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Chronik und Quellen
1938
Mai 1938

Mai 1938

Kaum war Österreich dem Deutschen Reich eingegliedert, nahm der nächste Konflikt- und Krisenherd deutliche Konturen an, als auf unbestätigte Meldungen über deutsche Truppenbewegungen hin die tschechische Regierung am 21. Mai eine Teilmobilmachung ihrer Streitkräfte anordnete. Auch die einen Tag später stattfindenden Gemeindewahlen in der Tschechoslowakei dürften kaum zur Beruhigung beigetragen haben, erhielt die Sudetendeutsche Partei (SdP) von Konrad Henlein in den sudetendeutschen Gebieten doch fast 90 Prozent der Stimmen von deutschen Wahlberechtigten.

Die Lage spitzte sich zu, wobei die deutsche Bevölkerung zunächst natürlich nichts von Hitlers neuer und geheimer Weisung „Grün“ an die deutsche Wehrmacht vom 30. Mai erfuhr. Hierin erklärte er so deutlich wie alarmierend: „Es ist mein unabänderlicher Entschluss, die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine militärische Operation zu zerschlagen.“

Es war ein anders Thema, das in jenen Tagen zahlreiche Gemüter erhitzte und beunruhigte. Aus der Heil- und Pflegeanstalt Bethel bei Bielefeld wurden am 2. Mai 55 Insassen abtransportiert und zunächst in den hessischen Anstalten Heina und Merzhausen untergebracht. Solche im gesamten Reichsgebiet stattfindenden Überführungen aus kirchlichen in staatliche Einrichtungen waren Teil der „Ausmerze lebensunwerten Lebens“. Die begleitenden Ärzte hatten die Anweisung erhalten, die Kranken möglichst nicht zu behandeln, sondern sterben zu lassen. Die Praxis der „Euthanasie“ nahm somit im Laufe des Jahres 1938 immer drastischere Formen an. Am 11. Mai reagierte auch Papst Pius XI. auf solche Vorkommnisse, indem er ein Papier gegen die Rassenlehre veröffentlichte, in dem er deren sieben Grundirrtümer auflistete. Während des vom 3. bis zum 9. Mai dauernden Hitler-Besuchs in Rom hatte der Papst die Stadt demonstrativ verlassen.

Der ließ sich von solchen Gesten nicht beeindrucken und hielt an seinem Kurs fest. Am 9. Mai erließ er als oberster Befehlshaber der Wehrmacht die Anordnung, dass ihm Wehrmachtsangehörige künftig nicht mehr mit der üblichen militärischen Begrüßung, sondern mit dem „Deutschen Gruß“ ihre militärische Ehrenbezeugung zu erweisen hätten. Damit wurden die NSDAP und deren „Führer“ deutlich über die militärische Macht im Staate gestellt.

Am 21. Mai lief in Kiel das Schlachtschiff „Gneisenau“ vom Stapel – ein deutliches Signal für die wachsende militärische Stärke Deutschlands. In den Morgenstunden des 22. Mai schließlich starteten von 15 Flugplätzen aus 390 Maschinen zum „Deutschlandflug 1938“ des Nationalsozialistischen Fliegerkorps (NSFK). Teilnehmer waren neben NSFK-Mitgliedern Angehörige der Luftwaffe, aber auch der Hitlerjugend. Auch das ein Beleg von erfolgreicher Wiederaufrüstung und gewachsenem Machtbewusstsein.

