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Chronik und Quellen
1935
Juni 1935

Die Gestapo Aachen berichtet

Die Gestapo Aachen berichtete über den Monat Juni 1935:

„Die rege Versammlungstätigkeit der Juden hält nach wie vor an. In der Hauptsache handelt es sich dabei um Versammlungen und Zusammenkünfte jüdischer Jugendorganisationen, die stets überwacht worden sind.

Die zionistische Ortsgruppe Aachen sollte am Sonntag, dem 23.6.35, einen Film betitelt „Land der Verheissung“ in einem hiesigen Kinotheater ihren Mitgliedern vorführen. Von Seiten der hiesigen Kinobesitzer wurde aber die Bereitstellung eines Theaters abgelehnt. Die hiesige Stadtverwaltung hat daraufhin einen Saal im alten Kurhaus den Juden zur Vorführung gestellt. Die Vorführung sollte am 27.6.35 stattfinden. Aus dem ganzen Bereich der Staatspolizeistelle Aachen waren die jüdischen Versammlungsteilnehmer – ungefähr 400 Juden – erschienen. Die Vorführung des Filmes konnte jedoch wiederum nicht stattfinden, und zwar deshalb, weil das aus Düsseldorf gelieferte Filmgerät nur auf Wechselstrom arbeitet, während im Kurhaus nur Gleichstrom gebrannt wird. Die Nichtvorführung des Filmes ist lediglich auf einen Schabernack von Seiten eines Angestellten des Kurhauses zurückzuführen, der auf fernmündliche Anfrage des Vorstandes der zionistischen Ortsgruppe die Erklärung abgab, dass im Kurhaus Wechselstrom gebrannt werde.

In meinem Schreiben vom 25.6.35 habe ich bereits über die Gründung einer Ortsgruppe des Bundes deutsch-jüdischer Jugend berichtet. Hierzu bemerke ich, dass die Mehrzahl der jüdischen Jugend von Aachen der Ortsgruppe beigetreten ist. Auch ein Teil der zionistischen Jugend ist zu der Ortsgruppe übergetreten. Die Tatsache, dass der Bund ideelle Verbindungen zum Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und zum Reichsbund jüdischer Frontsoldaten hat, lässt ohne weiteres erkennen, dass dieser Bund nur entstanden ist, um in versteckter Form Propaganda für ein Verbleiben in Deutschland zu machen. Es findet schärfste Überwachung statt.

Die Zielsetzung des Bundes ist

1.) Zusammenschluss junger in Deutschland lebender Juden.
2.) Die Pflege des ihnen angeblich durch Überlieferung, Elternhaus und Schule vertrauten deutschen Kulturgutes.

Auch hieraus ist zu ersehen, dass der Bund nicht im entferntesten daran denkt, seine Mitglieder für eine Auswanderung zu gewinnen und vorzubereiten.

Es geht m.E. nicht an, dass innerhalb der jüdischen Bevölkerung immer noch neue Verbände und Verbändchen gegründet werden, und meist nur solche, die den Zionisten in ihren Auswanderungsbestrebungen eine ernste Gefahr bedeuten.

Mit welcher Frechheit die Juden neuerdings wieder in Erscheinung treten, zeigt der Vorfall, der sich zu Pfingsten 1935 in Simonskall, Kr. Monschau, abgespielt hat und über den ich bereits in meiner Tagesmeldung vom 12.6.35, Nr. 7 berichtet habe. Dort hatten ungefähr 100 Jugendliche beiderlei Geschlechts aus jüdischen Jugendorganisationen ein Zeltlager bezogen. Gegen sämtliche Beteiligte habe ich, soweit sie nicht strafunmündig sind, Zwangsgelder festgesetzt. Im Laufe der weiteren Ermittlungen in dieser Sache wurde festgestellt, dass innerhalb der jüdischen Jugendorganisation „Wehrleute, Bund jüdischer Jugend“ die führenden Männer sich die Bezeichnung „Gauleiter“, „Kreisleiter“ und „Ortsgruppenleiter“ zugelegt haben.

Dieserhalb habe ich bereits der Staatspolizeistelle in Köln, in dessen Bereich sich die Führung der genannten jüdischen Jugendorganisation befindet, Kenntnis gegeben und verweise zugleich auf meinen am 24.6.35 nach dort übersandten Bericht.

Boykottmassnahmen und Ausschreitungen gegen Juden blieben auch in diesem Monat nicht aus. So wurde beispielsweise in Baesweiler von SA-Angehörigen nachts in ein jüdisches Geschäft geschossen. Die Täter wurden ermittelt und ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet.

In Jülich wurden mehrere Personen, die in einem jüdischen Geschäft gekauft hatten, fotografiert und ihre Bilder im dortigen Kopfblatt des „Westdeutschen Beobachters“ veröffentlicht.

In einem Dorfe wurden Kinder vor ein jüdisches Geschäftslokal gestellt, die alle Käufer aufschrieben; die Namen dieser Käufer wurden dann in einer Liste am Anschlagbrett der Partei bekanntgegeben. Diese Liste hat der Ortsgruppenleiter nicht unterzeichnen wollen. Die Angelegenheit, die noch untersucht wird, erweckt den Anschein, als ob hierbei weniger nationalsozialistische Gesinnung als Konkurrenzneid die Hauptrolle gespielt hat.

Im übrigen hat die antisemitische Propaganda etwas nachgelassen. Die bekannten Klebezettel: „Juda verrecke“, „Freiheit für Thälmann“, die in den letzten Monaten sehr oft auftauchten, wurden im Juni nicht mehr festgestellt. Der grösste Teil der Transparente mit jüdischen Anschriften ist verschwunden. Die Anweisung des Gauleiters an die P.O., alle ungesetzlichen Massnahmen und Handlungen gegen jüdische Geschäfte und jüdische Personen zu unterlassen, haben ihre Wirkung im wesentlichen nicht verfehlt. Es sind z.Zt. Bestrebungen im Gange, einen Viehmarkt zu organisieren, zu dem jüdische Viehhändler keinen Zutritt haben. Genaueres Material liegt darüber noch nicht vor.“

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