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Chronik und Quellen
1936
Januar 1936

Die Gestapo Aachen berichtet

Die Gestapo Aachen berichtete über den Monat Januar 1936:

„Besondere Ausschreitungen gegen Juden, die den Charakter von Einzelaktionen trugen, haben sich im verflossenen Monat nicht ereignet.“

„Maßnahmen gegen Juden, die den Charakter verbotener Einzelaktionen tragen, haben sich im Berichtmonat nicht ereignet. Nur in Düren (Bez. Aachen) wurden an fünf bis sechs jüdischen Geschäftshäusern die Schaufenster mit brauner Ölfarbe beschmiert und z.T. mit der Aufschrift „Jude, hier nicht kaufen“ versehen.

Im vergangenen Monat ist die Vereinstätigkeit der Juden etwas reger geworden. Dies machte sich auch bei den sportlichen Veranstaltungen bemerkbar.

In Aachen fand eine Eröffnungsversammlung des neugegründeten „Klubs der jüdischen Jugend zu Aachen“ statt, die von etwa 80 Juden besucht war. Der Rabbiner Dr. Schönberger sprach über die Aufgaben und den Zweck des neugegründeten Vereins und betonte, daß neben der Geselligkeit auch die jüdische Problematik betrieben und die jüdische Jugend zur Gemeinschaft angehalten werden solle. Es sei beabsichtigt, jüdische Dichterinnen und Dichter für bestimmte Abende zu verpflichten, um auf diesem Weg gemeinsam Literatur- und Kulturarbeit zu pflegen, Anregungen zu geben und jüdisches Gedankengut zu vertiefen.

In der darauffolgenden Ansprache ergriff u.a. eine Jüdin das Wort und erklärte, daß es doch für einen Jugendverein zweckmäßiger erscheine, weniger Wert auf geistige und kulturelle Arbeit als vielmehr auf „Betrieb“ zu legen, z.B. Geselligkeit, Unterhaltung, Musik, Gesellschaftsspiele usw. Diese Erklärung fand bei dem größten Teil der Anwesenden lebhaften Anklang.

In Aachen fand ferner eine Versammlung der Zionistischen Ortsgruppe Aachen statt, an der ungefähr 60 Personen teilnahmen. Der Redner des Abends, ein Dr. Wassermann, sprach über die wirtschaftlichen Verhältnisse in Palästina und bemerkte, daß in Palästina die jüdische Einwanderung erheblich zugenommen habe. Es bestehe aber heute noch genügend Möglichkeit, auch weiteren Einwanderern eine Lebensexistenz zu geben. Soweit der Jude dafür geeignet sei, müsse er Bauer werden, um die Ernährungsfrage des Judentums in Palästina sicher zu stellen. Wer von den Juden den Zionismus bejahe, bejahe damit auch gleichzeitig Palästina.

In seinen Schlußworten gab der Redner der Hoffnung Ausdruck, daß der Zionismus dazu beitragen möge, die Judenfrage zu lösen.

Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten hielt im hiesigen Jugendheim eine Mitgliederversammlung ab, die von 36 Personen besucht war. Nach einer Gefallenenehrung sprach das Mitglied der Bundesleitung, Dr. Dienemann, über die Arbeit der Bundesleitung des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten und warnte eindringlichst vor unüberlegter Auswanderung. Weiter kam er auf die Nürnberger Gesetze zu sprechen und betonte dabei, daß die Juden durch diese Gesetze geschützt seien.

In den nachstehenden Fällen mußte gegen Juden eingeschritten werden.

Wegen Rassenschande mußte der jüdische Kaufmann Emil Levy aus Haaren b/Aachen festgenommen werden. Levy hatte seit einiger Zeit mit einer Frau Olefs, die früher in Opladen, Cäcilienstraße 10, wohnte und jetzt nach Köln verzogen ist, in engeren Beziehungen gestanden. Beide wurden in der Nacht vom 30. zum 31.12.35 beobachtet, wie sie ein Haus (Absteigequartier) aufsuchten. Sie geben den Geschlechtsverkehr zu. L. wurde dem Richter vorgeführt, der Haftbefehl erließ.

Festgenommen wurde der jüdische staatenlose Reisende Jakob Gehlkopf, geb. 29.9.1900, Now Radomsk, wohnhaft Elberfeld, wegen versuchten unerlaubten Grenzübertritts. G. war nicht im Besitze gültiger Ausweispapiere.

Der jüdische Viehhändler Otto Löwenthal, geb. am 17.7.1885 zu Linnich, Bez. Jülich, dortselbst wohnhaft, wurde vom Schöffengericht Aachen wegen Beleidigung zu 5 Monaten Gefängnis verurteilt, weil er zu einem Ortsbauernführer, der kein Geschäft mit ihm tätigen wollte, etwa folgendes gesagt hat: „Solche Bettseicher gehören nicht auf solche Posten“ – gemeint war der Kreisbauernführer Birken – „Die anständigen Leute hat man von den Posten entfernt.“

In zwei Fällen wurde in ausländischen Zeitungen festgestellt, daß im Inland wohnhafte Juden weibliche Hausgehilfinnen suchten. Bei diesen Offerten dürfte es sich offenbar um eine Umgehung des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre handeln. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.

In mehreren Fällen mußten von Juden und Frauenspersonen, die mit Juden verkehrten, die Pässe bezw. die Grenzausweise eingezogen werden, da der Verdacht bestand, daß sie den vorübergehenden Aufenthalt im Ausland dazu benutzen würden, um den Geschlechtsverkehr auszuüben.

Vor der Aachener großen Strafkammer wurde der jüdische Viehhändler Julius Frohwein aus Kommern zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt, weil er ein in älteren Jahren stehendes Bauernmädchen aus Eicks tätlich beleidigt hatte. Auf meinen Tagesbericht vom 22.9.1935 nehme ich Bezug.

Der frühere Vorsitzende des Aachener Blindenvereins, Wilhelm Billen, aus Aachen, Judengasse 7, hatte an verschiedene Firmen Bittschreiben versandt, um Weihnachtsunterstützung zu erlangen. Wegen dieses Verstoßes gegen das Sammlungsgesetz hat sich Billen vor Gericht zu verantworten.

Die Ehefrau Heinrich Hürtgen aus Breinig, Gemeinde Cornelimünster, und die Ehefrau Julius Jupe, Eschweiler, Pumpe 79 f, hatten als Mitglieder der Sekte der Siebentags-Adventisten Haussammlungen vorgenommen, die über die ihnen vom Reichs- und Preußischen Minister des Innern erteilte Genehmigung hinausgingen. Das Verfahren wurde eingeleitet.

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