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Chronik und Quellen
1934
Mai 1934

Mai 1934

Der Mai begann mit den Feiern zum „Feiertag der nationalen Arbeit“, die zu einer gigantischen Propagandaschau wurden. Allein am zentralen Staatsakt auf dem Tempelhofer Feld in Berlin nahmen rund 2 Millionen Menschen teil. Hitler sprach zu diesem Anlass über eine Stunde über den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und die Überwindung der Klassengegensätze und ging hierbei nochmals auf die Ereignisse vom 2. Mai 1933 ein: „Wenn wir am 2. Mai im vergangenen Jahr die Vernichtung des deutschen Parteiwesens durch die Besetzung der Gewerkschaften einleiteten, dann geschah es nicht, um irgendwelchen Deutschen zweckmäßige Vertretungen zu nehmen, sondern um das deutsche Volk zu befreien von jenen Organisationen, deren größter Schaden es war, dass sie Schäden pflegen mussten, um die Notwendigkeit ihrer eigenen Existenz zu begründen. Wir haben damit das deutsche Volk von unendlich viel innerem Streit und Hader erlöst, der niemandem nutzte.“

Die parallel im gesamten Reichsgebiet stattfindenden Feiern waren exakt auf die Berliner Kundgebung abgestimmt und mit ihr – wie euphorisch mitgeteilt wurde - „durch die Wellen des Äthers“, also den Rundfunk, verbunden. Die gesamte „Volksgemeinschaft“ war angemessen repräsentiert: Während Arbeiter und Bauern zu Grundpfeilern des angestrebten Neuaufbaus deklariert wurden, marschierten auch die Arbeitgeber allerorten in den Maiumzügen mit. Anlässlich des Tages wurden nach offiziellen Angaben außerdem rund 200 Häftlinge aus dem KZ Dachau entlassen.

Bereits am 3. Mai wurden neue Wohltaten angekündigt: An diesem Tag stellte die NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ die ersten Dampfer zur Verfügung, auf denen jeder „Volksgenosse“ künftig in Ferien fahren können sollte. Im Laufe des Sommers, so die Ankündigung, sollten bereits mehr als 100.000 Arbeiter in den Genuss solcher Seereisen kommen.

Trotz solcher Angebote ließ die öffentliche Stimmung nach Einschätzung der NS-Beobachter noch viel zu wünschen übrig. Daher sah sich Propagandaminister Goebbels genötigt, am 11. Mai mit einer Großkundgebung im Berliner Sportpalast einen bis Ende Juni andauernden „Feldzug gegen Miesmacher und Kritikaster“ zu eröffnen, um so die „ewig Unzufriedenen“ gemäß der Vorstellungen des NS-Regimes zu erziehen. Goebbels erklärt: „Früher schimpften sie über die Parteien, jetzt schimpfen sie, dass keine Parteien mehr da sind; früher schimpften sie, dass die Regierungen so oft wechselten, heute schimpfen sie, dass diese Regierung so lange bleibt. Früher waren ihnen die Zeitungen zu zweitönig, jetzt sind sie ihnen zu eintönig.“ Den „Kritikastern“, so Goebbels unter stürmischem Beifall, sei es in Deutschland offenbar zu „langweilig“ geworden. „Es geht ihnen zu gut. Jetzt sollen sie uns kennenlernen!“ Mit launigen Worten sollten auf diese Weise etwaige Kritiker des Regimes mundtot gemacht werden.

Auch auf anderem Gebiet wurden die Zügel spürbar angezogen: Am 15. Mai wurde das „Gesetz zur Regelung des Arbeitseinsatzes“ erlassen, das eine erhebliche Einschränkung des Rechts auf freie Wahl des Arbeitsplatzes bedeutete. Hauptziel der neuen Regelung war die regimeseitig steuerbare Sicherstellung des Bedarfs an landwirtschaftlichen Arbeitskräften. Nun konnte künftig die Beschäftigung von Personen, die „mit dem Land verwurzelt“ und mit landwirtschaftlichen Arbeitsweisen vertraut waren, in nichtlandwirtschaftlichen Bereichen untersagt werden. Außerdem konnten (städtische) Bezirke mit hoher Arbeitslosenquote für zuziehende Arbeitssuchende gesperrt werden.

