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Chronik und Quellen
1933
September 1933

September 1933

Am 3. September endete der erste Reichsparteitag der NSDAP seit 1929, der ganz im Zeichen des Triumphs über sämtliche politische Gegner stand. 150.000 Amtswalter der NSDP, 120.000 SA-Mitglieder und 60.000 Angehörige der Hitlerjugend waren seit dem 30. August in Nürnberg vor ihrem „Führer“ aufmarschiert, wobei die Hauptereignisse nicht nur von der Presse dokumentiert, sondern auch über alle deutschen Rundfunkanstalten übertragen wurden. Die Auslandspresse ließ sich trotz allen Pomps und aller Inszenierungskünste nicht täuschen und empfand – wie etwa der „New York Herald Tribune“ - die in Nürnberg zum Ausdruck gekommene „fanatische Intoleranz“ als entmutigend.

Die von den Folgen der Wirtschaftskrise noch immer geschockte deutsche Bevölkerung beobachtete weiterhin und mit großer Zustimmung die Bemühungen, die das NS-Regime zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit unternahm. Am 21. September wurde – nach dem Vorläufer vom 1. Juni - das 2. Gesetz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit verkündet, wobei dieses Mal mit 500 Millionen RM allerdings nur Hälfte der Juni-Summe für Instandsetzungsarbeiten zur Verfügung gestellt wurden. Zugleich wurde eine Steuerbefreiung für Kleinwohnungen und Eigenheime verfügt.

Der „große Auftritt“ folgte zwei Tage später: Am 23. September gab Hitler bei Frankfurt am Main persönlich den Startschuss zum Bau der Reichsautobahn nach Heidelberg. Die Inszenierung war ein Musterbeispiel für erfolgreiche NS-Propaganda: Angeführt von einem Musikzug der SA marschierten am frühen Morgen 700 neu eingestellte Arbeiter vom Frankfurter Arbeitsamt zum Börsenplatz, wo die Bedeutung des Tages im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit in Ansprachen wortreich gewürdigt wurde. Anschließend begaben sich die Arbeiter zur Baustelle, wo kurze Zeit später auch Hitler und Goebbels eintrafen und ersterer den symbolischen ersten Spatenstich vollzog.

Auch im Bereich der Landwirtschaft brachte der September weitreichende Veränderungen. Am 13. September wurde per Gesetz der Reichsnährstand ins Leben gerufen und der Reichsernährungsminister zugleich ermächtigt, künftig aus alleiniger Machtvollkommenheit Preise und Absatzmengen festzulegen. Im Reichsnährstand selbst waren künftig alle selbstständig und unselbständig in der Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau, Fischerei und Jagd Beschäftigten organisiert, wodurch ihm das Alleinvertretungsrecht für rund 16 Millionen Mitglieder zukam. Sämtliche Entscheidungsbefugnisse lagen dabei in der Hand von Ernährungsminister und Reichsbauernführer Walter Darré, dem durch diesen Akt 20 Landes-, 515 Kreis- und rund 55.000 Ortsbauernschaften unterstellt wurden.

Am 29. September folgte das Reichserbhofgesetz, das vorgab, „unter Sicherung alter deutscher Erbsitte das Bauerntum als Blutquelle des deutschen Volkes erhalten“ zu wollen. Als Erbhof galt fortan jeder landwirtschaftliche Betrieb zwischen 7,5 und 125 Hektar, der im Besitz einer „bauernfähigen“, sprich deutschen und „arischen“ Person war. Ein Erbhof durfte nun nicht mehr durch Erbe geteilt werden, war unveräußerlich und durfte auch nicht mit Darlehen belastet werden. Zugleich wurden diese Betriebe mit Inkrafttreten des Gesetzes entschuldet, womit die Höfe einerseits gesichert waren, andererseits aber – etwa bei Ertragseinbußen – nicht mehr aufgegeben und verlassen werden durften. Allerdings fielen lediglich 54 Prozent der gesamten Nutzfläche im Reichsgebiet unter die neuen Bestimmungen, während die Mehrzahl der deutschen Bauernhöfe eine Betriebsfläche von weniger als 5 Hektar aufwies.

