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Chronik und Quellen
1939
August 1939

Ausführungsanweisung zu Artikel II der 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 14. August 1939

Der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (zugleich auch der Reichsinnenmister) bestimmt am 14. August 1939 auf Grundlage der 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4. Juli 1939 per Erlass (E I b 462 (b)):

"Auf Grund des § 14 Abs. 2 der 10. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 4. Juli 1939 wird im Einvernehmen mit dem Herrn Reichsminister des Innern zur Ausführung des Artikels II der Verordnung folgendes bestimmt:

Zu § 6.

(1) Zu den Pflichtaufgaben der Reichsvereinigung der Juden In Deutschland gehört nur die Einrichtung von Volksschulen für Juden. Die Errichtung von Mittel- und Höheren Schulen sowie von Berufs- und Fachschulen und sonstigen Schul- oder Unterrichtskursen ist der Reichsvereinigung nach Maßgabe des Bedürfnisses und der verfügbaren Mittel freigestellt.

(2) Die Lehrpläne für die von der Reichsvereinigung unterhaltenen Schulen werden den Bedürfnissen der jüdischen Auswanderung entsprechend von der Reichsvereinigung mit Genehmigung des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung aufgestellt. Es bestehen keine Bedenken dagegen, von den sonst üblichen Lehrplänen abzuweichen. Insbesondere ist nichts dagegen einzuwenden, daß in die Lehrpläne der Volksschule Unterricht im Hebräischen und in einer für die Auswanderung dienlichen lebenden Fremdsprache aufgenommen werden. Da Übungsstätten für Zwecke der Leibeserziehung bei der Mehrzahl der Schulen nicht vorhanden sein werden, kann die Leibeserziehung auf das unter den gegebenen räumlichen Verhältnissen durchführbare Maß beschränkt werden.

(3) Lehrerausbildungsstätten dürfen von der Reichsvereinigung nur errichtet werden, soweit die Versorgung ihrer Schulen mit jüdischen Lehrkräften dies erfordert. Die Errichtung bedarf der Genehmigung durch den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung. Über Dauer und Art der Ausbildung werden auf Antrag der Reichsvereinigung vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung besondere Vorschriften erlassen.

(4) Zum Zwecke der Lehrerfortbildung können von der Reichsvereinigung Fortbildungslehrgänge veranstaltet werden. Zeit und Ort der Lehrgänge sowie die Namen der Lehrgangsleiter und der mit der Fortbildung betrauten Personen sind dem Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vorher mitzuteilen.

(5) Auf die Schulen der Reichsvereinigung finden die reichs- und landesrechtlichen Vorschriften über Privatschulen Anwendung. Errichtung und Aufhebung bedürfen der Genehmigung durch die Schulaufsichtsbehörde. Die Genehmigung zur Errichtung darf nur unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs erteilt werden. Die Schulen sind berechtigt, Zeugnisse über die Leistungen ihrer Schüler sowie Versetzungs- und Abgangszeugnisse auszustellen. Den höheren Schulen kann auf Antrag der Reichsvereinigung die Abhaltung der Reifeprüfung gestattet werden. An der Reifeprüfung hat ein Beauftragter der Schulaufsichtsbehörde teilzunehmen.

(6) Die Lehrkräfte an den Schulen der Reichsvereinigung werden auf Privatdienstvertrag angestellt. Ihre Anstellung bedarf der Genehmigung durch die Schulaufsichtsbehörde. Bei der Erteilung der Genehmigung zur Anstellung an Volksschulen kann von den sonst üblichen Voraussetzungen fachlicher Vorbildung abgesehen werden, wenn Lehrkräfte mit abgeschlossener fachlicher Vorbildung nicht zur Verfügung stehen und nach der Person der in Aussicht genommenen Lehrkraft erwartet werden kann, daß sie einen für die Bedürfnisse des jüdischen Schulwesens ausreichenden Unterricht erteilt.

(7) Für die den Lehrkräften zu zahlende Vergütung werden von der Reichsvereinigung mit Genehmigung des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Richtlinien aufgestellt.

