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Chronik und Quellen
1939
August 1939

August 1939

Im Laufe des Monats wurde der Weg in den Krieg außenpolitisch vorbereitet: Nachdem am 19. August ein deutsch-sowjetisches Handels- und Kreditabkommen unterzeichnet worden war, das der UdSSR einen Warenkredit in Höhe von 200 Millionen Reichsmark gewährte, folgte am 23. August in Moskau zur allgemeinen Überraschung der Abschluss eines deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts und eines – der Öffentlichkeit aber naturgemäß unbekannt bleibenden - Geheimprotokolls zur Aufteilung der Interessenssphären in Osteuropa. Damit hatte die NS-Regierung das diplomatische Wettrennen gegen Frankreich und Großbritannien doch noch gewonnen und das letzte Hindernis auf dem Weg in den Krieg beseitigt.

Sowohl die deutsche Bevölkerung als auch die Weltöffentlichkeit sahen sich durch das Abkommen, das Hitler einige Tage später als „Pakt mit dem Satan, um den Teufel auszutreiben“ bezeichnete, plötzlich mit der von oben diktierten Übereinstimmung zweier grundsätzlich gegensätzlicher Gesellschaftssysteme konfrontiert. Um die Irritationen schnellstmöglich zu zerstreuen, wurde die deutsche Presse angewiesen, den Nichtangriffspakt als „sensationellen Wendepunkt“ zu feiern. Was das bedeutete, war aufmerksamen Beobachtern umgehend klar. „Wir sind also überspielt worden“, notierte der französische Botschafter in Berlin, und fuhr fort: „Damit ist der letzte Faden, an dem der Friede noch hing, gerissen.“

Einige Verantwortliche versuchten noch zu retten, was nicht mehr zu retten war. Papst Pius XII. rief am 24. August im Rundfunk ebenso vergeblich zum Frieden auf wie US-Präsident Franklin Roosevelt. Der Weg in den Krieg aber war bereits deutlich vorgezeichnet: Am gleichen Tag zeigte die Deutsche Wochenschau emotional aufgeladene Bilder von Lagern für deutschen Flüchtlingen aus Polen, während am 25. August zunächst die für den 27. August angesetzte Tannenbergfeier, einen Tag später dann der für den 2. bis 11. September geplante „Reichsparteitag des Friedens“ abgesagt wurden.

Seit Anfang des Monats hatte sich der Konflikt um Danzig immer weiter zugespitzt. Das kam auch in einer gewandelten Pressepolitik zum Ausdruck. Nachdem das Propagandaministerium am 8. August die Presseweisung vom 26. Juli, wonach Meldungen über „polnische Gräuel gegenüber Volksdeutschen“ lediglich „auf der zweiten Seite zu bringen“ seien, nochmals erneuert hatte, wurde zwei Tage später angeordnet: „Verbürgte Gräuelmeldungen, wie sie vom DNB (Deutsches Nachrichtenbüro) kommen, müssen ab heute groß auf der ersten Seite erscheinen.“ Am 17. August wurde die Pressekampagne mittels der täglichen Pressekonferenzen im Propagandaministerium erneut verschärft, die sich gerade in solchen Augenblicken als wirkungsvolles und präzise einsetzbares Steuerungsinstrument der öffentlichen Meinung erwiesen. So hieß es an diesem Tag beispielsweise, dass bereits 76.000 „Volksdeutsche“ aus Polen geflohen seien.

Am 27. August wies das Reichspropagandaministerium die deutsche Presse an: „Aufmachung weiterhin Polen. In der Stärke keinesfalls nachlassen, es gibt genügend Meldungen über Kriegsvorbereitungen, Panikstimmung, kleinere Unruhen.“ Zwei Tage später hieß es dann: „Das Maß der Herausstellung der polnischen Terrormeldungen ist für das Ausland der Maßstab, an dem man die Festigkeit der deutschen Haltung misst.“ Daher war es in den Augen der NS-Propagandisten nunmehr „gleichgültig, was von diesen Meldungen geglaubt“ werde. Wichtig war ihnen hingegen, die Geschehnisse so darzustellen, als ob das Deutsche Reich und insbesondere Hitler bis zum letzten Augenblick alles getan hätten, um den Frieden zu bewahren.

