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Chronik und Quellen
1942
März 1942

März 1942

Der Einfluss des erst im Februar berufenen Arthur Harris als Leiter des britischen „Bomber Command“ machte sich in Deutschland schnell bemerkbar. Nachdem in der Nacht zum 26. März 1942 britische Flugzeuge 300 t Bomben auf die Ruhrgebietsstadt Essen abgeworfen hatten, folgte drei Tage später das erste Flächenbombardement der Royal Air Force auf eine deutsche Großstadt, bei dem am 28. März die Innenstadt von Lübeck fast vollständig zerstört wurde. Bei diesem Angriff erprobten die Briten erstmals die von Harris eingeführte neue Taktik des Flächenbombardements, um so die Zivilbevölkerung zu demoralisieren. Die völlig überraschte deutsche Luftabwehr zeigte sich machtlos. Die Zahl der Toten, die sich auf 320 belief, wurde mit lediglich 50 angegeben und in der Presse verharmlosend von „stärkeren Verlusten“ gesprochen. Dennoch blieben, wie der Sicherheitsdienst der SS am 2. April mit Blick auf die Lübecker Ereignisse berichten sollte, psychische Folgen nicht aus: „Mit großer Besorgnis sieht die Bevölkerung in fast allen Teilen des Reiches dem kommenden Sommer entgegen, da man annimmt, dass dieser Angriff auf Lübeck nur der Anfang von weiteren planmäßigen Bombardierungen anderer Reichsstädte sei.“ Das sah Hitler offenbar ähnlich und übertrug Joseph Goebbels am 30. März die zentrale Koordinierung aller Hilfsmaßnahmen bei künftigen alliierten Luftbombardements.

Auch sonst sich die Bevölkerung im März mit neuen Belastungen konfrontiert. Am 7. März ordnete Hermann Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan die Zwangsverpflichtung zusätzlicher Arbeitskräfte für den Einsatz in der Landwirtschaft an. Von nun an konnten alle Personen aus ländlichen Gebieten, denen „nach Alter, Familienstand und Gesundheitszustand“ sowie ihrem „Pflichtenkreis“ solche Arbeiten zuzumuten waren, zu einer Tätigkeit in der Landwirtschaft zwangsverpflichtet werden. Davon waren in erster Linie Jugendliche, Frauen und ältere Menschen betroffen, die als Erntehelfer herangezogen werden konnten. Im Laufe des Jahres 1942 sollten das rund 800.000 sein. In der Bevölkerung stieß insbesondere die Rekrutierung von über 55 Jahre alten Frauen und von Schwangeren auf Kritik. Stattdessen wurde die Verpflichtung von Frauen „aus besseren Kreisen“ gefordert. Regimegegner versuchten solche Missstimmungen auszunutzen. So kursierten im März in Gelsenkirchen und anderen Städten des rheinisch-westfälischen Industriegebiets Kettenbriefe mit Aufforderungen zur Verlangsamung der Arbeit.

Um die deutsche Reichsbahn für kriegswichtige Transporte freizuhalten, wurden Mitte März in der Presse zahlreiche Aufrufe veröffentlicht, private Osterreisen zu unterlassen. Offenbar hatte das NS-Regime selbst wenig Vertrauen in die Wirksamkeit solcher Appelle, denn am 22. März drohte eine gemeinsame Verordnung von Propaganda- und Verkehrsministerium über drastische Einschränkung des Osterreiseverkehrs jenen Reisenden, die privat mit der Reichsbahn fahren sollten, schwere Strafen bis hin zur Einweisung in ein Konzentrationslager an.

Ohnehin arbeitete man regimeseitig weiter daran, die Sanktionsmöglichkeiten des Justizapparates auszubauen. Durch einen Führer-Erlass zur „Vereinfachung der Rechtspflege“ wurden die Verteidigungs- und Berufungsrechte von Angeklagten am 21. März noch weiter beschnitten und zugleich die Strafgewalt der Amtsrichter erweitert. Die konnten künftig aufgrund einer Anklageschrift unverzüglich die Hauptverhandlung anordnen, ohne dass den Angeklagten zuvor die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt wurde.

Es wurde damit begonnen, die Beschlüsse der „Wannsee-Konferenz“ vom 20. Januar in die Tat umzusetzen: Mit der Ankunft des ersten jüdischen Deportationszuges in Belzec begann am 17. März die unter dem Decknamen „Aktion Reinhard“ geplante Ermordung der Juden im polnischen Generalgouvernement. Mit Transporten aus der Slowakei begannen am 26. März die Deportationen von Juden in das Vernichtungslager Auschwitz; einen Tag später folgten erste Transporte aus dem besetzten Frankreich. Im Reichsgebiet wurde am 26. März eine Anordnung zur Kennzeichnung von jüdischen Wohnungen erlassen und die Diskriminierung der Juden für alle sichtbar fortgesetzt.

