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Chronik und Quellen
1943
Juli 1943

Juli 1943

Nachdem die Rote Armee am 4. Juli erstmals die polnische Grenze überschritten hatte, begann einen Tag später unter dem Codewort „Zitadelle“ die letzte deutsche Großoffensive an der Ostfront. Weil der beabsichtigte Durchbruch durch die sowjetischen Linien nicht gelang, zeichnete sich deren Scheitern schnell ab, woraufhin der Vorstoß bereits am 13. Juli abgebrochen wurde. Am 17. Juli begann dann die Rote Armee ihrerseits mit größeren Angriffsoperationen und eröffnete am 23. neue Offensiven gegen den Kuban-Brückenkopf sowie südlich des Ladogasees.

Am 10. Juli landeten britische und US-amerikanische Truppenverbände auf Sizilien, wobei sie lediglich auf geringen Widerstand trafen. Am 22. Juli wurde Palermo besetzt, eine Woche später fielen die deutschen Stellungen am Ätna in alliierte Hände. Diese Landung stellte nach Ansicht des amerikanischen Präsidenten Roosevelt den „Anfang vom Ende“ der NS-Herrschaft dar. Das ahnten offensichtlich auch Teile der deutschen Bevölkerung, denn nach Beobachtungen des Sicherheitsdienstes der SS vom 15. Juli machte sich nun eine „gewisse Besorgnis“ breit. Dabei war insbesondere die Überraschung darüber groß, dass den Alliierten die Landung gleich beim ersten Versuch gelungen war.

Die Niederlage in Italien zeichnete sich immer deutlicher ab. Nicht zuletzt auch deshalb, weil am 25. Juli der italienische Ministerpräsident Benito Mussolini auf Veranlassung von König Viktor Emanuel III. entmachtet und verhaftet wurde. Bereits einen Tag später präsentierte der neue Ministerpräsident Bagoglio ein neues Kabinett ohne Beteiligung der Faschisten. Allerdings erklärte Bagoglio umgehend, den Krieg an der Seite Deutschlands fortsetzen zu wollen.

In den Nächten zum 4. und zum 9. Juli gab es nach der schweren Attacke vom 29. Juni zwei weitere große Luftangriffe auf Köln. Einen Tag später war dann Gelsenkirchen, am 14. Juli Aachen das Ziel. In der Nacht zum 25. Juli begann die alliierte Luftwaffe mit einer Reihe von schwersten Bombardements auf Hamburg, die bis zum 3. August dauern und mehr als 30.000 Menschen das Leben kosten sollten. Zudem wurden über 60 Prozent des Hamburger Wohnraums zerstört. Aber auch die Angriffe auf andere Städte gingen unvermindert weiter. In der Nacht zum 26. Juli wurde Essen, am 28. Kassel. am 29. Helgoland, Kiel, Rostock und Warnemünde und in der Nacht zum 30. Juli schließlich Saarbrücken angegriffen.

Im Reichsgebiet wurden die sicherheitspolitischen Zügel weiter angezogen. So kamen Heinrich Himmler und Reichsjustizminister Thierack am 12. Juli überein, „sicherungsverwahrte“ Zuchthaushäftlinge und langjährig Vorbestrafte aus den Justizvollzugsanstalten in Konzentrationslager zu überstellen. Damit waren die Betroffenen allein der Willkür der SS unterstellt. Der Volksgerichtshof verurteilte am 21. Juli einen Bergarbeiter aus Kommern im Sudetengau zum Tode, weil er einem sowjetischen Kriegsgefangenen bei dessen Flucht geholfen habe.

Dennoch wurden von Mutigen weiterhin Proteste gegen die rassenpolitischen Maßnahmen des NS-Regimes erhoben. Der württembergische Landesbischof Theophil Wurm protestierte am 16. Juli in einem an Hitler gerichteten Schreiben gegen die rassenideologisch begründeten Massentötungen. In dem Schreiben hieß es unter anderem: „Im Namen Gottes und um des deutschen Volkes willen sprechen wir die dringende Bitte aus, die verantwortliche Führung wolle der Verfolgung und Vernichtung wehren, der viele Männer und Frauen im deutschen Machtbereich unterworfen werden“, da solches Verhalten „das gottgegebene Urrecht menschlichen Daseins und menschlicher Würde überhaupt“ verletzen würde.