Gerade Joseph Goebbels war bestrebt, den besten Weg zwischen weitreichender Kontrolle und dem Anschein individueller Freiheiten zu finden. So hielt er am 8. Mai in Berlin eine Rede über „Staat und Presse“ und gab dabei zugleich einen Erlass „über die Handhabung der Pressepolitik“ bekannt, der eine Auflockerung der Berichterstattung in den deutschen Zeitungen ermöglichen sollte. Hierin wurde den Redaktionen immer dann eine eigenverantwortliche Berichterstattung über öffentliche Ereignisse zugestanden, wenn nicht „gewichtige Gründe“ eine andere Regelung erfordern würden. „Soweit es die Staatserfordernisse“ zuließen, sollte künftig von einer „Nachrichten- und Berichterstattersperre“ abgesehen und den Zeitungsmachern – natürlich innerhalb der durch das Schriftleitergesetz gesetzten Grenzen – ein möglichst großer Spielraum zugestanden werden. Insofern handelte es sich natürlich eher um eine – allerdings wohl publikumswirksame - Pseudo-Liberalisierung, denn alle einschränkenden Maßnahmen blieben seitens des NS-Regimes deutlich festgelegt.

Auch auf einem weiteren kulturellen Gebiet weitete Goebbels seinen Einfluss aus: Am 15. Mai wurde das „Theatergesetz“ verabschiedet und damit eine grundsätzliche Veränderung der Stellung der deutschen Theater eingeleitet, die nunmehr sämtlich dem Propagandaministerium unterstellt waren. Die Häuser waren nun nicht mehr als Erwerbsunternehmungen definiert, sondern hatten die „nationale Erziehung und Führung des Volkes“ zum Ziel, weshalb sie „mit ungeheurer Gewalt“ auf die „Seele der Nation“ einzuwirken hatten. Jeder Theaterbesitzer oder –veranstalter musste künftig eine Lizenz beantragen, die ihm jederzeit wieder entzogen werden kann. Ähnliches galt für alle an Theatern Beschäftigte.

Auf kirchenpolitischem Gebiet waren zwei wichtige Ereignisse zu verzeichnen: Am 21. Mai konstituierte sich in Schwarzfeld im Harz die vom Tübinger Religionswissenschaftler Jakob Wilhelm Hauer geführte „Deutsche Glaubensbewegung“. Deren Ziel war es, einen „deutschen“ und „arteigenen“ Glauben durchzusetzen, weil nach Hauers Überzeugung jedes Volk aufgrund seines „Blutes“ seinen jeweils ihm gemäßen Glauben habe. Hierdurch war die Existenz jeder universellen Religion natürlich grundsätzlich ausgeschlossen. „Deutscher Glaube“, so postulierte Hauer, habe nur in vorchristlicher germanischer Zeit in „reiner“ Form existiert.

Eine bedeutsame Entwicklung gab es in der evangelischen Kirche, indem sich im Rahmen der am 29. Mai beginnenden dreitägigen Bekenntnissynode in Wuppertal-Barmen die aus dem Pfarrernotbund hervorgehende „Bekennende Kirche“ konstituierte. Sie trat vehement und offen der NS-orientierten Haltung der Deutschen Evangelischen Kirche und der von dieser unterstützten Deutschen Christen entgegen. Aus diesem Anlass wurde die „Barmer Theologische Erklärung“ verabschiedet, die sich zur Ausschließlichkeit der Christus-Offenbarung und -Herrschaft bekannte und daher jeglichen staatlichen Totalitätsanspruch gegenüber der Kirche verneinte. Vervielfältigungen dieser Erklärung wurden im gesamten Reichsgebiet verbreitet, wobei die Gestapo alles tat, um sie umgehend zu beschlagnahmen. Hierzu führte sie bei Angehörigen der Bekennenden Kirche Hausdurchsuchungen durch, in deren Rahmen es auch zu willkürlichen Verhaftungen kam. Gegen die Bekennende Kirche gerichtete Flugblätter der Deutschen Christen blieben hingegen unbehelligt.