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Auch in diesem Monat gingen die Ausplünderungen, Ausgrenzungen und Demütigungen auf allen Ebenen weiter. Am 1. März wurde Alfred Rosenberg von Hitler - und im Einvernehmen mit dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht - damit beauftragt, Bibliotheken, Archive und sonstige kulturelle Einrichtungen von Juden, Freimaurern und weiteren „weltanschaulichen Gegnern'“ zu sichten und interessantes Material zu beschlagnahmen. Durch diese Maßnahme sollten paradoxerweise zahlreiche jüdische Archivalien und Kulturgüter erhalten bleiben.

Um ihnen eine eventuelle Tarnung zu erschweren wurden jüdische Wohnungsinhaber am 13. März dazu verpflichtet, die Eingänge zu ihren Privaträumen neben den üblichen Namensschildern künftig mit einem weißen Judenstern auf schwarzem Grund zu kennzeichnen. Zudem wurden selbst letzte Bewegungsmöglichkeiten - zumindest in Baden - Ende des Monats noch weiter eingeschränkt, als laut Anordnung der Gestapo Karlsruhe Angehörigen der jüdischen Bevölkerung „in Anbetracht der nahe bevorstehenden Abschiebung“ ab dem 27. März keine polizeiliche Erlaubnis zum Verlassen ihres Wohnorts mehr ausgestellt wurden. Zu welchen Schritten sich Vertreter des NS-Regimes bereitfanden, um den von Deportation und Ermordung bedrohten Jüdinnen und Juden auch noch die letzte und kleinste Freude zu nehmen, belegt die Anordnung, mit der ihnen am 16. März durch die Dresdener Gestapo der Kauf von Blumen verboten wurde.

Erst als deutlich wurde, dass der ungeheure Bedarf an Material und Ressourcen an der Ostfront in einigen Punkten ein Umdenken zumindest für einige Zeit sinnvoll erscheinen ließ, wurden einige Beschränkungen abgemildert. In diesem Zusammenhang ist auch ein Rundschreiben zu sehen, das Martin Bormann als Leiter der Parteikanzlei am 13. März auf Vorschlag von Rüstungsminister Albert Speer an die Parteidienststellen richtete. Darin hieß es u.a., dass Betriebsführern von Rüstungsbetrieben, die auch künftig noch Juden beschäftigen würden, daraus kein Vorwurf gemacht werden dürfe, sondern sie seitens der Gauleiter „gegen Angriffe und den Verdacht der Judenfreundlichkeit in Schutz zu nehmen“ seien. Einen Tag später teilte Bormann in einem weiteren Rundschreiben mit, dass „bei der augenblicklichen Lage“ nicht auf einen „Einsatz von Juden in der Rüstungswirtschaft“ verzichtet werden könne. Zugleich wies er alle Parteistellen werden an, in dieser Hinsicht keine Schwierigkeiten zu machen. Am 27. März wurde vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels schließlich verfügt, dass Jüdinnen und Juden, die in der Kriegsindustrie beschäftigt waren, vorläufig von Deportationen freigestellt seien.

Im März rückte ein weiterer Aspekt zunehmend in den Fokus. Nachdem der Reichsinnenminister bereits am 3. März verfügt hatte, „Gesuche jüdischer Mischlinge auf Erteilung der Genehmigung zur Eheschließung wird für die Dauer des Krieges“ einzustellen, befasste sich am 6. März eine als Fortführung der „Wannsee-Konferenz“ geplante interministerielle Sitzung, in deren Rahmen die Voraussetzungen für die praktische Durchführung der „Endlösung“ erörtert wurden, in erster Linie mit dem „Mischlingsprobleme“. Dabei wurde Einigkeit darüber erzielt, dass „eine zwangsmäßige Sterilisierung für sich allein weder das Mischlingsproblem lösen, noch zu einer verwaltungsmäßigen Entlastung führen werde, sondern eher die augenblickliche Lage noch erschweren würde“, weil diese Maßnahme etwa 700.000 Krankenhaustage blockieren würde. „Sollte Adolf Hitler dennoch auf einer allgemeinen Zwangssterilisierung der rund 70.000 jüdischen „Mischlinge“ bestehen, sollte vorgeschlagen werden, die gesamten Mischlinge ersten Grades in einer einzigen Stadt in Deutschland oder im Generalgouvernement zusammenzufassen und die Frage der Sterilisierung bis nach Kriegsende aufzuschieben. Ein Vertreter der Parteikanzlei drängte hingegen darauf, den größten Teil der „Halbjuden“ in die „Endlösungs“-Maßnahmen einzubeziehen. Dadurch würde „nur ein relativ kleiner Teil der Mischlinge im Reich verbleiben“, wodurch „jede weitere Verwaltungsarbeit in Zukunft entfallen“ könne.

