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Chronik und Quellen
1936
Januar 1936

Januar 1936

Das Jahr begann so unspektakulär wie bezeichnend: Am 7. Januar verbot das Reichspropagandaministerium allen Tageszeitungen die Veröffentlichung von Bildern mit Jagdveranstaltungen des preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring. Angesichts der andauernden spürbaren Lebensmittelknappheit sollte so die Entstehung des Eindrucks verhindert werden, als ob sich der Ministerpräsident privat vergnüge, statt seiner politischen Aufgaben nachzukommen, um so die Lage der Bevölkerung zu verbessern – ein Thema, zu dem er sich erst im Dezember des Vorjahres öffentlich geäußert hatte.

Am 17. Januar spielte Propagandaminister Goebbels auf dem Berliner Gautag die Versorgungsprobleme dann als belanglos herunter. Zugleich betonte er – wie bereits Göring vor ihm - unmissverständlich die eindeutige Priorität der Rohstoffeinfuhr für die Rüstungsproduktion gegenüber Lebensmittelimporten. Man könne, so argumentierte Goebbels, „zur Not auch einmal ohne Butter, nie aber ohne Kanonen auskommen“. In ähnliche Richtung zielte auch Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß, als er einen Tag zuvor am 16. Januar im Rahmen eines Generalappells des Nationalsozialistischen Kraftfahrerkorps (NSKK) alle autofahrenden NSDAP-Mitglieder aufforderte, die Höchstgeschwindigkeit zu reduzieren, da dann Treibstoff und Material im Wert von mehreren Millionen RM eingespart werden könne.

Reichsjuristenführer Hans Frank gab am 14. Januar die neuen Leitsätze für die deutsche Rechtsprechung bekannt. Danach sollte künftig die NS-Weltanschauung die verbindliche Grundlage bei der Auslegung aller Rechtsquellen darstellen. Im Kern wurden Richter damit über Gesetze und Verordnungen hinaus unmittelbar an Entscheidungen Hitlers gebunden, wobei auch klargestellt wurde, dass in der Zeit vor 1933 erlassene Gesetze nicht mehr anzuwenden waren, wenn sie dem „heutigen gesunden Volksempfinden“ widersprechen würden.

Weniger klar gestaltete sich nach wie vor das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen. Hanns Kerrl äußerte sich am 19. Januar als Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten in einem Zeitungsinterview zu seiner Sicht auf die Situation der Kirchen im Deutschen Reich. Er sprach dabei von einer „völligen Freiheit“ in der Religionsausübung – allerdings mit der weitreichenden und flexibel definierbaren Einschränkung, dass sich die Kirchen jeder politischen Äußerung zu enthalten hätten. Zugleich sah Kerrl es als Aufgabe des Staates an, „für Zucht und Ordnung“ im kirchlichen Leben zu sorgen.

Über andere Bevölkerungsgruppen wurde hingegen nicht diskutiert, sondern sie wurden als „Gemeinschaftsfremde“ rigoros aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen. So wurden am 12. Januar im gesamten Reichsgebiet Razzien in Sinti-Siedlungen durchgeführt und hierbei 16 Sinti wegen angeblicher Devisenvergehen verhaftet.

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Zum Jahresbeginn wurde das Referat „Judentum“ im Hauptamt des Sicherheitsdienstes der SS neu organisiert und aufgebaut. Eine Folge dieser Neugestaltung war die Etablierung einer systematischen und eingehenden Berichterstattung, die ihren Ausdruck in umfassenden „Lageberichten“ von der lokalen bis zur Reichsebene fand, in denen im Abschnitt „Juden“ stets auch Darstellungen des jüdischen Organisationswesens, der Stimmungslagen und Verhaltensweisen sowie Empfehlungen zur Judenpolitik enthalten waren.

Der Prozess der völligen Zurückdrängung aus der Öffentlichkeit wurde bis ins Detail fortgesetzt. Sa erging am 2. Januar das Verbot, Werbeplakate für das jüdische Winterhilfswerk in der Öffentlichkeit anzubringen. Das war künftig ausschließlich in Räumen der jüdischen Gemeinden oder in Synagogen erlaubt. Weitere Nadelstiche folgten. So war Jüdinnen und Juden auf Anordnung des Geheimen Staatspolizeiamtes ab dem 7. Januar das Tragen des Reichssport- und Reichssportjugendabzeichens untersagt.

Am 20. Januar verfügte der Reichskommissars für das Saarland, dass ab 1. März des Jahres die Bestimmungen der „Nürnberger Gesetze“ und alle übrigen Anordnungen, die die jüdische Bevölkerung im Reichsgebiet betrafen, auch auf die jüdischen Bewohner des Saargebiets Anwendung fanden.

Zugleich versuchte das NS-Regime - insbesondere im Rahmen der Olympischen Spiele nach außen hin einen offenen und liberalen Eindruck zu vermitteln. So verfügte der „Stellvertreter des Führers“ am 29. Januar zur Vermeidung eines schlechten Eindrucks bei ausländischen Besuchern, Schilder mit extremen antijüdischen Inhalten abzunehmen. Schilder wie „Juden sind hier unerwünscht“ waren von dieser Maßnahme hingegen nicht betroffen.

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