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Chronik und Quellen
1938
August 1938

Bericht über KZ-Haft

Der kriegsbeschädigte Berliner Ziegeleibesitzer Louis Gumpert berichtet – allerdings erst nach dem Novemberpogrom - über seine vom 13.Juni-29. August 1938 währende Haft in Berlin und im Konzentrationslager Buchenwald:

Ich wurde am 13. Juni 1938 morgens um 6 Uhr verhaftet, um angeblich zu einer Konfrontation gebracht zu werden. In Wirklichkeit sollte ich in ein Lager transportiert werden, weil ich in der Inflationszeit mit M 1000 Geldstrafe bestraft war. Ich fand, als wir ins Gefängnis Charlottenburg kamen, einige 100 Juden vor, die mein Schicksal teilten und mit mir zu Beginn gleich ein Protokoll unterschreiben mussten, das mit den Worten »Ich, vorbestrafter Jude« begann. Wir kamen dann zum Alexanderplatz und mussten dort zwei Tage zu 70 Mann in einem Raum, in dem sieben Pritschen standen, übernachten. Ich bemerke, dass ich sehr kriegsbeschädigt bin, noch jetzt anerkannt zu 50%. Das hinderte aber meinen Abtransport am Mittwoch [15.6.1938] nach Buchenwald nicht. Meine Frau hat lediglich auf Umwegen meinen Aufenthalt erfahren. Durch Unterhaltungen im Lager erfuhr ich, dass die ganze Aktion, die dann später im November stattfand, schon damals bis ins Einzelne vorbereitet war und dass Dachau für die Juden geräumt werden sollte, um deren Auswanderung zu beschleunigen. Unter uns befanden sich Juden bis zum Alter von 75 Jahren. Wir wurden auf dem Bahnhof von SS-Leuten, ganz jungen Menschen von 16 bis 20 Jahren, mit Kolbenstoßen und Fußtritten empfangen und dann auf Lastwagen in das Lager transportiert, wo wir unter dem »Galgen« antreten mussten. Unter Hinweis auf diesen Galgen wurde uns erklärt, dass ein Jude kurz vorher ein paar Tage geschaukelt hätte und dass es uns ebenso gehen würde, wenn wir irgendwelchen Mangel an Disziplin zeigten. Wir mussten dann den ersten Tag lang stehen und empfingen darauf Mütze, Hose und Rock, aber weder Unterzeug noch etwas zu essen. Das erste Essen erhielten wir am folgenden Mittag. Wir mussten zu 500 Mann in einem Stall auf der nassen Erde schlafen - lediglich etwas Tannenreisig, das aber auch feucht war, hatten wir uns als Unterlage zusammengeholt. Unsere Baracke befand sich auf dem Ettersberg. Wir hatten auch keine Wäsche empfangen, sodass wir in den Nächten sehr frieren mussten. Unser Vorgesetzter, der sog. Blockälteste, war ein vertierter Berufsverbrecher - im Allgemeinen waren unsere Vorgesetzten vorbestrafte Menschen, die schon jahrelang im Lager waren. Blockführer war ein SS-Mann. Wir wurden dann zu einem Arbeitskommando eingeteilt und mussten im Steinbruch arbeiten, insbesondere die gebrochenen Steine zu den im Bau befindlichen Wagen tragen. Das alles musste im Laufschritt geschehen, jeder normale Schritt und jedes Verweilen lockte Schläge der SS-Leute heraus. Es gab wenig Essen, 300 g Brot, -1 ½ Suppe, 15 gMargarine, 15-20 gMarmelade und abends ein kleines Stückchen ungenießbare Wurst. Um 3 Uhr mussten wir aufstehen, um 4 Uhr war Appell, der etwa eine Stunde dauerte, dann bis 12 Dienst im Steinbruch, dann nach einer halbstündigen Mittagspause wieder Dienst bis 4 Uhr, darauf Appell bis ¾ 5 Uhr und dann wieder Dienst bis 8 Uhr. Um 10 Uhr konnten wir dann zum Schlafen in die Baracken gehen. Es wurden neue Baracken gebaut, als wir ankamen, und uns [wurde] gesagt, da kommen die Juden herein. Es wurde viel gestraft. Es gab generelle Strafen wie elf Stunden Stillstehen auf dem Appellplatz, ohne sich rühren oder austreten zu dürfen, und Strafübungen wie Rollen und Kniebeugen.

Daneben gab es spezielle Strafen wie Anhängen an Bäume, d.h., die Betreffenden wurden mit zusammengebundenen Handgelenken, sodass die Füße den Erdboden nicht erreichten, an einen Baumast gehängt, sodass die Armgelenke auskugelten und [sie] nur unter furchtbaren Schmerzen nach kurzer Zeit ohnmächtig wurden. Eine andere Strafe war, die Leute mit zusammengebundenen Ellbogen an einen Baum zu binden, sodass eben die Zehenspitzen den Boden berührten. Gesehen habe ich [es] nicht, aber mitgeteilt ist mir, und zwar zuverlässig, dass auch Strafen vollstreckt wurden, bei denen das Anbinden derart geschah, dass der Kopf nach unten hing. Wir waren 1250 Juden und ca. 6500 christliche Gefangene, sogenannte B. V., d. h. Berufsverbrecher. Diese hatten rote Streifen, die Bibelforscher blaue und die Asozialen schwarze auf ihren Anzügen. Es gab dann außerdem die Prügelstrafe, die fast täglich beim Appell in Abstufungen von 20, 25 und 50 Hieben von SS-Leuten vollstreckt wurde, wegen Rauchen im Dienst und dergleichen Missetat. Die Scharführer waren ganz junge SS-Leute, der Kommandant mit Namen Koch, wie uns gesagt wurde, ein wegen Mordes vorbestrafter Mensch, der es liebte, in einer weißen Uniform umherzugehen, und eine perverse bestialische Art hatte, sich die Vollstreckung der Strafe anzusehen.