Hinsichtlich des ebenfalls behandelten Themas der „Mischehen“ wurde festgelegt, dass die Gerichte solche Ehen künftig „auf Antrag des deutschbütigen Teiles oder des Staatsanwalts rassenmäßige Mischehen“ scheiden müssten.

Die Ermordung der jüdischen Bevölkerung Europas wurde im März mit zunehmender Intensität weiter vorangetrieben. Am 6. März kündigte Adolf Eichmann die nächsten Deportationen von rund 55.000 Juden aus dem Reichsgebiet und dem „Protektorat“ zum „Arbeitseinsatz“ in den Osten an. Zugleich wurde den Staatspolizeileitstellen angekündigt, dass sie die ihnen unbequemen älteren Jüdinnen und Juden schon bald „loswerden“ könnten. Dieser Personenkreis werde, um so nach außen das Gesicht zu wahren, ins „Altersgetto“ nach Theresienstadt deportiert.

Josef Goebbels war und blieb interessierter Beobachter dieser Entwicklungen. Er lese gerade, so notierte er am 7. März in sein Tagebuch, „eine ausführliche Denkschrift des SD und der Polizei über die Endlösung der Judenfrage“, aus der sich „eine Unmenge von neuen Gesichtspunkten“ ergebe. Die „Judenfrage“ müsse, darüber bestand für ihn keinerlei Zweifel, „im gesamteuropäischen Rahmen gelöst werden“. Hier gäbe es mehr als elf Millionen Jüdinnen und Juden müssten in einem ersten Schritt „im Osten konzentriert werden“, um sie nach Kriegs auf einer Insel wie Madagaskar unterzubringen. In diesem Punkt hinkte der Propagandaminister also deutlich hinter der Realität her, war sich aber mit vollem recht sicher, dass das NS-Regime „hier noch einiges zu tun bekommen“ würde und „im Rahmen der Lösung dieses Problems“ noch „eine ganze Menge von persönlichen Tragödien“ zu erwarten seien. „Aber das ist unvermeidlich jetzt. Jetzt ist die Situation reif, die Judenfrage einer endgültigen Lösung zuzuführen. Spätere Generationen werden nicht mehr die Tatkraft und auch nicht mehr die Wachheit des Instinkts besitzen. Darum tun wir gut daran, hier radikal und konsequent vorzugehen.“

Das wurde an verschiedenen Stellen des deutschen Einflussgebietes längst so gehandhabt. So sah sich Hans Biebow als Verwaltungsleiter des Gettos in Litzmannstadt gezwungen sich am 4. März in einem Bericht an die Gestapo gegen den Vorwurf zu wehren, die Bewohner des Ghettos würden zu gut ernährt. Die Rationen würden bereits seit einem Jahr unter den Sätzen für Strafgefangene liegen, wobei die auf dem Papier ausgewiesenen Sätze nicht einmal tatsächlich verausgabt würden und die Lebensmittel selbst minderwertig seien. „Den klarsten Beweis für die Ernährungslage legen die rapide ansteigenden Sterbeziffern ab“, verteidigte Biebow seine Politik gegenüber der Gestapo und führte als Beleg die 307 Toten an, die allein zwischen dem 22. und 26. Februar im Getto ums Leben gekommen und von denen mindestens 84 verhungert seien. „Es sind im Ghetto rund 53.000 Arbeiter eingesetzt, die im Wesentlichen im wehrwirtschaftlichen Interesse tätig sind. Jeder, der die Verhältnisse im Ghetto kennt, weiß, daß die Werktätigen buchstäblich an ihren Arbeitsplätzen wegen Entkräftung zusammenbrechen.“

Am 11. März begann eine neue Serie von Deportationen. Bis Mitte Juni fuhren seitdem im Abstand von wenigen Tagen mindestens 43 Züge mit jeweils etwa 1.000 Jüdinnen und Juden aus verschiedenen Städten des Reichsgebietes, aus Wien und dem „Protektorat“ in den Distrikt Lublin im „Generalgouvernement“.

Seit Anfang März 1942 war das Vernichtungslager Belzec funktionsfähig, in das zunächst der als nicht arbeitsfähig geltende Teil der jüdischen Bevölkerung aus dem „Generalgouvernement“ deportiert wurde. Während immer neue Transporte aus dem Westen im Distrikt eintrafen, ließ SS- und Polizeiführer Globocnik zwischen dem 16. März und 20. April das Getto von Lublin mit großem Polizeiaufgebot räumen. 30.000 seiner Insassen wurden nach Belzec deportiert und dort umgehend ermordet, zahlreiche weitere noch im Getto selbst erschossen.

Am 30. März 1942 traf der erste Zug mit 1.112 Juden französischer und anderer Nationalitäten in Auschwitz ein.

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