Die beiden großen deutschen Kirchen und die ihr nahestehenden Organisationen suchten nach wie vor ihren endgültigen Standpunkt gegenüber dem NS-Regime. Am 18. September erklärte etwa die Führung der Deutschen Kolpingfamilie offiziell ihre Bereitschaft, sich in „Volk und Staat in verantwortungsbewusster Mitarbeit“ unter Führung des „Volkskanzlers“ Hitler einzugliedern, während in der evangelischen Kirche die Zeichen auf Konflikt und Trennung standen. Am 21. September bildete sich in Berlin auf Initiative von Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer der „Pfarrernotbund“, der von einem achtköpfigen Bruderrat geleitet wurde und innerhalb kurzer Zeit bereits 1.300 Mitglieder zählt. Der Bund stellte ein starkes Gegengewicht zu den bis dahin dominierenden rechtsgerichteten Deutschen Christen dar und protestierte gegen die Entlassung "nicht-arischer" und als politisch unzuverlässig geltender Priester. Sechs Tage später wurde dann am 27. September von der in Wittenberg versammelten ersten deutschen Nationalsynode allerdings mit Ludwig Müller der Repräsentant der Deutschen Christen und Hitler-Vertraute zum ersten evangelischen Reichsbischof gewählt.

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Die Repräsentanten der evangelischen Kirche bezogen im Laufe des Monats sehr unterschiedliche Stellungen zur Behandlung der jüdischen Bevölkerung. Am 6. September nahm die Generalsynode der evangelischen Landeskirche der Altpreußischen Union den „Arierparagrafen“ an. Nunmehr durften keine „Nichtarier“ mehr als Geistliche und Beamte der kirchlichen Verwaltung berufen werden. Das Verbot erstreckte sich auch auf Ehemänner jüdischer Frauen. Eine konträre Stellung nahm dagegen der am 11. September 1933 ins Leben gerufenen oppositionelle „'Pfarrernotbundes'“ der evangelischen Kirche, aus dem sich die Bekennende Kirche entwickeln sollte, ein. Dessen Gründer artikulierten am 21. September ihren Protest gegen die „Anwendung des Arierparagraphen im Raum der Kirche Christi“.

Rassenideologie und Antisemitismus wurden auch immer stärker und nunmehr systematisch in Schule und Erziehung etabliert. So wurden „Vererbungslehre“ und „Rassenkunde“ am 13. September zum verpflichtenden Lehr und Prüfungsfach für alle Schüler*innen erklärt.

Am 22. September wurde mittels des „Reichkulturkammergesetzes“ als Bedingung für eine Betätigung in einem der Kulturzweige die Zugehörigkeit in der jeweiligen, durch das Gesetz geschaffenen Kammer definiert. Da Juden aber von einer Mitgliedschaft darin ausgeschlossen waren, konnten sie künftig nur noch im Rahmen des „Kulturbundes der deutschen Juden“ kulturell tätig werden.

Am 17. September gab es mit der Gründung der „Reichsvertretung der deutschen Juden“ eine weitere Änderung in der Organisation der jüdischen Selbstverwaltung. Es handelte sich um eine föderative Zentralorganisation aller jüdischen Gemeinden, Gemeindeverbände sowie politischer und religiöser Organisationen, die im Wesentlichen von den gleichen Gruppen getragen wurde, die auch schon im Zentralausschuss vertreten gewesen waren. Geschäftsführender Vorsitzender wurde Otto Hirsch vom Centralverein. Der Vorstand setzte sich aus den Vertretern der jüdischen Verbände zusammen: drei Zionisten (von denen einer die religiöse Richtung vertrat); ein weiterer CV-Vertreter; einer für den Reichsbund jüdischer Frontsoldaten und zwei für die Vereinigung für das religiös-liberale Judentum. Die jüdischen Gemeinden und Landesverbände waren mit Sitz und Stimme im Beirat, dem parlamentarischen Gremium, vertreten.

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