Januar 1936: Die Gestapo Köln berichtet für den Regierungsbezirk Köln
"Die Juden zeigen nach wie vor eine rege Versammlungstätigkeit.
Die Vereinigung jüdisches Lehrhaus in Köln hielt am 6. Januar 1936 eine Versammlung ab, in der als Redner Dr. Bamberger aus Berlin über das Thema: „Mendelsohns jüdische Leistung – Ihre Idee und ihr Schicksal“ sprach. Seine Ausführungen waren eine Verherrlichung des Philosophen Moses Mendelsohn, seiner jüdischen Leistungen und seines jüdischen Wortes. Im Laufe des Vortrages äußerte Dr. Bamberger u.a.: „Der alles zermalmende Kant mit seiner Philosophie, die noch nicht einmal seine eigene war, hat Mendelsohn viel von seinem allgemeinen Wert genommen.“
Am 15. Januar 1936 veranstalte die Synagogengemeinde in Köln einen Vortrag, in dem Dr. Kramer über das Thema: „Was muß man von der Auswanderung wissen“ referierte. Dr. Kramer unterschied zwischen Emigranten, die zu Beginn des nationalen Umbruchs in regelloser Flucht Deutschland verlassen hätten und die nicht die Absicht gehabt hätten, sich anzusiedeln und den Auswanderern, die planmäßig ein neues Leben aufbauen und siedeln wollen. Er erwähnte, daß es für die Juden heute nicht leicht sei, sich im Ausland eine Existenz zu schaffen, da die meisten Länder sich gegen eine Einwanderung sträubten. Frankreich habe damit angefangen, die Juden abzuschieben. Belgien gebe kaum eine Aufenthaltserlaubnis und für Holland stehe in allernächster Zeit eine Sperre für die Juden bevor. Zur Gründung von Unternehmungen biete Italien zwar etwas Aussicht, durch den Krieg sei aber die Lage dort noch ungeklärt. England nähme in der Hauptsache emigrierte Wissenschaftler und arbeitsschaffende Personen, aber keine arbeitssuchende auf. Besser seien die Verhältnisse noch in überseeischen Ländern. Brasilien vor allem beginne eine Industrie aufzubauen, weniger gut seien Argentinien und Paraguay. Auch Südafrika habe vor allem besonders litauische Juden aufgenommen. Diese Länder kämen aber alle nicht für eine Masseneinwanderung oder Emigration, sondern nur für Einzeleinwanderungen in Frage. Der Völkerbund habe für ein geeignetes Land zur Masseneinwanderung noch keine Lösung finden können. Für die Auswanderung kämen Leute bis zu 45 Jahren in Frage, da sich ältere Personen nur noch schwer umstellen und ein neues Leben aufbauen könnten. Bei den Auswanderern müsse eine geistige Umschulung stattfinden, so daß sie ihren neuen Beruf auch dann mit Freude ausfüllen würden, wenn sie selbst Gelegenheit hätten, in ihrem alten Beruf unterzukommen. Vor allem brauche man Siedler und auch Techniker. Daß in einem neubesiedelten Gebiet Rechtsanwälte und ähnliche Berufe kaum Aussicht auf Betätigung hätten, sei selbstverständlich. Der Wille zur Auswanderung sei bei den Juden vorhanden, das könne man z.B. am Saargebiet sehen, wo von 4300 Juden nur etwa 280 zurückgeblieben seien. Diese günstige Auswandererzahl sei auf die Möglichkeit der Vermögensliquidierung der Juden in diesem Gebiet zurückzuführen, denn ein großes Hindernis an der Auswanderung sei die Mitnahme des Vermögens, die bei der heutigen Devisenlage Deutschlands äußerst schwierig sei.
Es bestehe auch die Möglichkeit, Waren und Maschinen mit ins Ausland zwecks Gründung einer neuen Existenz zu verbringen. Hierbei sei aber Voraussetzung, daß diese Waren und Maschinen nicht zu Veräußerungszwecken mitgenommen werden könnten.
Die Einwanderungsverhältnisse in Palästina seien so, daß in etwa 2½ Jahren von 80.000 Gesamtauswanderern allein 30.000 nach Palästina ausgewandert seien. Hier sei man aber auch wieder in den alten Fehler verfallen, sich in den Städten zusammenzuballen, wodurch die Arbeitslosenziffer auf 3500 Personen angestiegen sei. Der Redner erläuterte die einzelnen Arten des Transfers, z.B. den Selbsttransfer und die Bestellung von Waren, Maschinen und Rohstoffen aus Deutschland zur Gründung einer neuen Existenz im Ausland, wobei er erwähnte, wie sinnlos ein jüdischer Boykott deutscher Waren im Ausland sei und wie sehr ein solcher die Auswanderungsmöglichkeiten hemme.