Die deutsche Bevölkerung wurde auf den nahenden Krieg vorbereitet. Am 10. August zeigten die deutschen Kinos statt der üblichen Wochenschau den Dokumentarfilm „Der Westwall“ von Fritz Hippler, wodurch sowohl Kampfbereitschaft wie unbedingte Sicherheit suggeriert werden sollte. Am gleichen Tag erklärte Heeres-Oberbefehlshaber Generaloberst Walter von Brauchitsch vor Arbeitern der Düsseldorfer Rheinmetall-Borsig Werke, der Führer werde „niemals das Leben eines deutschen Menschen leichtfertig aufs Spiel setzen“.

Eine neuerliche Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz verpflichtete alle deutschen Hausbesitzer dann am 17. August, in Häusern ohne Luftschutzkeller umgehend behelfsmäßige Luftschutzmaßnahmen zu ergreifen. In den Regierungsbezirken Düsseldorf Köln, Arnsberg und Münster wurden vier Tage später erstmals probeweise die vorgeschriebenen Verdunklungsmaßnahmen durchgeführt. Am 27. August wurde schließlich im Reichsgebiet die Bezugsscheinpflicht für viele Lebensmittel, Seife und bestimmte Textilien und Schuhe sowie Hausbandkohle eingeführt. Auf die Rationierung von Brot, Mehl und Kartoffeln wurde hingegen (noch) verzichtet.

Auch auf anderem Gebiet bereiteten sich das NS-Regime auf den Krieg vor: Am 18. August wurden Ärzte und Hebammen auf Anweisung des Reichsinnenministeriums dazu verpflichtet, den Gesundheitsämtern alle „idiotischen, missgebildeten oder gelähmten“ Neugeborenen zu melden. Offenbar war man bereits auf dem Weg, unter dem Deckmantel des nahenden Krieges eine weitreichende „Euthanasie“ vorzubereiten.

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

In diesem Monat wurden die Aufgaben und Befugnisse der „Reichsvereinigung“ für das jüdische Schulwesen konkretisiert. Per Runderlass stellte der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung am 14. August klar, dass die Reichsvereinigung zur Errichtung eigener Volksschulen für jüdische Kinder und zur Ausbildung der hierzu erforderlichen Lehrkräfte verpflichtet sei. Die Einrichtung von Mittel-, Berufs- und Höheren Schulen für jüdische Kinder und Jugendliche blieb er hingegen freigestellt. In jedem Fall musste die strikte physische Absonderung der jüdischen Kinder sichergestellt und ein „ein Zusammentreffen deutscher und jüdischer Kinder“ ausgeschlossen sein. Alle öffentlichen und privaten Schulen, die bis zum 30 September 1939 nicht von der Reichsvereinigung übernommen waren, sollten geschlossen werden. Des Weiteren sollten die Lehrpläne – beispielsweise durch Hebräisch- oder anderen Sprachunterricht - den Bedürfnissen der Auswanderung angepasst werden.

Ebenfalls im August verschärfte der nationalsozialistische Staat seine Vermögenskontrolle, indem er alle Jüdinnen und Juden verpflichtete, ihr Barvermögen auf Sperrkonten zu deponieren. Bis auf einen sehr knapp bemessenen Freibetrag für die Lebenshaltungskosten war nunmehr jede Verfügung über diese Gelder genehmigungspflichtig und wurde nur in eingeschränktem Maße gewährt. Kurz vor Kriegsbeginn degradierte der nationalsozialistische Staat die jüdische Bevölkerung so kollektiv zu „Bezugsempfängern“

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