Die Gestapo Aachen berichtet
Die Gestapo Aachen berichtete über den Monat Juli 1935:
„Der Reichbund jüdischer Frontsoldaten und der Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens sind im Berichtsmonat nicht in Erscheinung getreten. Die zionistische Ortsgruppe hatte am Sonntag, den 14.7.1935, ihre Rassegenossen aus dem ganzen Regierungsbezirk zur Teilnahme des Films „Erez Israel“ eingeladen. Ungefähr 550 Juden haben der Vorführung beigewohnt. Auffallend war dabei, dass der grösste Teil der Anwesenden sich aus Juden vorgeschrittenen Alters zusammensetzte, die nicht im Entferntesten eine Auswanderung nach Palästina anstrebten und nur aus Neugierde den .Film angesehen haben. Die jüdischen Jugendorganisationen der zionistischen Ortsgruppe waren dagegen nur spärlich vertreten. Der Film gab den Juden einen klaren Einblick über den Aufbau Palästinas in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht. Dabei wurden Bilder gezeigt, wie jüdische Jugend beiderlei Geschlechts körperlich schwere Arbeiten verrichtet, z.B. Strassenbau, Erbauung von Häusern, Fabriken, kultivieren verwüsteten Ödlandes usw. Dass derartige Bilder bei den deutschen Juden, deren Mehrzahl solche Handarbeit nicht kennt, keine Begeisterung hervorrufen, ist begreiflich. Demgegenüber haben Bilder, die das Strand- und Badeleben zeigten, ferner Vorbereitungen für den Sabbat, Handel und Wandel in den Städten, allgemeinen und grossen Beifall gefunden. Meines Erachtens sind derartige Filme kaum ein geeignetes Propagandamittel für eine Auswanderung der Juden; der in der letzten Zeit bei der jüdischen Jugend noch vorhandene Auswanderungsdrang hat leider abgenommen, was zum Teil auf finanzielle Schwierigkeiten zurückzuführen ist. Bemerkenswert ist, dass die zionistischen Jugendorganisationen in Aachen insgesamt nur 25 Mitglieder haben. Ihnen gegenüber steht die erst kürzlich ins Leben gerufene Gruppe des Bundes deutsch-jüdischer Jugend mit 80 Mitgliedern. Es wird damit zu rechnen sein, dass die Jugendorganisation der Assimilanten in absehbarer Zeit ihre Mitgliederzahl auf Kosten der Zionisten erhöht, und auch noch die wenigen, die sich ernstlich mit dem Gedanken der Auswanderung befassen, zu sich herüberzieht. Auf meinen Lagebericht vom Monat Juni 1935 nehme ich Bezug.
In kultureller Hinsicht ist es nach wie vor der Kulturbund „Rhein-Ruhr“, der seine monatliche Konzertveranstaltungen regelmässig durchführt. Die Veranstaltungen, die sich von jeglicher politischer Tendenz freihalten, sind stets sehr stark besucht.
In der Kaiserallee in Aachen wurde an einem Baum ein Schild vorgefunden, das mit den Worten: „Juden betreten die Allee auf eigene Gefahr“ beschriftet war. Das Schild wurde entfernt. Auch die bekannten Klebezettel „Kauft nicht bei Juden“, „Der Jude ist unser Unglück“ sind wieder aufgetaucht. Im Landgebiet haben Angehörige der Hitler-Jugend an gewissen Tagen Aufzeichnungen darüber gemacht, wer in jüdischen Geschäften, insbesondere in Metzgereien, kaufte, oder sich von diesen Geschäften Ware ins Haus bringen liess. Verschiedentlich sind auch Anschläge gesehen worden, auf denen einige Namen deutscher Käufer standen, jedoch ohne irgendwelche Unterschriften oder Herkunftsangabe. In Kall wurde am Aushang der Partei ein Zettel angebracht, der 30 Namen von Personen, die in jüdischen Geschäften gekauft haben, enthielt. Unter dem Aushang stand „NSDAP Ortsgruppe Kall, Der Ortsgruppenleiter.“ Die Unterschrift fehlte. An einigen Stellen wurden Personen, die in jüdischen Geschäften eingekauft hatten, auf der Strasse fotografiert und ihre Bilder in die Öffentlichkeit gebracht. Sonstige Ausschreitungen und Tätlichkeiten gegen Juden, wie sie noch im Vorberichtsmonat zu verzeichnen waren, sind nicht vorgekommen.
Der Jude Hertz aus Jülich, der früher der KPD angehört hatte, wurde festgenommen und dem Richter vorgeführt. H. hat nach der Machtübernahme längere Zeit in Schutzhaft gesessen. Seine Vorführung erfolgte, weil er zu früheren Gesinnungsgenossen folgendes gesagt habe: „Wenn die politische Macht jetzt anderen übertragen wird, so werde ich durch meine Leute die ganzen Nazis zusammenholen lassen, werde mich auf einen Stuhl setzen und sie einzeln niederschiessen. Den Landrat, Freiherr von Mylius, werde ich in Stücke zerreissen lassen.“ H. wurde in Haft genommen.
In Steinstrass, Kr. Jülich, wurde der Jude Alex Süsskind zur Sicherheit seiner eigenen Person vorübergehend in Polizeihaft genommen. S. ist am Tage seiner Musterung mit früheren Schulkameraden durch den Ort gezogen und hat durch lautes Krakelen die Aufmerksamkeit der Dorfbewohner auf sich gezogen, sodass letztere gegen ihn tätlich werden wollte. Sein Benehmen war aufreizend und höchst ungebührlich. S. wurde bei der Musterung zur Ers.Res. 2 gezogen.
Desgleichen wurde der Jude Franz Kaufmann aus Ramscheid, Kr. Schleiden, zum Schutze seiner eigenen Person vorübergehend in Schutzhaft genommen, weil er durch sein unmoralisches Verhalten die Empörung der gesamten Bevölkerung hervorrief. Kaufmann unterhielt seit längerer Zeit mit einem arischen Mädchen namens Frauenkron aus Ramscheid ein Liebesverhältnis. Als die Frauenkron am 23.7.35 ein Kind geboren hatte, stieg die Empörung der Bevölkerung derart, dass sie zur Selbsthilfe greifen und den Juden strafen wollte.“