten die Löcher, die das Fleisch bekommen hatte, zu zeigen. So pervers waren die Herrschaften. War ein Jude tot dabei, so bekamen die anderen die Mitteilung, dass er eine Freikarte nach Palästina erhalten hätte.

Eine weitere Strafe, die auch zumeist tödlich war, ist das »Baumhängen«. Jeden Tag konnte man 50-100 Häftlinge an den Bäumen gebunden finden. Die Hände wurden rücklings um den Baum gebunden und der Körper wurde 10 cm entfernt von der Erde gehängt, die Beine zusammengeschnürt. Kilometerweit konnte man das Schreien dieser Häftlinge hören, so lange, bis sie das Bewusstsein verloren und dann langsam starben.

Während meiner Haftzeit wurde auch ein Häftling öffentlich vor 15000 Häftlingen gehängt. Derselbe hatte mit einem anderen die Flucht ergriffen und einen SS-Posten erschlagen. Der eine entkam nach der CSR, doch der andere wurde bei seiner Mutter aufgegriffen. Im Hofe bzw. auf dem Appellplatz wurde ein Galgen errichtet, der noch heute steht, der Delinquent wurde von einem dazu bestimmten Häftling hingerichtet. Die Leiche blieb 24 Stunden hängen, und das gesamte Lager, d. h. alle Häftlinge, musste so lange auf dem Appellplatz stehen, um sich das alles anzusehen.1

Eine weitere Strafe war das An-der-Mauer-Stehen: Von morgens 5 Uhr bis abends 21 Uhr musste der Bestrafte auf einer Stelle stehen und wider eine weiße Mauer sehen.

Das schlimmste war, wenn einer während der Arbeit geschlafen hatte oder einen Versuch gemacht hatte zur Flucht.

Der Delinquent wurde in eine ein Quadratmeter große Kiste gesperrt, welche innen ringsherum mit Stacheldraht versehen war. Der Betreffende konnte nicht sitzen, stehen, sondern musste in einer Fragezeichenstellung verbleiben. Die Kiste wurde in die Sonne gestellt und der Gefangene mit Salzheringen so lange gefüttert, drei bis fünf Tage, bis er starb.

Betten oder dergl. gab es nicht, uns wurde mitgeteilt, dass wir (Juden) keine verdient hätten. Wir bekamen lediglich zwei Koltern und schliefen auf der Erde. In einer Baracke (genannt Block) waren 4-500 Menschen zusammengepfercht, schlimmer als die Schafe.

Sonntags bekamen die Juden nichts zu essen. Auf Leute, die körperlich beleibt waren, hatte man es besonders abgesehen. Sie wurden so lange gehetzt, bis sie tot waren oder Selbstmord verübten.

Die hygienischen Einrichtungen sind furchtbar. Toiletten und Wasserleitung gab es nicht. Es wurden Gruben angelegt bis 20 Meter Tiefe, darüber Stangen, und da wurde die Notdurft verrichtet. Da es vorkam, dass die Ruhr ausbrach, so wurde es furchtbar, die Leute starben vor Schwäche, da keine Hilfe.

Hatte jemand in die Hose gemacht, so wurde er vom Blockwart gemeldet und dann folgendermaßen bestraft: Es wurde ein viereckiger Kasten mit Wasser gefüllt, da hinein kam der Gefangene und wurde mit Reiserbesen abgeschrubbt, d.h., die Haut wurde ihm buchstäblich vom Körper gezogen, und am anderen Tage war der Patient gestorben. Über 50% der Häftlinge sind zu meiner Haftzeit gestorben, d. h. von meinem Block, in welchem 450 Mann waren. Zu meiner Zeit wurde das Lager erst gebaut. Ältere Leute starben meist alle infolge Schwäche oder de[r] bereits geschilderten Umstände [n].

Ich bin jederzeit bereit, vor einer Kommission die Verhältnisse noch eingehender zu schildern und zu beeiden.

Ein Häftling des KZ Buchenwald

Die Bevölkerung nennt es Totenwald.

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