(8) Die Reichsvereinigung bestimmt mit Genehmigung des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, ob und in welcher Höhe an den von Ihr unterhaltenen Schulen Schulgeld erhoben wird. Schulgeld kann auch an den Volksschulen der Reichsvereinigung erhoben werden.

Zu § 8.

(1) Die bestehenden öffentlichen und privaten jüdischen Schulen, Einrichtungen der jüdischen Lehrerbildung und sonstigen jüdischen Erziehungseinrichtungen, die nicht bis zum 30. September 1939 von der Reichsvereinigung übernommen werden, haben mit dem 1. Oktober 1939 den Betrieb einzustellen. Sie sind bis zu diesem Zeitpunkt einstweilen fortzuführen, sofern nicht die Reichsvereinigung dem Unterhaltsträger gegenüber bereits vorher erklärt, daß eine Übernahme der Einrichtung nicht in Betracht kommt.

(2) Die Übernahme erfolgt durch Fortsetzung des Unterrichtsbetriebes auf Kosten der Reichsvereinigung. Das Rechtsverhältnis zwischen dem bisherigen Unterhaltsträger und der Reichsvereinigung Ist vertraglich zu regeln.

(3) Bei den bisher vom Staat oder einer Gemeinde unterhaltenen öffentlichen Jüdischen Schulen Ist eine Übereignung des Gebäudes an die Reichsvereinigung unzulässig. Es ist jedoch zu prüfen, ob ihr das Schulgebäude und seine Einrichtung mietweise überlassen werden können; auch dies soll nur dann geschehen, wenn die Schule in einem besonderen Gebäude untergebracht und ein Zusammentreffen deutscher und jüdischer Kinder nicht zu befürchten ist. Kann das Gebäude der Reichsvereinigung nicht überlassen werden, so soll der Unterhaltsträger der Schule tunlichst für eine andere geeignete Unterkunft Sorge tragen.

(4) Verpflichtungen öffentlicher jüdischer Volks- und Mittelschulen in Preußen gegenüber der Landesschulkasse oder Landesmittelschulkasse erlöschen mit der Übernahme der Schule durch die Reichsvereinigung oder Ihrer Auflösung.

Zu § 9.

(1) Den Lehrkräften öffentlicher jüdischer Schulen, die mit dem Ablauf des 30. Juni 1939 in den Ruhestand getreten sind, Ist dies In der durch § 163 des Deutschen Beamtengesetzes vorgeschriebenen Form mitzuteilen. Der Aushändigung einer Urkunde bedarf es nicht.

(2) Die Lehrkräfte können bis zur Übernahme der Schule durch die Reichsvereinigung oder bis zu Ihrer Auflösung Im Angestelltenverhältnis weiter beschäftigt werden. Sie erhalten in diesem Falle eine Vergütung nach den Grundsätzen des Erlasses vom 11. April 1938 - E II e 870 -.

(3) Weigert sich eine jüdische Lehrkraft, die auf Grund des § 9 der Verordnung in den Ruhestand getreten Ist, eine Ihr von der Reichsvereinigung angebotene Beschäftigung an einer jüdischen Schule anzunehmen, so hat die Reichsvereinigung dies der Schulaufsichtsbehörde mitzuteilen. Diese veranlaßt das Weitere wegen des Fortfalls des Ruhegehalts.

(4) Die Weiterbeschäftigung jüdischer Lehrkräfte Im Ruhestand durch die Reichsvereinigung ist keine Beschäftigung im öffentlichen Dienst.

Zu § 11.

Bei der Durchführung der Schulaufsicht bedient sich der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung der ihm nachgeordneten Behörden. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften. Für die Aufsicht über die von der Reichsvereinigung unterhaltenen Volksschulen Ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, die Schulaufsichtsbehörde der Kreisinstanz zuständig. Dieser Erlaß wird auch Im Ministerialblatt der Inneren Verwaltung abgedruckt."

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