Dann gab es schließlich noch die Arreststrafe, wobei die Verurteilten in einer verdunkelten Zelle während der ganzen Zeit stehen mussten. Ein Geistlicher, dessen Jammern und Schreien ich die ganze Zeit hindurch hörte, war zweieinhalb Monate in einer solchen Zelle.

Wenn einer von den Lagerinsassen verschwunden war, musste alles beim Appell Stillstehen bleiben, bis er wieder gefunden war. Eines Tages wurde - das war der furchtbarste Fall, den ich erlebt habe - ein Mann, der offenbar hatte fliehen wollen, halbtot zurückgebracht, die Kleidung hing ihm in Fetzen vom Körper. Es wurden dann die Hunde, die im Lager waren, auf ihn losgelassen und er derart gebissen, dass er sich vor Schmerzen wand. Er erhielt dann noch Prügel und wurde in eine Kiste gelegt, deren beide Seiten mit Stacheldraht versehen waren. Obenauf wurden Latten mit Spalten genagelt, dann die Kiste der Sonne ausgesetzt und er ohne Nahrung gelassen, sodass er schließlich in der Kiste, die wir nach zwei Tagen nicht mehr sahen, verhungert sein muss. Ich habe selbst gesehen, wie ein anderer, der zu fliehen versucht hatte, mit Knüppeln totgeschlagen wurde. Die SS-Leute traten mit Stiefeln auf ihm herum, um den Tod festzustellen.

Die Wasserverhältnisse waren so schlecht, dass die Leute Teerwasser getrunken haben. Die Alten reagierten nicht mehr auf das Essen und verweigerten jede Nahrungsaufnahme. Auf diese Weise kamen natürlich zahlreiche Todesfälle vor. Ich schätze, dass in den zweieinhalb Monaten, die ich im Lager war, 150 bis 180 gestorben sind, jedenfalls wurden täglich Leichen aus dem Lager und den Baracken herausgetragen und wahrscheinlich verbrannt. Es gab natürlich auch zahlreiche Selbstmorde. Die Verzweiflung war besonders groß in den ersten Tagen nach Einlieferung, die Leute liefen einfach in die neutrale Zone, da sie wussten, dass sie dann erschossen wurden. Aber auch Rohheitsakte der SS-Leute waren häufig Todesursache, so weiß ich, dass ein junger Jude namens Lewisohn durch ein Lastauto absichtlich überfahren ist. Die ständig ausgesprochene Drohung mit Totschießen haben die SS-Leute bei den harmlosesten Anlässen ausgeführt.

Als eine Regenperiode begann, war der Aufenthalt in der Baracke unerträglich, da es durchregnete. Der Regen hatte auch viele Krankheiten im Gefolge, da wir stundenlang in den Kleidern, die wir immer nass wieder anziehen mussten, stehen mussten. Es gab häufig Lungenentzündung, auch starben viele an Überanstrengung und Herzschlag. Herzkranke hatten es besonders schwer, z. B. ein Herr Kahn aus Frankfurt am Main, der sehr beleibt und 73 Jahre alt war. Er wurde von uns zum Arzt getragen, der aber jede Behandlung ablehnte. Wir trugen ihn darauf zurück und trafen unterwegs SS-Leute, die ihn von der Bahre herunterschlugen und zur Arbeit zwangen. Er erhielt dann so viel Prügel, dass er nach zwei Tagen starb. Die Leiche, die wir zurücktrugen, sah furchtbar aus. Die Todesfälle häuften sich auch dadurch naturgemäß, dass die körperliche Arbeit nicht gewohnten Menschen durch die 14-stündige Arbeitszeit und schlechte Ernährung vollkommen entkräftet waren. Einen Weinhändler aus Trier, der völlig entkräftet war, schlug unser Blockältester so lange, bis er starb. Zum Appell mussten auch Schwerkranke erscheinen -sie wurden dann auf einer Bahre hingetragen und an einem Baum niedergelegt. Oft sind sie während des Appells gestorben. Ein 73-jähriger Herr Schnell aus Berlin, der schwer zuckerkrank war, erhielt einen so schweren Schlag von einem SS-Mann über den Kopf, dass er nach zwei Tagen tot war. Im Allgemeinen war [es] verboten, sich krank zu melden, wohl deshalb, weil Medikamente nicht verabfolgt wurden und z. B. Mullbinden überhaupt nicht vorhanden [waren]. Die einzige Berührung, in die wir mit dem Arzt kamen, war unsere Entlassung, bei der wir daraufhin untersucht wurden, ob aus irgendwelchen Stellen an unserem Körper auf die Misshandlungen geschlossen werden könnte. Ständig wurden Spenden von uns verlangt für Vorgesetzte und christliche mittellose Kameraden, von unserem Gelde wurde uns täglich durchschnittlich RM 1- zur Verfügung gestellt. Unterschlagen ist m. W. von dem Gelde nichts, aber es wurde uns quasi abgepresst. Mit mir sind, weil wir Visa hatten, 52 Mann entlassen. Wir wurden in Lastwagen und Gefängniswaggons unter strenger Bewachung nach Berlin zurückgebracht, wo wir noch mit Handschellen zum Alexanderplatz transportiert wurden. Am 29. August erfolgte meine Entlassung.

Berichterstatter: Louis Gumpert, Ziegeleibesitzer, Berlin W 35, Friedrich Wilhelmstr. 17, 51 Jahre alt

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