 

Verdrängung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung

Ab dem 1. Juli galt auf Grundlage der 13. Verordnung zum Reichsbürgergesetz, dass strafbare Handlungen von Jüdinnen und Juden künftig nicht mehr durch Gerichte, sondern durch die Polizei zu ahnden waren. Jeder kleinste tatsächliche oder vermeintliche Verstoß gegen eine der ungezählten antijüdischen Bestimmungen konnte nun zur sofortigen Verhaftung führen, was in der Regel die Einweisung in ein Gefängnis oder Lager bedeutete und meist in Auschwitz endete. Beim etwaigen Tod fiel das Vermögen der oder des Verstorbenen nun ans Reich, es sei denn, dass nichtjüdische Angehörige als Erben vorhanden waren. Als Folge dieser neuen Bestimmungen ordnete der Himmler am 3. Juli an, dass sämtliche gegen Jüdinnen und Juden schwebende Strafsachen zur Weiterführung an die Staatspolizeileitstelle abzugeben und die Beschuldigten bei Fluchtverdacht zu verhaften seien.

Am 9. Juli wurde der Aufgabenbereich der „Rest-Reichsvereinigung“ nach deren eigener Angabe auf die „Betreuung der im Altreich und Sudetengau lebenden Juden in gesundheits- und wirtschaftsfürsorgerischer Beziehung“ reduziert. In Berlin zog die umstrukturierte Reichsvereinigung im Laufe des Monats in das Gebäude des Jüdischen Krankenhauses im Berliner Wedding. Ihr neuer Leiter wurde der in „Mischehe“ lebende Arzt Walter Lustig; auch in Köln übernahm mit Hans Feldheim ein ehemals im „Mischehe“ lebender Arzt als letzter jüdischer Repräsentant und „Vertrauensmann“ diese Funktion.

Die antisemitische Propagandakampagne des Frühjahrs 1943 erwies sich zunehmend als Fehlschlag. Statt den Durchhaltewillen zu mobilisieren, schürte sie eher Resignation und Zweifel bei der deutschen Bevölkerung und führte zu einem unkontrollierbaren Anstieg der Gerüchte, von denen nicht wenige besagten, die an den Juden begangenen Verbrechen seien ein Fehler gewesen. Hatte Hitler im Vormonat noch erklärt, dass Deportationen ungeachtet eventueller Unruhen weiter radikal durchzuführen seien, ordnete die Parteikanzlei daher am 11. Juli an, bei einer öffentlichen Diskussion über die „Judenfrage“ davon abzusehen, über eine „künftige Gesamtlösung“ zu sprechen. Es dürfe lediglich verlautbart werden, dass Jüdinnen und Juden „geschlossen zu zweckentsprechendem Arbeitseinsatz herangezogen“ würden. Jede weitere öffentliche Diskussion über die „Judenfrage“ sei zu unterbinden.

Im Juli wurde seitens Reichspropagandaleitung die Information verbreitet, dass künftig auch „Mischlinge“ und mit Jüdinnen verheiratete und daher „wehrunwürdige“ Männer einen Beitrag zu den Kriegsanstrengungen leisten müssten. Sie wurden in Bauarbeitsbataillonen zusammengefasst und sollten dort insbesondere zur Trümmerbeseitigung eingesetzt werden. Auf Befehl Hitlers wurden diese Einheiten der Organisation Todt (OT) zugewiesen, die als zentralen Organisation für die Durchführung von baulichen Rüstungs- und Infrastrukturmaßnahmen im deutschen Machtbereich zuständig zeichnete. In verschiedenen Teilen des Reichs mussten sich daher in den folgenden Wochen von der Anordnung Betroffene zum OT-Arbeitseinsatz registrieren lassen.

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