Ein sicherlich sehr öffentlichkeitswirksamer Akt wurde dann am 26. Mai vollzogen, als Adolf Hitler im Beisein von über 600 Ehrengästen und rund 70.000 Angehöriger von NS-Organisationen zwischen Fallersleben und Wolfsburg den Grundstein für den Bau des Volkswagenwerks legte. Hier sollte die weltweit größte Automobilfabrik entstehen, in der bereits 1940 eine halbe Million, nach der projektierten Fertigstellung im Jahr 1946 dann 1,5 Millionen Autos jährlich produziert werden sollten. Der von Ferdinand Porsche entwickelte „KdF-Wagen“ sollte dabei weniger als 1.000 RM kosten und damit für jeden erschwinglich sein. Die Inszenierung war für Hitler und sein Regime ein großer Propagandaerfolg, denn sie suggerierte, dass der Kauf eines Autos nunmehr auch für Kleinverdiener nicht mehr illusorisch war. In der „Volksgemeinschaft“ unter Führung Hitlers schien nahezu alles möglich.

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Hatte man die jüdische Bevölkerung mit der Verordnung vom 26. April 1938 zur Anmeldung ihres Vermögens gezwungen, diente ein auf den 13. Mai datierter Runderlass des Reichswirtschaftsministeriums dazu, potenziellen Auswanderern den Transfer ihres persönlichen Vermögens ins Ausland zu erschweren bzw. unmöglich zu machen. Daher wurde sie dazu verpflichtet, eine genaue Liste aller Gegenstände anzulegen, deren Mitnahme beabsichtigt war. Bei neuen Anschaffungen musste zudem die Notwendigkeit hierzu begründet werden. Die Entscheidung darüber, welche Gegenstände und Wertsachen letztlich mitgenommen werden durften, blieb letztendlich der Devisenstelle überlassen. Zugleich wurden die bis dahin geltenden vergleichsweise „großzügigeren“ Sonderbestimmungen für die Mitnahme von Umzugsgut nach Palästina aufgehoben.

Am 19. Mai wurde die „Erste Verordnung zur Ausführung des Personenstandgesetzes“ erlassen, wodurch nunmehr alle davon Betroffenen verpflichtet waren, eine frühere Zugehörigkeit zu einer jüdischen Religionsgemeinschaft in allen Personenstandsbüchern vermerken zu lassen. Außerdem wurde es Juden als weiterer Akt ihrer Diskriminierung untersagt, bei Eheschließungen „von Nichtjuden und Mischlingen zweiten Grades“ weiterhin als Trauzeugen zu fungieren.

Nachdem der Prozess der „Arisierung“ bereits weit fortgeschritten war, und in seinen Augen daher „Schwierigkeiten infolge des Übergangs zahlreicher Firmen aus jüdischen in arische Hände nicht mehr zu befürchten“ seien, erlegte der Reichsfinanzministers den bereits zugelassenen und alle neuen Verkaufsstellen am 24. Mai die Verpflichtung auf, ihre Waren künftig ausschließlich von „arischen“ Lieferanten zu beziehen.

Nachdem deutlich geworden war, dass die zum Jahresbeginn verfügten Sanktionen gegen die rund 500 sich in Deutschland aufhaltenden Juden mit sowjetischer Staatsbürgerschaft nicht die erwünschte Wirkung gezeigt hatten, ordneten Heinrich Himmler und der Reichsinnenminister am 28. Mai an, diese kurzerhand festzunehmen und ihr Vermögen ist zu beschlagnahmen, bis sie sich bereit erklären würden, das Reichsgebiet umgehend zu verlassen.

Am 31. Mai wurden jüdische Interessenten per Erlass des Reichswirtschaftsministeriums nun auch offiziell von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen, so dass auch diese wichtige Erwerbsquelle damit endgültig versiegt war.

Auch auf anderem Gebiet wurde die jüdische Bevölkerung im Reichsgebiet mehr und mehr auf sich allein zurückgeworfen. So besuchten Schätzungen zufolge im Mai 1938 nur noch etwa ein Viertel aller jüdischen Volksschüler allgemeine Schulen; die übrigen waren zwischenzeitlich – entweder, weil sie dem öffentlichen Druck nachgaben oder weil sie den psychischen Belastungen nicht mehr gewachsen waren - auf Einrichtungen in jüdischer Trägerschaft gewechselt.

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