Schreiben des Reichsinnenministeriums (Pfundtner) an das Reichslandwirtschaftsministerium
Staatssekretär Pfundtner schlägt dem Reichslandwirtschaftsminister am 13. Juni 1934 vor, geschlossene Lager für die landwirtschaftliche Ausbildung von Juden einzurichten:
Betrifft: Landwirtschaftliche Umschulung von Juden.
Ihr Schreiben vom 5. Mai 1934 - IV/5.1589-.
Zu den in Ihrem Schreiben an das Geheime Staatspolizeiamt vom 27. Februar 1934 - IV/5. 656 - erörterten Fragen bemerke ich ergebenst folgendes:
Wenn die Judenfrage bereinigt werden soll, sollte kein Weg von vornherein versperrt werden, der geeignet ist, die Auswanderung der in Deutschland lebenden Juden zu fördern. Es ist dem Ansehen der Reichsregierung im In- und Ausland nicht zuträglich, wenn sie einerseits erklärt, durch die Ariergesetzgebung habe nur der unerträgliche Einfluß der Juden auf die Leitung des Staates und auf das deutsche Kulturleben gebrochen werden sollen, es könne im übrigen jeder Jude ungehindert seinem Erwerb nachgehen, und wenn dann an-der[er]seits Juden oder Judenstämmlinge durch die Standesorganisationen von der Erlernung und Ausübung fast jeden Berufs abgedrängt werden. Noch weniger aber schiene es mir tragbar zu sein, wenn die Reichsregierung ebenfalls diesen Weg beschritte. Bei der vorliegenden Frage kommt noch folgendes hinzu:
Die bekannte geringe Neigung der Juden zu körperlichen, insbesondere landwirtschaftlichen Arbeiten ist ihnen mit Recht immer wieder vorgeworfen worden. Diese auch von einsichtigen Juden selbst zugegebene Tatsache ist aber gleichzeitig ein Hindernis für die angestrebte Auswanderung, da die akademischen und sonstigen durch geistige Arbeit zu erfüllenden Berufe in allen Zielländern der Auswanderung schon jetzt hoffnungslos überfüllt sind. Es ist daher nicht nur begreiflich, sondern vom Standpunkt der deutschen Regierung aus auch zu begrüßen, wenn jetzt die Juden in Deutschland ernstlich daran gehen wollen, ihre vorwiegend intellektuell eingestellten Volksgenossen auf die einzig noch Erfolg versprechende landwirtschaftliche Arbeit umzuschulen. Je eher und tatkräftiger dieser Plan verwirklicht wird, umso besser ist es für beide Teile. Wollte die Regierung fordern, daß die Umschulung in das Ausland verlegt wird, so würde damit der Plan auf absehbare Zeit hinaus gescheitert sein. Daß die Juden nach der Umschulung nicht auswandern, sondern als Landwirte innerhalb des Deutschen Reichs zu verbleiben beabsichtigen sollten, ist nach der im neuen Staat geschaffenen Lage nicht zu befürchten.
Eine grundsätzliche Ablehnung des Planes würde überdies mit aller Bestimmtheit der Weltpropaganda gegen Deutschland neue und in diesem Fall berechtigte Nahrung geben, da es nicht verstanden würde, wenn den Juden zwar der Vorwurf eines einseitigen Intellektualismus gemacht, aber ihnen dennoch der erste ernste Versuch, aus eigenen Mitteln und in Erkenntnis der Richtigkeit des Vorwurfs sich umzustellen, verboten würde. Nicht zu unterschätzen dürften auch die nicht unmittelbar praktischen Folgen der Umschulung sein; ich erwarte hiervon eine gewisse Entspannung der vorläufig noch durchaus nicht einem wünschenswerten Endzustände zugeführten Judenfrage innerhalb Deutschlands. Es wäre m.E. nicht zu verantworten, wenn ein auch für die Regierung so brauchbares Ventil für die vorhandenen Spannungen nicht geöffnet würde.
Von den zwei Wegen, die für die Ausführung des Planes offenstehen, halte ich in Übereinstimmung mit Ihnen die Einzelausbildung nicht für angebracht. Dagegen scheinen mir ebenso wie dem Geheimen Staatspolizeiamt keine ernstlichen Bedenken gegen die Umschulung in geschlossenen Lagern zu bestehen. Die von Ihnen auch bei dieser Lösung befürchteten nachteiligen Folgen könnten meines Ermessens verhindert werden, wenn nötig durch Anwendung staatlicher Machtmittel. Auch scheint mir diese Gefahr infolge der fortgesetzten Aufklärung der Bevölkerung nicht mehr so erheblich zu sein, wie sie noch vor wenigen Jahren gewesen wäre. Schließlich wird zu diesem Punkt noch zu berücksichtigen sein, daß die von Ihnen angedeuteten Gefahren schon jetzt bestehen und zwar in wesentlich größerem Umfang. Die für die Umschulungslager vorgesehenen Juden stellen nicht einen neuen Zuzug von außerhalb dar, sondern leben schon jetzt in Deutschland, und zwar zwangsweise unbeschäftigt. Sie haben daher gegenwärtig weit mehr Gelegenheit und Anreiz, sich schädlich zu betätigen, als wenn sie in geschlossenen Lagern, durch anstrengende körperliche Arbeit abgelenkt und ermüdet, und mit der Aussicht auf einen Ausweg aus ihrer bisherigen Lage ihre Tage bis zur Auswanderung zubringen.
Ich beabsichtige daher, dem Plan der landwirtschaftlichen Umschulung in Lagern näherzutreten und wäre für baldige Mitteilung Ihrer Stellungnahme zu meinen Ausführungen dankbar.
Durchschlag meines Schreibens füge ich bei.