Artikel in der Juristischen Wochenschrift
Ein Urteil des Arbeitsgerichts Hanau hebt am 7. Dezember 1934 die Kündigung eines jüdischen Angestellten auf:
Arbeitsgerichte
Hanau
84. §57ArbOG. Unbillig harte Kündigung gegenüber einem nichtarischen Angestellten in einer arischen Firma.
Die bekl[agte] Firma hat am 24. Juni 1934 das früher unter der Firma B. betriebene Konfektionsgeschäft käuflich erworben. Die Inhaber der Beklagten sind Arier, während dies die Inhaber der Firma B. nicht waren. Der Kl[äger] ist in der letzteren Firma bereits seit
1. Juli 1924 tätig. Er leitet die Teppich- und Gardinenabteilung. Er ist nichtarisch, aber mit einer Arierin verheiratet. Er hat ein Kind von fünf Jahren. Er war Frontkämpfer und Kriegsgefangener.
Am 31. Okt. 1934 wurde ihm von der Beklagten ohne Angabe von Gründen seine Stellung zum 31. März 1935 gekündigt. Er hat gegen diese Kündigung fristgemäß den Vertrauensrat angerufen und ebenfalls fristgemäß geklagt, nachdem eine Rücknahme der Kündigung nicht erzielt wurde.
Die auf §§ 56 ff. ArbOG betreffend gestützte Klage ist begründet. Die Kündigung des Kl. ist unbillig hart und nicht durch die Verhältnisse des Betriebes bedingt.
Die Bekl. hat offenbar an der Tatsache, daß der Kl. Nichtarier ist, bis zur Zeit der Kündigung keinen Anstoß genommen. Dies ergibt sich ohne weiteres schon daraus, daß sie ihn als einzigen Nichtarier unter 65 Angestellten am 24. Juni 1934 mitübernommen und damals ihm nicht gekündigt hat. Nach dem persönlichen Vortrag des einen Mitinhabers der Bekl. und dem Kl. in der Hauptverhandlung ist auch zu entnehmen, daß die Zusammenarbeit des Kl. mit den Inhabern der Bekl. auf durchaus einwandfreiem Fuße erfolgt ist. Beide haben sich mehrfach gegenseitig erklärt, daß sie persönlich gut miteinander arbeiten und keinerlei persönliche Differenzen bestehen. Ebenso bestehen zwischen den übrigen Mitgliedern der Gefolgschaft und dem Kl. keine nennenswerten Differenzen. Auch das Publikum kann sich an der Tatsache, daß [der] Kl. nichtarisch ist, nicht gestoßen haben, denn sonst wäre der Umsatz in der Abteilung des Kl. zurückgegangen und nicht, wie unstreitig, sogar gestiegen und es hätte von seiten der Beklagten vorgebracht werden können, daß aus dem Käuferpublikum Proteste gegen die Anwesenheit des Kl. im Betrieb laut geworden wären. Dies vermochte die Bekl. aber nicht geltend zu machen.
Nach alledem kann die Weiterbeschäftigung des Kl., der ja sowieso noch bis zum 31. März 1935 im Betrieb der Bekl. tätig bleibt, der Bekl. durchaus zugemutet werden, und seine Kündigung ist also nicht durch die Verhältnisse des Betriebes oder durch seine Person bedingt.
Die Kündigung ist aber unbillig hart. Denn [der] Kl. ist Frontkämpfer, welche Tatsache schon im Hinblick auf die allgemeine Rücksichtnahme auf die Frontkämpfer - man denke an die nichtarischen beamteten Frontkämpfer - besonders zu berücksichtigen ist. Er ist verheiratet und hat ein minderjähriges Kind, für das er sorgen muß. Es ist aber schließlich auch besonders zu bedenken, daß er als älterer nichtarischer Angestellter nur sehr schwer eine neue, seinem seitherigen Einkommen entsprechende Stelle wird finden können.
Hiernach war gem. §57 ArbOG betreffend auf Widerruf der Kündigung und Weiterbeschäftigung des Kl. unter den seitherigen Arbeitsbedingungen zu erkennen. Für den Fall der Ablehnung war dem Kl. eine angemessene Entschädigung zuzubilligen. Unter Berücksichtigung der Bestimmung des § 58 des Gesetzes und im Hinblick darauf, daß [der] Kl. seither monatlich 320 RM brutto verdient hat, erschien der Betrag von 1.000 RM netto angemessen.
(ArbG. Hanau, Urt. v. 7. Dez. 1934., A C114/34)