Hervorgehoben wurden schließlich noch die guten Umschulungsergebnisse der sogenannten Jugendallia, die die Kinder von 15-17 Jahren umfasse. Diese Jugendallia habe im Jahre 1935 allein 750 Kindern die Übersiedlung nach Palästina ermöglicht.
Am 21. Januar 1936 veranstaltete die Kölner Zionistische Vereinigung einen Vortrag, in dem Dr. Hans Friedenthal aus Berlin über das Thema: „Von Volk zu Volk, der Weg des Juden“ sprach. Der Redner sprach über die Wanderung und das Schicksal der Juden seit zwei Jahrtausenden. Er machte die Feststellung, daß die Juden ihr Schicksal selber verschuldeten. Er begründete dies damit, daß die Juden, wenn sie sich in irgendeinem Land niedergelassen, auch die Sitten und Gebräuche des Gastvolkes annehmen würden. Diesem Übelstande sei es allein zuzuschreiben, daß der Antisemitismus heute in der ganzen Welt solche Anhängerschaft gefunden habe. Der Hauptgrund der Entartung der Juden, so führte der Redner weiter aus, sei in der Sucht nach Reichtum und Glanz zu suchen. In Deutschland habe man durch Verkündung der Nürnberger Gesetze diesem Treiben ein Ende gesetzt. Die dadurch neu geschaffene Lage könne nur durch strenge Kritik, die das Judentum an sich selbst üben müsse, überstanden werden. Der Redner führte weiter aus, daß die Lage der Juden in andern Ländern auch sehr bedenklich sei. In Polen z.B. würden die Juden langsam aber sicher aus allen Stellungen gedrängt, die Folge davon sei, daß die Not der Juden ins unendliche wachse. Das Wachsen der antisemitischen Teile in der ganzen Welt müsse jedem Juden doch zu denken geben.
Es bestehe heute mehr denn je die Notwendigkeit des völkischen Zusammenschlusses der Juden. „Palästina“, der Ausgangspunkt aller Juden, müsse daher die Parole heißen.
Die weiteren Ausführungen des Redners gingen dahin, der Versammlung klar zu machen, welche Maßnahmen ergriffen werden müßten, um die Jugend für die Auswanderung nach Palästina reif zu machen. In Palästina brauche man Arbeiter und Bauern, denn die Einwanderer müßten schwer um ihre Existenz ringen.
Am Schlusse seiner Ausführungen forderte der Redner die Anwesenden auf, für den Zionismus unter den Juden zu werben und nicht eher zu ruhen, bis alle Juden in dem Zionismus vereinigt seien.
Beachtenswert ist, daß die Besucherzahl in den Versammlungen der Zionisten in letzter Zeit über 50% nachgelassen hat. Der Grund soll darin bestehen, daß die vermögenslosen Juden zur Einreise nach Palästina die geforderten 2000 £ nicht aufbringen können und deshalb an den Vorträgen kein Interesse mehr zeigen.
Der Verein selbständiger Handwerker jüdischen Glaubens e.V. in Köln hielt am 20.1.36 eine Versammlung ab, zu der etwa 40 Personen erschienen waren. Der Hauptpunkt der Tagesordnung war die Erstattung eines Berichts über die Berliner Tagung des Zentral-Verbandes jüdischer Handwerker Deutschlands, auf der hauptsächlich handwerkliche Fragen wie Lehrlingsausbildung, Richtlinien für Meisterprüfungen pp. behandelt wurden. In diesem Zusammenhang wurde erwähnt, daß man jetzt in Köln eine sogenannte Vorlehre eingerichtet habe, in der alle möglichen Leute als Lehrer für den handwerklichen Nachwuchs tätig seien, nur keine Handwerker, also keine Leute vom Fach. Bezüglich der Reklame wurde erwähnt, daß man sich bei der Reklame an alle wenden solle und nicht nur an die Glaubensgenossen. Letzteres Verfahren bedeute eine freiwillige Absonderung oder Ghettoisierung und sei Selbstnord. In den Inseraten im Gemeindeblatt pp. wolle man daher auch das Judenzeichen weglassen. Weiter wurde über die neuen rechtlichen Bestimmungen gesprochen, wie z.B. Arbeitsbuch, Handwerkerrolle, Meisterprüfung usw., diese Verordnungen wurden im Wortlaut verlesen und erläutert."