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Am 7. Mai wies Friedrich Syrup, Präsident des Reichsamts für Arbeitsvermittlung, die zuständigen Stellen an, „Personen nichtarischer Abstammung“ nicht mehr zur Landhilfe zuzulassen, die jüdischen Jugendlichen damit verschlossen blieb. Drei Tage später ordnete die die Landesbauernschaft Thüringen an, dass jüdische Jugendliche generell nicht mehr auf landwirtschaftlichen Gütern beschäftigt werden dürften. Ähnliche Verbote wurden auch in anderen Ländern des Reichs verhängt.

Als Propagandaminister Joseph Goebbels am 11. Mai mit einer Rede im Berliner Sportpalast die reichsweit angelegte „Aktion gegen Miesmacher und Kritikaster“ startete, die sich aus Sicht des NS-Regimes „gegen Gerüchtemacher und Nichtskönner, gegen Saboteure und Hetzer“ richten sollte, stand auch die jüdische Bevölkerung im Fokus seiner Tiraden. Der in einem Teil des Auslandes noch bestehende verdeckte Boykott deutscher Waren, so behauptete er, sei auf Veranlassung der deutschen Juden zurückzuführen. Die „Auslandsjuden“, da gab Goebbels sich sicher, hätten ihren „deutschen Glaubensgenossen“ einen schlechten Dienst erwiesen; denn selbst wenn der Boykott zu einer ernstlichen Bedrohung würde, blieben die innerdeutschen Restriktionen in Kraft. Goebbels warnte die jüdische Bevölkerung ausdrücklich davor, wieder auf Theaterbühnen und in Redaktionen von Zeitungen und Zeitschriften zu erscheinen oder über den Kurfürstendamm zu flanieren, als ob nichts geschehen sei. Juden hätten sich wie Gäste in Deutschland aufzuführen. Nur wenn sie sich „still und bescheiden zurückziehen und keinen Anspruch auf Voll- und Gleichwertigkeit erheben“, könnten sie darauf hoffen, künftig „in Ruhe gelassen“ zu werden.

Zum 17. Mai verloren jüdische Ärzte oder Ärzte mit jüdischen Ehepartnern ihre Zulassung zu den Krankenkassen. Der Reichsarbeitsminister hatte angeordnet, dass bei den Krankenkassen zugelassene Ärzte im Arztregister eingetragen sein müssten, wofür sie mit Urkunden sowohl ihre als auch die „arische Abstammung“ ihrer Ehepartner nachweisen mussten. Anderenfalls erlosch die Zulassung als Kassenarzt - selbst wenn die Betroffenen Teilnehmer des Ersten Weltkriegs gewesen waren.

Nachdem das NS-Regime am 18. Mai 1934 mit dem „Gesetz über die Reichsfluchtsteuer“ deren Freigrenze für Vermögen von 200.000 RM auf 50.000 RM und für Einkommen von 20.000 RM auf 10.000 RM herabgesetzt und die Bemessungsgrundlagen für das steuerrelevante Vermögen verschärft hatte, intensivierten die Finanzbehörden umgehend die Überwachung der neuen Vorgaben. Die Reichsfluchtsteuer, die ein Viertel des zu versteuernden Vermögens betrug, mussten alle Personen entrichten, die am 31. März 1931 die deutsche Staatsangehörigkeit besessen hatten und die am 1. Januar 1931 oder zu irgendeinem Zeitpunkt danach die Steuerfreigrenze überschritten hatten. Damit veränderte sich auch die Intention der Reichsfluchtsteuer fundamental: Statt einer Eindämmung der Kapitalabwanderung aus dem Reichsgebiet verfolgte sie nun das Ziel, die jüdischen Auswanderer, deren Emigration zugleich politisch intensiv gefördert wurde, finanziell massiv auszubeuten.

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